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Durchsuchung II: Sperrwirkung einer Einstellung, oder: Zeitablauf

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 05.03.2021 – 12 Qs 4/21. In ihm nimmt das LG Stellung zur der Frage der Sperrwirkung einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO und zum Unwirksamwerden eines Durchsuchungsbeschlusses infolge Zeitablaufs. Dazu das LG:

„3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Durchsuchung von Rechts wegen erfolgen durfte.

a) Der Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig ergangen.

aa) Notwendige Voraussetzung jeder Durchsuchung ist ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO wegen einer bestimmten Straftat. Dieser liegt vor, wenn auf der Grundlage konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 152 Rn. 4 m.w.N.). Einen solchen konkreten Anfangsverdacht hat der Beschwerdeführer hier selbst geschaffen, indem er in der Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg am Morgen des 21. Februar 2020 in der Sache 52 OWi 703 Js … geäußert hat, er habe sein Handy in die Buchse gesteckt und das Ende des Gesprächs (mit den beiden Polizisten) aufgezeichnet.

Darin lag eine Selbstbezichtigung des Beschwerdeführers, eine Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen, zumindest aber versucht zu haben. Nach der genannten Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Nichtöffentlich gesprochen ist ein Wort dann, wenn es nicht an die Allgemeinheit gerichtet ist oder nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus verbreitet werden soll (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 201 Rn. 3). Die Nichtöffentlichkeit ist bei der hier durch die Verkehrskontrolle situativ, räumlich und persönlich geschaffenen Eingrenzung gegeben.

bb) An der vorstehenden Beurteilung, dass ein Anfangsverdacht vorliegt, ändert sich nichts dadurch, dass die Staatsanwaltschaft zunächst mit Verfügung vom 6. Mai 2020 das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Eine Einstellung nach dieser Vorschrift entfaltet keine Sperrwirkung, die einer erneuten Befassung der Staatsanwaltschaft mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt entgegenstünde. Das Ermittlungsverfahren kann vielmehr jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht. Aufseiten des Beschuldigten besteht insoweit kein Vertrauensschutz auf den Bestand der ursprünglichen Einstellungsverfügung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 StR 524/10, juris Rn. 10). Die Kammer merkt an, dass aus der Akte, soweit sie im Rahmen der Beschwerde vorgelegt wurde, nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Umstände oder Erwägungen sich die Staatsanwaltschaft dazu entschlossen hat, von ihrer ursprünglichen Einschätzung, die der Verfahrenseinstellung zugrunde gelegen hatte, abzurücken und das Verfahren wieder aufzugreifen. Daraus folgt indessen kein durchgreifendes Argument gegen die Rechtmäßigkeit der erneuten Befassung mit dem Fall, denn es ist umgekehrt auch nicht ersichtlich, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sachfremd motiviert gewesen wäre.

cc) Der Annahme eines Anfangsverdachts steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer behauptet, die inkriminierte Tonaufnahme versehentlich – strafrechtlich gesprochen: fahrlässig und damit im konkreten Fall nicht strafbar – gemacht zu haben. Die Ermittlungsbehörden sind nicht gehalten, der eigenen Einschätzung eines Beschuldigten zum subjektiven Tatbestand einer Straftat uneingeschränkt zu folgen, sondern haben eigenständig zu bewerten, ob die feststellbaren Umstände in ihrer Zusammenschau den Rückschluss auf einen Vorsatz zulassen. Nachdem der Beschwerdeführer bei seiner Aussage vor dem Amtsgericht Nürnberg, die dort protokolliert worden ist, nichts in die Richtung äußerte, die Aufnahme sei nur versehentlich erfolgt, und nachdem versehentliche Tonaufnahmen mit einem Mobiltelefon nach aller Erfahrung seltener vorkommen als bewusst vorgenommene, liegt es nahe, im Vortrag des Beschwerdeführers eine bloße sog. Schutzbehauptung zu sehen. Eine solche stellt den Anfangsverdacht nicht infrage.

