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StPO II: AG meint, seine Strafgewalt reicht nicht aus, oder: Vorschnelle Verweisung bindet nicht

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 25.04.2022 – 1 AR 10/22. Es geht um die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses des AG an das LG, der auf nicht ausreichende Strafgewalt des AG gestützt ist.

Dem Angeklagten werden mit der Anklage mehrere Vergehen, unter anderem des Verstoßes gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht, der Beleidigung, der Bedrohung, der gefährlichen Körperverletzung und des Diebstahls, zur Last. Das AG – Schöffengericht – hat die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Verfahren eröffnet und am 18.11., 02.12. Und 21.12.2021 Hauptverhandlungstermine durchgeführt.g des Angeklagten, um diesen erneut zu hören. Am Ende des ersten Hauptverhandlungstages verkündete der vorsitzende Richter des Schöffengerichts den Beschluss, dass das Verfahren gem. § 270 StPO an das Landgericht Zweibrücken verwiesen wird. In der Begründung führt das Amtsgericht aus, es halte sich nach Durchführung der Beweisaufnahme für unzuständig und schildert zunächst den Anklagevorwurf betreffend den 29.07.2020 wie in der Anklageschrift ausgeführt. Nach Durchführung der Beweisaufnahme komme nach Auffassung des Amtsgerichts eine Strafbarkeit nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht und es bestehe ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO. Mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz reiche es für die Verweisung aus, wenn feststehe, dass im Falle eines Schuldspruchs die Straf- bzw. Rechtsfolgengewalt des Gerichts nicht ausreicht, auch wenn die Schuldfrage nicht hinreichend geklärt sei.

Die Strafkammer beim LG sieht das anders und hat die Sache dem OLG zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Das hat entschieden, dass das AG zustänig bleibt:

„2. Das Amtsgericht Pirmasens – Schöffengericht – ist das für die weitere Durchführung des Verfahrens sachlich zuständige Gericht.

An eine nach Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 270 StPO ergangene Verweisung ist das Gericht höherer Ordnung grundsätzlich gebunden, selbst wenn der diesbezügliche Beschluss formell oder sachlich fehlerhaft sein sollte. Die Bindungswirkung entfällt jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Verweisung mit dem Grundprinzip der rechtsstaatlichen Ordnung in Widerspruch steht, der Mangel für einen verständigen Betrachter offenkundig ist und die Entscheidung nicht mehr vertretbar erscheint (OLG Köln, Beschluss vom 13.09.2010 – 2 Ws 561/10, juris; KG Berlin, Beschluss vom 13.03.2009 – 4 ARs 11/09, 1 AR 273/09, juris; jew. m. w. N.). Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob sich das verweisende Gericht so weit von dem durch Art. 101 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz vorgegebenen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass die Entscheidung nicht mehr zu rechtfertigen ist. Die Grenze zum Verfassungsverstoß ist überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG, Beschluss vom 20.06.2012 – 2 BvR 1048/11, juris Rn.129).

Eine Verweisung wegen unzureichender Rechtsfolgenkompetenz (§ 24 Abs. 2 GVG) darf dabei vom Amtsgericht erst dann vorgenommen werden, wenn es die Verhandlung soweit geführt hat, dass der Schuldspruch feststeht, und sich die Straferwartung bei veränderter Sach- und Rechtslage so weit verfestigt hat, dass nicht mehr zu erwarten ist, eine mildere Beurteilung werde noch eine Strafe im Rahmen seiner Strafgewalt als ausreichend erscheinen lassen (h. M. vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1999 – 4 StR 19/99, juris Rn.5; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.2011 – 3 Ws 912/11, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.11.2013 – 2 Ws 610/13, juris). Bei unveränderter Sach- und Rechtslage bleibt das Gericht zunächst an seine der Eröffnungsentscheidung zugrundeliegende Straferwartung gebunden, weil sonst die für eine geordnete Verfahrensabwicklung notwendige Kontinuität der einmal – im Interesse der Verfahrensbeschleunigung gemäß §§ 210, 336 Satz 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar – begründeten Zuständigkeit ständig in Frage gestellt werden könnte (BGH aaO). Dabei muss für die Straferwartung auch geklärt werden, ob die Voraussetzungen für einen minder schweren Fall vorliegen und ob so noch eine Strafe innerhalb der Strafgewalt des Amtsgerichts in Betracht kommt. Eine dem hinreichenden Tatverdacht entsprechende „hinreichende Straferwartung“ existiert gerade nicht (BGH aaO).

