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Verkehrsrecht III: Erst Trunkenheitsfahrt, dann tätlicher Angriff auf Polizei, oder: Strafklageverbrauch

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Und als dritte und letzte Entscheidung stelle ich dann den OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.07.2021 – 1 Rv 13 Ss 421/21 – vor. Er behandelt auch noch einmal die Problematik des Strafklageverbrauchs. Aber in einer m.E. nicht so häufigen Konstellation, nämlich (vorangegangene) Trunkenheitsfahrt und tätlicher Angriff des betrunkenen Kraftfahrers auf die kontrollierenden Polizeibeamten.

Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte ist vom AG wegen der Vorwurfs einer Trunkenheitsfahrt am 28.03.2020 gegen 19.33 Uhr zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt worden. Die Berufung wurde vom LG mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 07.07. 2020 zu der Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt wurde und die Fahrerlaubnissperre auf noch drei Monate festgesetzt wurde. Diesem Strafbefehl lag folgender Sachverhalt zugrunde:

„Am 28.03.2020 gegen 19.50 Uhr wurden Sie nach einer Fahndung wegen der Anzeige einer mit der Benennung des Kennzeichens Ihres Fahrzeugs und Ihrer Personenbeschreibung angezeigten Trunkenheitsfahrt durch die uniformierten Streifenbeamten PHM A und POM´in B auf dem Fahrersitz Ihres an der B. Straße in Schwäbisch Gmünd abgestellten Fahrzeugs angetroffen. Nach der Durchführung eines Atemalkoholtests zeigten Sie sich gegenüber den mit den weiteren polizeilichen Maßnahmen befassten Polizeibeamten aggressiv. Als PHM A Ihnen erklärte, Sie aufgrund des Verdachts der Trunkenheitsfahrt zur Durchführung einer Blutentnahme in das Stauferklinikum Mutlangen verbringen zu müssen, schlugen Sie die Fahrertür mit Wucht zu und fluchten herum. Bei dem Versuch von PHM A, Sie vor der Mitnahme am Fahrzeug stehend zu durchsuchen – während POM´in B und der weiter hinzugekommene Streifenbeamte POK C Sie an den Armen festhielten – rissen Sie sich los und weigerten sich, die Durchsuchung zuzulassen. Daraufhin wandten die Polizeibeamten unmittelbaren Zwang an und versuchten, Ihre Arme auf dem Rücken zu schließen. Hiergegen sperrten Sie sich und traten die hinter Ihnen stehende POM´in B bewusst und gewollt gegen das linke Schienbein. Hierdurch erlitt die Polizeibeamtin – wie von Ihnen zumindest billigend in Kauf genommen – Schmerzen.

Zur Tatzeit standen Sie unter dem Einfluss zuvor genossenen Alkohols, ohne jedoch hierdurch in Ihrer Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen zu sein. Ein bei Ihnen zum 19.58 Uhr durchgeführter Atemalkoholtest ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt. Die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Körperverletzung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.“

Der Strafbefehl wurde am 30.07.2020 rechtskräftig. Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Die hatte Erfolg. Das OLG hat wegen Strafklageverbrauch eingestellt:

1. Das Geschehen am 28. März 2020 in der B. Straße in Schwäbisch Gmünd zwischen 19.33 Uhr und 19.50 Uhr mit der vorgeworfenen Trunkenheitsfahrt und dem unmittelbar nachfolgenden tätlichen Angriff ist eine prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO.

……

b) Vorliegend stehen die vorgeworfene Trunkenheitsfahrt und der nachfolgende Widerstand mit tätlichem Angriff zwar materiell-rechtlich in Realkonkurrenz im Sinne von § 53 StGB zueinander, sie stellen jedoch prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO dar, da ihr jeweiliger Unrechts- und Schuldgehalt innerlich so verknüpft sind, dass ihre getrennte Verfolgung eine unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts darstellen würde.

