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Straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren, oder: Wird nur eine „herabgesetzte Mittelgebühr“ verdient?

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Und die zweite Entscheidung befasst sich mal wieder mit den Kriterien des § 14 RVG im Bußgeldverfahren und insoweit der Frage, ob in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich von Gebühren unterhalb der Mittelgebühren auszugehen ist. Das LG Kassel hat das im LG Kassel, Beschl. v. 20.05.2019 – 8 Qs 18/19 – bejaht:

„Das Amtsgericht hat zutreffend die vom Verteidiger angesetzten Kosten gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG als unbillig erachtet und stattdessen herabgesetzte Mittelgebühren angesetzt.

Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Trotz des Ermessensspielraums bei Rahmengebühren unterliegt eine Erhöhung der Gebühr aber – auch innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 % – der gerichtlichen Überprüfung (BGH NJW 2013, 2441). Wenn die Gebühr von einem Dritten, mithin auch von der Staatskasse, zu ersetzen ist, ist die anwaltlich getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Das ist hier hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren der Fall.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer für Bußgeldsachen des Landgerichts Kassel (vgl. Beschluss vom 19.09.2018, 8 Qs 20/18; 13.07.2018, 8 Qs 18/18; Beschluss vom 11.08.2017 – 8 Qs 25/17; Beschluss vom 09.08.2017 – 8 Qs 24/17) und anderer Gerichte (LG Koblenz, Beschluss vom 18.07.2006 – 9 Qs 77/06; LG Göttingen, Beschluss vom 05.12.2005 – 17 Qs 131/05; LG Zwickau, Beschluss vom 25.11.2015 – 1 Qs 174/15; LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017 – 3 Qs 14/17; LG Neuruppin, Beschluss vom 23.02.2012 – 11 Qs 3/12; LG Berlin, VRS 111, 434; LG Cottbus, zfs 2007, 529; LG Dortmund, RVGreport 2005, 465; LG Dresden, RVGreport 2010, 454; LG Hannover, RVGreport 2008, 182; LG Leipzig RVGreport 2010, 182) gelten in durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich sog. herabgesetzte Mittelgebühren.

Der demgegenüber teilweise in der Literatur (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., § 14, Rdn. 30 m.w.N.) und Rechtsprechung (LG Chemnitz, Beschluss vom 09.06.2016 – 2 Qs 76/16 und Beschluss vom 23.02.2016 – 2 Qs 159/15; LG Weiden, Beschluss vom 01.08.2005, Az. 1 Qs 60/05; AG Plauen, Beschluss vom 22.03.2018 – 7 Owi 440 Js 18243/16; LG Leipzig; RVGreport 2009, 61; LG Saarbrücken, RVGreport 2013, 53; LG Stralsund, zfs 2006, 407) vertretenen Auffassung, wonach unter der Geltung des RVG bei durchschnittlichen straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt sei, vermag nicht zu überzeugen.

Ausgangspunkt der Bemessung der Gebühr für die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes ist auch in Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr (Hartmann, Kostengesetze, VV 5100, Vorbem. Rdn. 5). Bei der gebührenmäßigen Bewertung des jeweiligen Verfahrens ist dabei aber zu unterscheiden zwischen einem allgemeinen Durchschnittsfall, gemessen an den Verfahren aus allen Ordnungswidrigkeitsbereichen, und einem Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten (vgl. auch LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017, 3 Qs 14/17). Nach den Bewertungsmaßstäben der Kammer ist eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche. Auf diesen Durchschnittsfall ist aber die Mittelgebühr zugeschnitten und nicht auf einen Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Bußgeldverfahren betreffen zwar praktisch überwiegend verkehrsrechtliche Bußgeldverfahren. Es gibt aber daneben eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Bußgeldverfahren aus ganz verschiedenen spezialgesetzlichen Gebieten.

Der Bedeutung und der Wertigkeit der Angelegenheit nach sind Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren dabei regelmäßig unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen möglichen Ordnungswidrigkeiten und der Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lassen den Ansatz der Mittelgebühr regelmäßig nicht als angemessen erscheinen. Es ist im Einzelfall eine Relation herzustellen zu der umfangreichen Anzahl von spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen, die einerseits mit erheblichen Bußgeldern drohen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, wie beispielsweise Bußgeldsachen auf dem Gebiet des Umwelt-, Kartell-, Wirtschafts- und Steuerrechts. Demgegenüber betreffen die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird, auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen regelmäßig weder einen komplizierten Sachverhalt auf noch ist zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren generell die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.

Hier ist Gegenstand des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ein Bußgeldverfahren in Verkehrssachen von überschaubarem Umfang, das keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist. Es ging allein um die Frage, ob der Betroffene ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum geführt hat.

Dieses Verfahren weist gegenüber alltäglichen Bußgeldverfahren keine Besonderheiten auf, die es von diesen unterscheidet. Der Verteidiger hat über den routinemäßigen Verfahrensablauf hinaus (Akteneinsicht, Einspruchseinlegung, Einspruchsbegründung, Teilnahme an der zwölfminütigen Hauptverhandlung) keine weiteren Aktivitäten entfaltet. Mithin handelt es sich um ein sowohl rechtlich als auch tatsächlich einfach gelagertes Verfahren. Im Übrigen war lediglich eine geringe Geldbuße in Höhe von 100,- € verhängt worden. Dem Betroffenen drohte zwar neben dem Bußgeld die Eintragung von einem Punkt im Verkehrszentralregister, doch fällt dieser Umstand im konkreten Fall bei der einfachen Sachlage nicht erheblich ins Gewicht (vgl. LG Berlin, VRS 111, 434).

Deshalb erscheinen unter Berücksichtigung aller Umstände die im Kostenfestsetzungsantrag angesetzten Gebühren als unbillig überhöht im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Vielmehr liegt sogar ein Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren mit geringem Aufwand und Schwierigkeit und geringerer Bedeutung vor, bei dem herabgesetzte Gebühren, wie sie im Beschluss des Amtsgerichts zutreffend begründet angesetzt wurden, angemessen sind.“

M.E. falsch, aber ich habe es inzwischen dran gegeben, mich über solche Entscheidungen aufzuregen. Es bringt nichts. Man kann gegen die behauptete Weisheit landgerichtlicher Kammern, über die der so. „blaue Himmel“ ist, nichts ausrichten. Man weiß es eben besser. Jedenfalls meint man das.