Die zweite Entscheidung kommt vom AG Görlitz. Den AG Görlitz, Beschl. v. 26.10.2022 – BwR 8 Ds 140 Js 18795/15 (2) – also „taufrisch“ – hat mir die entscheidende „Rechtspflegerin“ geschickt. Es handelt sich zwar „nur“ um die Vergütungsfestsetzung durch den Rechtspfleger, aber ich stelle den Beschluss trotzdem vor, weil er eine Frage entscheidet, die in der Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden ist.
Entschieden worden ist über den Vergütungsfestsetzungsantrags eines Pflichtverteidigers, der für den Verurteilten im Bewährungswiderrufsverfahren tätig geworden. Der Verurteilte befand sich nicht auf freiem Fuß. Der Verteidiger hat während des Verfahrens an einem Termin teilgenommen, in dem dem Verurteilten ein nach § 453c StPO erlassener Sicherungshaftbefehl verkündet worden ist. Der Rechtsanwalt hat dann gegenüber der Staatskasse eine Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG sowie die Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG abgerechnet. Sein Antrag hatte so keinen Erfolg, sondern:
„Abweichungen vom Antrag rechtfertigen sich wie folgt:
Beantragt waren eine Grundgebühr nach Nr. 4101/4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4105/4104 VV RVG und eine Terminsgebühr nach Nr. 4103/4102 VV RVG, dazu die Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG, insgesamt 709,24 EUR. Vorliegend war die Pflichtverteidigerbestellung aber im Rahmen eines beabsichtigten Bewährungswiderrufs nach § 453c StPO und einer insoweit erfolgten Haftbefehlsverkündung ergangen, somit im Rahmen der Strafvollstreckung. Damit ist der Gebührentatbestand nach Nr. 4201/4200 Nr. 3 VV RVG erfüllt. Eine Grundgebühr nach Nr. 4100/4101 VV RVG entsteht daneben nicht. Es kann aber eine Terminsgebühr nach Nr. 4202/4203 VV RVG entstehen. Nach der Kommentierung zu Vorbem. 4 VV RVG setzt das Entstehen einer Terminsgebühr die Teilnahme an gerichtlichen Terminen voraus, wobei dies Hauptverhandlungstermine, aber auch Vernehmungstermine sein können. Vorliegend hat der Verteidiger im Haftbefehlsverkündungstermin vom 20.12.2020 sogar auch verhandelt. Hier ist durch die Teilnahme am Haftbefehlsverkündungstermin also auch die Gebühr nach Nr. 4203 VV RVG entstanden.“
Anzumerken ist vorab: Viel Ahnung von Gebühren scheint der bestellte Pflichtverteidiger nicht zu haben. Denn es erschließt sich nicht, wie man bei dem Sachverhalt auf die Idee kommen kann, Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen. Denn tätig geworden ist der Rechtsanwalt im Verfahren über den Widerruf einer Strafe. Das ist Strafvollstreckung, so dass sich die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG richten (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021 Vorbem. 4.2 VV Rn 5 ff.).
Die von der Rechtspflegerin vorgenommene Vergütungsfestsetzung ist in jeder Hinsicht zutreffend. Das gilt insbesondere auch für die Terminsgebühr nach Nrn. 4202, 4203 VV RVG. Diese Terminsgebühr ist zu Recht festgesetzt worden. Denn bei den Terminsgebühren des Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG handelt es sich um „normale“ Terminsgebühr, die nach Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die „Teilnahme an gerichtlichen Terminen“ entstehen. Anders als bei der sog. Terminsgebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem „Hafttermin“ kommt es also nicht darauf an, ob in dem Termin, an dem der Rechtsanwalt hier teilgenommen hat, zur Frage der Haft „verhandelt“ worden ist, was hier (sogar) aber der Fall gewesen wäre.
Und: Der Pflichtverteidiger/“Gebührenkünstler“ steht sich übrigens wegen der verhältnismäßig hohen Verfahrensgebühr Nr. 4201 VV RVG durch die Festsetzung der Rechtspflegerin kaum schlechter, als wenn nach seinem Antrag festgesetzt worden wäre. Er wird die richtige Festsetzung ertragen können.