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Und noch mal § 315c StGB – es klappt einfach nicht mit der „konkreten Gefahr“

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Ich hatte ja schon mehrfach über die Rechtsprechung des BGH zu § 315c StGB und damit auch zu § 315b StGB berichtet. In beiden Fällen ist zur Erfüllung des Tatbestandes das Vorliegen einer „konkreten Gefahr“ Voraussetzung. Und damit bzw. mit den vom BGH dazu geforderten tatsächlichen Feststellungen hapert es in der Praxis immer wieder. Folge: Der für die Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat des BGH hebt die Urteile der LG immer wieder auf. Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 16.04.2012 – 4 StR 45/12. Aus dem Beschluss:

Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügt die hierauf bezogene knappe Bemerkung des Landgerichts („Dadurch gefährdete er H. .“) nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr. Einen Vorgang, bei dem es beinahe zu einer Verletzung der Mitfahrerin gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (Senat, Urteil vom 30. März 1995 und Beschluss vom 4. September 1995 – jew. aaO; Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, StV 2012, 217) – hat die Strafkammer auch nach dem Gesamtzusammenhang ihrer auf das Unfallgeschehen bezogenen Feststellungen nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.“

Und der BGH bemängelt weiter noch:

b) Nach den bisherigen Feststellungen bleibt zudem offen, ob die Beifahrerin des Angeklagten vom Schutzbereich des § 315c StGB überhaupt erfasst ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies für an einer solchen Straftat beteiligte Insassen des Fahrzeugs zu verneinen (BGH, Urteile vom 23. Februar 1954 – 1 StR 671/53, BGHSt 6, 100, 102, vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, 43, und vom 20. November 2008 – 4 StR 328/08, NJW 2009, 1155, 1157; vgl. SSW-Ernemann, StGB, § 315c Rn. 24 m.w.N.). Die Mitfahrerin könnte sich mit der an den Angeklagten gerichteten Aufforderung, „auch einmal zu fahren“ (UA 7), der Anstiftung gemäß § 26 StGB schuldig gemacht haben. Zwar ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt worden, so dass es an der in § 26 StGB vorausgesetzten vorsätzlichen Haupttat fehlen könnte. Diese rechtliche Würdigung beschwert den Angeklagten, soweit der Schuldspruch in Rede steht, nicht. Jedoch war ihm nach den Feststellungen „bewusst, dass er Alkohol getrunken hatte und möglicherweise nicht mehr fahrtauglich war. (Das) nahm er zumindest billigend in Kauf, als er sich an das Steuer setzte.“ (UA 7). Danach liegen die Voraussetzungen der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB vor, zu der strafbar angestiftet werden kann (§ 11 Abs. 2 StGB). Abschließend kann der Senat die Frage einer strafbaren Teilnahme der Beifahrerin nicht beurteilen, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zur Frage eines „doppelten“ Anstiftervorsatzes enthält.“

Und ist schon manchmal erstaunlich, was die LG so machen 🙂

Was man weiß, was man wissen sollte – von der Straßenverkehrsgefährdung

Als (Auch)Verkehrsrechtler freue ich mich immer, wenn man auch mal beim BGH auf verkehrsstrafrechtliche Entscheidungen trifft. So auf den BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 4 StR 558/11. Es handelt sich auch noch um eine Leitsatzentscheidung, die zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist. Allerdings wohl nicht mit dem verkehrsstrafrechtlichen Teil, sondern mit den sicherlich auch lesenswerten Ausführungen des BGH zur sog. Hemmschwellentheorie.

Als Verkehrsrechtler interessiert hier jetzt aber mehr der verkehrsstrafrechtliche Teil, an dem sich das Schwurgericht (auch) versucht hat. Bei der Gelegenheit: Ich frage mich immer, warum man eigentlich bei Schwurgerichtsanklage die Vorwürfe nicht verschlankt und solche Vorwürfe wie hier die Straßenverkehrsgefährdung nicht einstellt. Es hat dann ja auch beim Schwurgericht nicht geklappt. Die Kammer hat die Enden für die Verurteilung nach § 315c StGB nicht zusammenbekommen. Es hapert mal wieder an der „konkreten Gefahr“ bzw. am „Beinaheunfall“. Dazu waren nicht genügend tatsächliche Feststellungen getroffen, aus denen sich das „es ist gerade noch einmal gut gegangen“ ergab (vgl. zur konkreten Gefahr hier mein Beitrag aus dem VRR 2011, 369). Dass ein Schwurgericht das weiß, kann man nicht erwarten (oder doch?) :-). Beim AG sollte man es aber wissen. Aber auch da kranken die Urteile häufig an mangelnden Feststellungen zu den Fragen.