Diesen Grundsätzen wird der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts nicht gerecht. Er weicht in einem solchen Maße von den erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen ab, dass er eine die Strafkammer bindende Verweisung nicht mehr vertretbar erscheinen lässt.

Im Rahmen der Beweisaufnahme wurde bereits der Sachverhalt nicht dahingehend hinreichend aufgeklärt, ob ein Schuldspruch wegen (schweren) Raubes überhaupt zu erfolgen hat. Darauf, dass sich das Amtsgericht in der Folge auch nicht dazu verhalten hat, ob tat- oder täterbezogene Umstände für das Vorliegen eines minder schweren Falles gem. § 250 Abs. 3 StGB vorhanden sind, kommt es deshalb nicht mehr an. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht in seinem Beschluss jedoch zu Recht auch auf § 46a StGB hingewiesen.

Hinsichtlich des Schuldspruchs hat es das Amtsgericht einerseits versäumt, die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse an dem Handy – dem möglichen Tatobjekt – aufzuklären, andererseits hat es sich in keiner Weise mit der subjektiven Komponente des Raubtatbestandes auseinandergesetzt. Die auch von Seiten der Verteidigung beantragte Vernehmung der Zeugin J., die nach Auskunft des Angeklagten ebenso wie der Zeuge K. Angaben über die Eigentumsverhältnisse des Handys hätte machen können, hat das Amtsgericht nicht durchgeführt. Damit ist nicht hinreichend aufgeklärt, ob es sich objektiv um eine für den Angeklagten fremde bewegliche Sache – durch Schenkung und Eigentumsübertragung an den Zeugen B. – im Sinne der §§ 249, 242 StGB handelte, oder ob das Handy – wie von dem Angeklagten zunächst angegeben – noch in seinem Eigentum stand. Ebenso wenig hat das Amtsgericht den Angeklagten, der während der Aussage des ihn wesentlich belastenden Zeugen B. nicht anwesend war, erneut geladen und ihn zu den Angaben des Zeugen B. befragt. Dies wäre insbesondere mit Blick auf den für die Tatbestandsverwirklichung des schweren Raubes gem. § 250 StGB erforderlichen Vorsatz, der sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale und damit insbesondere auf die Fremdheit der Sache beziehen muss, veranlasst gewesen. Ebenso hat das Amtsgericht nicht geklärt, ob der Angeklagte das Raubmittel (hier die Gewalteinwirkung mithilfe des Baseballschlägers) nach seiner Vorstellung gerade einsetzte, um die Entwendung des Handys zu ermöglichen (spezifischer Zusammenhang zwischen qualifizierter Nötigung und Diebstahl). Hierzu verhalten sich die Ausführungen des Amtsgerichts nicht, und dies erscheint aufgrund der bislang durchgeführten Beweisaufnahme – entnommen aus dem Hauptverhandlungsprotokoll – auch keineswegs offenkundig. Gleiches gilt für die erforderliche Absicht rechtswidriger Zueignung des Tatobjektes. Das subjektive Vorstellungsbild des Angeklagten bleibt im derzeitigen Verfahrensstand offen. Ihm wurde weder Gelegenheit zur Äußerung nach § 257 Abs. 1 StPO gegeben noch wurde er zum Inhalt der Angaben des Zeugen B. und seinem Vorstellungsbild zum Tatzeitpunkt befragt. Das Amtsgericht hat seine Verweisung allein auf die Angaben des Zeugen B. gestützt, der jedoch selbst nur ausführte, er habe gedacht, der Angeklagte habe ihm das Handy geschenkt; es hätte sich jedoch bei den aufgezeigten Zweifeln, die sich bereits durch die Anträge sowohl der Vertreterin der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung auch dem Gericht hätten aufdrängen müssen, zur erneuten Anhörung des Angeklagten und zur Vernehmung der Zeugin J. veranlasst sehen müssen.

Nach alledem steht ein Schuldspruch wegen schweren Raubes weder fest (so h. M. BGH aaO) noch ist er in diesem Verfahrensstadium auch nur zu erwarten (KG, Beschluss vom 13.11.1998 – 1 AR 1314-98/4 ARs 19/98, beckonline; Beschluss vom 13.03.2009 – 4 ARs 11/09, 1 AR 273/09, juris Rn.6: es soll genügen, dass der Schuldspruch „zu erwarten“ ist). In der Gesamtschau beruht die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen eines schweren Raubes gem. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB letztlich auf Vermutungen des Amtsgerichts, das sich damit so weit von dem durch Art. 101 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz vorgegebenen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass die Verweisung nicht mehr vertretbar ist und die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt.“