Ebenso wenig muss die Staatsanwaltschaft der Behauptung eines Beschuldigten glauben, er habe die gesuchte Sache nicht (mehr).

dd) Die übrigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit des angegriffenen Beschlusses, liegen vor. Das Auffinden des Tonträgers ist für den Tatnachweis geeignet und erforderlich und die Durchsuchung war, auch in Anbetracht des hohen Stellenwerts der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung (Art. 13 GG), noch angemessen. Ohne den Tonträger selbst lässt sich nicht belegen, ob die Aufnahme des Gesprächs – verstanden als Tätigkeit des Aufnehmens, die der Beschwerdeführer selbst zugegeben hat – zu einem Erfolg geführt hat. Aufnehmen im Sinne der Strafvorschrift ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Tonträger in der Weise, dass es wieder hörbar gemacht werden kann. Gelingt es nicht, das Wort auf dem Tonträger zu fixieren, liegt nur Versuch (§ 201 Abs. 4 StPO) vor (Schünemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 13). Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist weiter zu sehen, dass die vorgeworfene Straftat nicht lediglich geringfügig ist (zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07, juris Rn. 20) und dass es letztlich der Beschwerdeführer war, der durch seine eigene Aussage im Ordnungswidrigkeitsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg das hiesige Ermittlungsverfahren – ohne Not – provoziert hat.

b) Die Durchsuchung ist auch rechtzeitig vollzogen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tritt – außer er wird vorher richterlich bestätigt – ein erlassener Durchsuchungsbeschluss außer Kraft, wenn er nicht spätestens ein halbes Jahr nach Erlass vollzogen wird (BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 380/01, juris Rn. 13; Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, juris Rn. 29 f.). Hier kann dahinstehen, ob – wozu die Kammer freilich nicht neigt – der zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des ersten Beschlusses und der Durchsuchung, fast fünf Monate, zur Unwirksamkeit dieses Beschlusses geführt haben kann. Denn jedenfalls ist der erste Beschluss des Ermittlungsrichters durch dessen berichtigenden Beschluss vom 21. Januar 2021 unmittelbar vor dem Vollzug der Durchsuchungsmaßnahme konkludent bestätigt worden. Auch wenn sich der zweite Beschluss allein auf die Berichtigung der Postleitzahl des Durchsuchungsobjekts bezogen hat, so hat der Ermittlungsrichter damit schlüssig miterklärt, dass er an seinem ursprünglichen Durchsuchungsbeschluss festhält und ihn damit bestätigt. Damit ist der Zeitablauf zwischen dem Erlass des ursprünglichen Durchsuchungsbeschlusses und dessen Vollzug vorliegend unerheblich.“

Entziehung der Fahrerlaubnis II: Günstiges Fahreignungsgutachten, oder: Sperrwirkung?

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Die zweite Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt aus Bayern. Entzogen worden ist die wegen nicht fristgerechter Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Gutachtenanforderungen war gestützt auf wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Dagegen hatte der Fahrerlaubnisinhaber – mit seiner Klage und im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend gemacht -, eine der herangezogenen Zuwiderhandelungen sei nicht mehr berücksichtigungsfähig. Er habe nach Vorlage eines die Fahreignung bestätigenden medizinisch-psychologischen Gutachtens und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis darauf vertrauen dürfen, dass wegen dieser zeitlich davorliegenden Tat keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen mehr eingeleitet werden.

Das hat der BayVGH im BayVGH, Beschl. v. 16. September 2020 – 11 CS 20.1061 – anders gesehen:

„b) Gemessen daran begegnet die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, rechtmäßig war, da die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 noch im Fahreignungsregister eingetragen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Taten verwertbar sind und dem Betreffenden vorgehalten werden können, solange sie – wie hier aus den vom Verwaltungsgericht ausgeführten Gründen – im Fahreignungsregister noch nicht getilgt bzw. nicht tilgungsreif sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21/04NJW 2005, 3440 = juris Rn. 25 ff.; BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris Rn. 14 m.w.N.).