Zunächst ist der überaus enge – nahezu koinzidente – örtliche und zeitliche Zusammenhang unverkennbar. Es sind lediglich 17 Minuten zwischen der vorgeworfenen Trunkenheitsfahrt um 19.33 Uhr und dem Widerstand mit tätlichem Angriff um 19.50 Uhr vergangen. Auch ist zu sehen, dass beide Taten an demselben Tatort begangen wurden. Sowohl die vorgeworfene, 200 bis 300 Meter lange Trunkenheitsfahrt als auch der Widerstand sind innerhalb dieser 17 Minuten in der B. Straße in Schwäbisch Gmünd zu verorten. Anders verhielt es sich etwa in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen „Schmuggelfall“ (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. Januar 2005 – 2 BvR 2125/04 –, juris): Der zeitliche Abstand ist dort zwar nahezu identisch (15 Minuten), aber die Vortat des Zigarettenschmuggels wurde in einem erheblichen räumlichen Abstand von 10 km zur Widerstandshandlung begangen.

Hinzu kommt vorliegend ein auffallend enger situativer Beziehungs- und Bedingungszusammenhang zwischen der Trunkenheitsfahrt und dem tätlichen Angriff. Anders als im Schmuggelfall, in welchem die Sachverhaltsschilderung im Steuerstrafverfahren mit dem Abstellen der Zigaretten im Kofferraum endet und der Schmuggel mit Beginn der Autofahrt bereits mindestens vollendet, wenn nicht gar beendet war, ist vorliegend der tätliche Angriff durch die Trunkenheitsfahrt bedingt. Dies fällt bereits in der Sachverhaltsschilderung im Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 7. Juli 2020 auf. Bei der Beschreibung der Widerstandshandlungen werden dort zugleich Tatbestandsmerkmale der Trunkenheitsfahrt festgestellt; so zum Beispiel wörtlich: „angezeigte(n) Trunkenheitsfahrt“, des Weiteren Eckdaten wie: „Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille“ und schließlich die Antreffsituation: „auf dem Fahrersitz Ihres an der B. Straße (pp.) abgestellten Fahrzeugs angetroffen“.

Darüber hinaus ergibt sich die notwendige innere Verknüpfung der Straftaten unmittelbar aus den ihnen zugrundeliegenden Handlungen oder Ereignissen. Der betrunkene Angeklagte wurde vorliegend noch im Auto sitzend von der Polizei angetroffen, er hatte den Autoschlüssel bei sich, der Motor seines Wagens war noch warm, das Auto nahm am sogenannten ruhenden Verkehr teil, es stand auf der öffentlichen Straße und war jederzeit abfahrbereit. Auch der Angeklagte selbst war in Fahrbereitschaft und hätte jederzeit die Trunkenheitsfahrt unmittelbar fortsetzen können und sei es nur, um sein Auto von der Straße auf sein Grundstück zu fahren. In dieser Situation wurde der Angeklagte von der Polizei angetroffen und es kam zu der Auseinandersetzung mit tätlichem Angriff, die aus den wegen der Trunkenheitsfahrt vorzunehmenden polizeilichen Maßnahmen wie der Feststellung der Atemalkoholkonzentration resultierte. Auch im weiteren Verlauf waren die polizeilichen Maßnahmen zur Trunkenheitsfahrt „Verbringung in ein Krankenhaus zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration“ mit dem tätlichen Angriff „Tritt gegen das Schienbein der Polizeibeamtin B“ innerlich verwoben und verknüpft. Eine getrennte Verfolgung käme einer unnatürlichen Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs gleich.

Schließlich ist zu sehen, wie es überhaupt zu dem Geschehen am Abend des 28. März 2020 gekommen ist. Die Polizei lief nicht zufällig dem Angeklagten über den Weg, umgekehrt fuhr dieser auch nicht zufällig in eine allgemeine Verkehrskontrolle der Polizei. Vielmehr wurde die Polizei aufgrund einer angezeigten Trunkenheitsfahrt unter Benennung der Personalien des Angeklagten und dessen Kfz-Kennzeichens auf diesen aufmerksam. Sie fahndete folglich gezielt nach diesem, um die Anzeige wegen der Trunkenheitsfahrt aufzunehmen und gegebenenfalls weitere präventiv und repressiv erforderliche polizeiliche Maßnahmen zu treffen. Dies zeigt, wie stark die Handlungen und Ereignisse auch unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Beurteilung am 28. März 2020 innerlich verknüpft sind……“