Der BGH, Beschluss fasst alles noch einmal schön zusammen. Und: Er weißt auch noch einmal darauf hin, dass es immer um einen Fremdschaden geht – das eigene Auto/das Täterauto spielt keine Rolle

2,21 ‰ – 315c StGB – aber keine Entziehung der Fahrerlaubnis

Sicherlich eine überraschende Einzelfallentscheidung ist das AG Leer, Urt. v. 24. 8. 2011 – 6c Cs 420 Js 27526/10 – 150/11, dass bei dem Angeklagten, der mit 2,21 ‰ von der Fahrbahn abgekommen und mit einem anderen Pkw zusammengestoßen war, zwar § 315c StGB bejaht, aber einen Regelfall i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint und die Fahrerlaubnis nicht entzogen hat. Begründung:

„Durch die Einlassung des Angeklagten und das in der Hauptverhandlung verlesene Gutachten des Fachpsychologen für Verkehrspsychologie vom 22.08.2011 ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte durch eine Aufarbeitung seines Fehlverhaltens wieder zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet ist. Der Angeklagte hat eingeräumt, aufgrund einer beruflichen und privaten Überlastung in dem Jahr vor dem Unfall in erheblichem Maße Alkohol konsumiert zu haben, wobei er nach dem Gutachten aber nicht i. S. d. ICD-10 Kriterien Alkoholiker war. Er habe während dieser Zeit seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann absolviert und nebenher gearbeitet. Dies habe ihn stark unter Druck gesetzt, weil er Lernerfolge erzielen und gleichzeitig für seine Familie Zeit haben und diese ernähren musste. Seit dem Unfall lebt der Angeklagte in völliger Alkoholabstinenz, was durch eine in der Hauptverhandlung verlesene Bescheinigung von Dr. med. B., Oldenburg, nachgewiesen wurde. Der Angeklagte gab auch an, sich seither körperlich und geistig weitaus besser zu fühlen.

Diese Nachweise und der Umstand, dass der über keinerlei Voreintragungen verfügende Angeklagte als – originärer – Außendienstmitarbeiter einer Versicherung auf seinen Führerschein angewiesen ist, haben das Gericht dazu bewegt, die Fahrerlaubnis vorliegend nicht zu entziehen.“

Also, so ganz klar werden die Gründe nicht, vor allem nicht, wie der Angeklagte sein Fehlverhalten ausgearbeitet hat. Aber eine Argumentationshilfe kann die Entscheidung ggf. sein. Im Einzelfall 🙂

Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung noch nach 7 Monaten?

Das LG Kleve hat in LG Kleve, Beschl.v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 keine Bedenken, auch noch sieben Monate nach einer Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen. Der Umstand, dass der vorgeworfene Verkehrsverstoß bereits längere Zeit, hier über 7 Monate, zurückliegt, rechtfertige – so das LG – in der Regel kein Absehen von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.

Na, ob das so im Grundsatz in allen Fällen zutrifft, kann man m.E. mit Fug und Recht bezweifeln, auch wenn die h.M. in der Rechtsprechung das wohl so sieht. Aber letztlich wird man dem Beschluss des LG KLeve beitreten können. Der Beschuldigte war – wie es eine frühere Kollegin gg. formulieren würde – ein „viel beschossener Hase“; na ja, immerhin aber zwei Voreintragungen und davon eine verkehrsrechtliche.

Immer wieder: Der BGH und der Beinaheunfall bzw. der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr

Der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) spielt in der verkehrsstrafrechtlichen Rechtsprechung des BGH eine große Rolle, wie die Vielzahl der dazu ergehenden Entscheidungen zeigt. Bei den landgerichtlichen Verurteilungen werden aber nicht selten die doch recht hohen Anforderungen, die der BGH an die Vorschrift stellt, übersehen. So auch mal wieder im Beschl. v. 23.10.2010 – 4 StR 506/09. Kurz und bündig: Keine konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen oder einer Sache von bedeutendem Wert. ObwohL. Der Angeklagte hatte einen etwa faustgroßen, allerdings wohl brüchigen, Sandstein von einer Autobahnbrücke etwa 25 m weit auf den rechten Fahrstreigen geworfen. Es bleibt dann nur: Versuch.

Nachträglicher Zusatz: Zum Beinaheunfall s. auch hier und auch hier in diesem Blog.