§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG enthält eine für die Verwertung früherer – bereits getilgter Vorstrafen – wichtige Regelung, die ggf. auch für die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung für den Angeklagten bedeutsam sein kann. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind.Fraglich ist allerdings, was unter einem „Gutachten über den Geisteszustand i.S. des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG“ zu verstehen ist.
Mit der Frage setzt sich der BGH, Beschl. v. 28.08.2012 – 3 StR 309/12, der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, auseinander. Das LG hatte gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision hatte beim BGH Erfolg. Zwar lagen die formellen Voraussetzungen für deren Anordnung vor, es haperte jedoch mit den materiellen Voraussetzungen. Das LG hatte nämlich, um den sog. Hang des Angeklagten zu begründen, mehrere Vorverurteilungen des Angeklagten herangezogen, die im BZR bereits getilgt waren. Und an der Stelle ging es um den § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZR, der das ggf. zugelassen hätte. Das hat der BGH jedoch verneint:
„… Die Heranziehung der im Bundeszentralregister getilgten Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten verstößt gegen das gesetzliche Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG. Nach dieser Vorschrift dürfen aus der Tat, die Gegenstand einer getilgten Verurteilung ist, keine nachteiligen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen werden (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 3 StR 8/10, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 11). Dieses Verwertungsverbot gilt auch, soweit über die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu entscheiden ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 – 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 104; Beschluss vom 4. Oktober 2000 – 2 StR 352/00, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 7; Beschluss vom 27. Juni 2002 – 4 StR 162/02, NStZ-RR 2002, 332), und selbst dann, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143 mwN). Das Verwertungsverbot ist deshalb auch bei der nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF zu treffenden Entscheidung zu beachten, ob die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu schweren Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts rechtfertigt § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG die Verwertung getilgter Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten bei Begutachtungen zur Unterbringung nach § 66 StGB nicht. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Ein Gutachten zum Beste-hen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten ist indes kein Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG. Hierzu im Einzelnen:
aa) Schon der Wortlaut des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG legt es nahe, dass mit Geisteszustand der psychische Zustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung gemeint ist, über den im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung gegebenenfalls ein Sachverständiger sein Gutachten zu erstatten hat. Der Begriff zielt deshalb auf die vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB, die krank-hafte seelische Störung, die tiefgreifende Bewusstseinsstörung, den Schwach-sinn oder die schwere andere seelische Abartigkeit, ab. Vom Gutachten über das Vorliegen eines dieser Merkmale ist die nach § 246a StPO vor der Anord-nung der Sicherungsverwahrung durchzuführende sachverständige Begutachtung zu unterscheiden. Nach dieser Vorschrift ist der Sachverständige „über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen“. Die Vorschrift verwendet somit den Ausdruck „Geisteszustand“ im Gegensatz zu § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG nicht. Kommt die Unterbringung nach § 66 StGB in Betracht, soll dem Tatgericht eine Entscheidungshilfe für die Beurteilung gegeben werden, ob der Angeklagte infolge seines Hanges zur Begehung erhebli-cher Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Hangtäter ist dabei derjeni-ge, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder der aufgrund einer fest ein-gewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). Bei der Prüfung des Hanges im Sinne des § 66 StGB geht es somit im Ergebnis nicht in erster Linie um die Bewertung des Geisteszustands des Täters, sondern um die wertende Feststellung einer persönlichen Eigenschaft (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 118). Hierfür bedarf es nicht notwendigerweise der Begut-achtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen. Zwar werden nach den Erfahrungen des Senats bei in Betracht kommender Sicherungsverwahrung überwiegend Ärzte als Gutachter herangezogen, doch findet dies seine Recht-fertigung vor allem darin, dass dabei regelmäßig zugleich untersucht werden muss, ob der Angeklagte bei der Tat in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt oder schuldunfähig war und deshalb unter Umständen eine andere Maßregel, insbesondere eine Unterbringung nach § 63 StGB, in Betracht kommt.
…“
Hätten Sie es gewusst?