Entgegen der Ansicht der Beschwerde setzen weder das positive Fahreignungsgutachten vom 19. Oktober 2017 noch die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im selben Monat eine Zäsur mit der Folge, dass die zeitlich davorliegende Tat aus dem Jahr 2015 nicht mehr berücksichtigt werden dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris Rn. 18; B.v. 22.6.2012 – 11 ZB 12.837 – juris Rn. 15; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 39 ff.). Der erkennende Senat hat aus § 29 Abs. 3 StVG und § 63 Abs. 1 FeV geschlossen, dass den Behörden und Gerichten nach dem Willen des Gesetz- und des Verordnungsgebers die Möglichkeit des Zugriffs auf Alttatsachen bis zum Eintritt ihrer Tilgungsreife oder sonstigen Unverwertbarkeit eröffnet bleiben soll, wenn der Betroffene im Anschluss an die Neuerteilung einer ehedem entzogenen Fahrerlaubnis wiederum nachteilig in Erscheinung tritt und die neuen Tatsachen alleine nicht ausreichen, um die Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Sachverhaltsaufklärung zu entziehen oder Maßnahmen zur erneuten Überprüfung der Fahreignung zu ergreifen (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 a.a.O. Rn. 18; B.v. 22.6.2012 a.a.O. Rn. 17, B.v. 6.5.2008 a.a.O. Rn. 48). Insoweit hat er in seiner neueren Rechtsprechung auch den Rechtsstandpunkt der Beschwerde, ein die Fahreignung wieder bejahendes Gutachten bewirke eine Zäsur, die vor diesem Zeitpunkt liegende Ereignisse als „verbraucht“ erscheinen lasse, nicht geteilt. Denn derartige fachkundige Stellungnahmen haben allein vorbereitenden Charakter, ohne unmittelbare Rechtswirkungen zu Gunsten oder zu Lasten der Betroffenen zu entfalten, und können daher schon ihrer rechtlichen Natur nach keine Sperrwirkung im Sinne eines „Rückgriffsverbots“ entfalten (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 45 ff.).

Der Gutachtensanforderung vom 17. Juni 2019 stehen auch keine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen. Es kann dahinstehen, ob ein solcher im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. zur Rechtsfigur der Verwirkung BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 15; B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 32 m.w.N.). Denn jedenfalls liegen hier keine Umstände vor, die schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers darauf begründen könnten, das Landratsamt werde keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen an die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 knüpfen. Das positive Fahreignungsgutachten vom 19. Oktober 2017 bietet dafür bereits deswegen keine geeignete Vertrauensgrundlage, weil es, wie ausgeführt, allein eine das Handeln der Behörde vorbereitende Maßnahme darstellt. Doch auch die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 27. Oktober 2017 konnte kein derartiges Vertrauen des Antragstellers begründen. Das Landratsamt durfte zu diesem Zeitpunkt in Ermangelung einer wiederholten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss kein Gutachten nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV anfordern. Folglich hat es mit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auch nicht erkennen lassen, dass es die vor diesem Zeitpunkt liegende Tat – bei Hinzukommen neuer Umstände – nicht berücksichtigen und zum Anlass fahrerlaubnisrechtlicher Maßnahmen nehmen werde (vgl. zu den Voraussetzungen des Vertrauensschutzes im Bereich der Verwaltung auch Maurer in Isensee/Kirchhof, HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 79 Rn. 13, 131).

Schließlich ergibt sich ein Verwertungsverbot auch nicht aus § 4 Abs. 3 StVG. Danach waren zwar die im Fahreignungsregister eingetragenen Punkte für die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 27. Oktober 2017 zu löschen. Die Löschung bezieht sich jedoch nur auf die Punkte, nicht aber die ihnen zugrundeliegenden Taten bzw. Eintragungen. Diese bleiben vielmehr im Fahreignungsregister bis zur Tilgungsreife erfasst und können in späteren, etwa – wie hier – auf § 3 Abs. 1 StVG gestützten Entziehungsverfahren herangezogen werden (vgl. BT-Drs. 17/12636 S. 40; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 4 StVG Rn. 52 m.w.N.; BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352NJW 2014, 3802 = juris Rn. 22 zu § 4 StVG a.F.).

Durfte das Landratsamt somit die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 berücksichtigen und den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchs. b FeV auffordern, begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der nicht fristgemäßen Vorlage keinen Bedenken (und sind auch die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins und die Zwangsgeldandrohung nicht zu beanstanden). Weitergehende Einwände hat die Beschwerde nicht erhoben.“

Wann tritt bei § 153a StPO die Sperrwirkung ein?

In einem sehr schön und ausführlich begründeten Beschluss hat jetzt das LG Kleve zu der Frage Stellung genommen, worauf es für den Eintritt der Sperrwirkung bei einer Einstellung nach § 153a StPO ankommt.

Das LG sagt in seinem Beschl. v. 03.11.2010 – 170 Qs-200 Js 388/10-14/10: Für den Eintritt der durch eine Einstellung nach § 153a StPO erfolgenden Sperrwirkung kommt es allein darauf an, dass eine Erteilung konkreter Auflagen durch die Staatsanwaltschaft und die Zustimmung des Beschuldigten vorliegen. Es muss nicht zudem noch eine förmliche „vorläufige Einstellung“ durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Die StA ist also an ihre Zustimmung gebunden, wenn nicht besondere Umstände vorliegen.