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Basta! Einen dritten Versuch gibt es nicht: BGH entscheidet selbst über Sicherungsverwahrung.

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Der 2. Strafsenat des BGH hatte bereits im Oktober 2011 ein Urteil des LG  Darmstadt aufgehoben, das einen Angeklagten u.a. wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a. verurteilt und auch Sicherungsverwahrung angeordnet hatte. Nun hatte das LG erneut entschieden und erneut auch Sicherungsverwahrung angeordnet. Dem BGH haben die Ausführungen des LG erneut nicht ausgereicht. Er hat das landgerichtliche Urteil wiederum, und zwar durch BGH, Urt. v. 13.03.2013 – 2 StR 392/12, aufgehoben. Aber: Dieses Mal entscheidet der BGH aber selbst und lässt die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfallen. Basta. Ende der Diskussion.

II. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hin-reichend Rechnung getragen hat.
1. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) dürfen die – an sich verfassungswidrigen – gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt wer-den. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte muss „aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ sein. Dies stellt gegenüber der früheren Rechtsanwendung höhere Anforderungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, son-dern auch an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 1 StR 57/12; Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141; Senat, Urteil vom 18. Juli 2012 – 2 StR 605/11). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 u. vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11).
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von einem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. „hands-on-Delikte“ ausgeht, ohne mit diesem wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret zu erwartende Sexualdelinquenz näher zu beschreiben. Damit legt das Landgericht nicht dar, welche Strafta-ten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere Zeit zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige (UA S. 7). Neue Umstände, welche die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.“

Anfängerfehler – Sicherungsverwahrung droht? – darauf muss hingewiesen werden.

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M.E. ein Anfängerfehler, der einem Aufhebungsbeschluss des BGH zugrunde liegt, nämlich dem BGH, Beschl. v. 09.01.2013 – 1 StR 558/12. Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zur lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Es hat darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld festgestellt und gegen den Angeklagten die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Zur Sicherungsverwahrung stand aber nichts in der Anklage, nichts im Eröffnungsbeschluss und es erging in der Hauptverhandlung auch kein rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO.

Das konnte in der Revision nicht gut gehen. Und ist es auch nicht. Der BGH hat aufgehoben:

„Mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte zu Recht, dass das Gericht bezüglich der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seine Hinweispflicht verletzt habe.

Auf die Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war der Angeklagte weder durch die Anklageschrift noch durch den Eröffnungsbeschluss hingewiesen worden. Auch in der Hauptverhandlung wurde kein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt. Zwar hatte sich der psychiatrische Sachverständige gemäß dem (nachträglich erweiterten) Gutachtenauftrag auch mit der Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschäftigt und in der Hauptverhandlung mündlich sein Gutachten erstattet. Dies ersetzt jedoch den notwendigen Formalhinweis des Gerichts nicht (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 – 5 StR 552/09, NStZ-RR 2010, 215 mwN, vom 5. November 2002 – 4 StR 316/02, StV 2003, 151 mwN, und vom 4. Juni 2002 – 3 StR 144/02, NStZ-RR 2002, 271 mwN). Ebenso wenig ist der Hinweispflicht durch die Verlesung eines früheren Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. März 2008, durch das bereits eine Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet war, Genüge getan: Die wiederholte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung ist zwar möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1998 – 5 StR 404/98, StV 2000, 258), aber keinesfalls zwingend. Dem Angeklagten muss aber der Hinweis so erteilt werden, dass er eindeutig erkennen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002 – 4 StR 316/02, StV 2003, 151).

Schattendasein: Tilgungsdurchbrechung durch § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG? – Hätten Sie es gewusst?

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§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG enthält eine für die Verwertung früherer – bereits getilgter Vorstrafen – wichtige Regelung, die ggf. auch für die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung für den Angeklagten bedeutsam sein kann. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind.Fraglich ist allerdings, was unter einem „Gutachten über den Geisteszustand i.S. des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG“ zu verstehen ist.

Mit der Frage setzt sich der BGH, Beschl. v. 28.08.2012 – 3 StR 309/12, der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, auseinander. Das LG hatte gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision hatte beim BGH Erfolg. Zwar lagen die formellen Voraussetzungen für deren Anordnung vor, es haperte jedoch mit den materiellen Voraussetzungen. Das LG hatte nämlich, um den sog. Hang des Angeklagten zu begründen, mehrere Vorverurteilungen des Angeklagten herangezogen, die im BZR bereits getilgt waren. Und an der Stelle ging es um den § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZR, der das ggf. zugelassen hätte. Das hat der BGH jedoch verneint:

„… Die Heranziehung der im Bundeszentralregister getilgten Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten verstößt gegen das gesetzliche Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG. Nach dieser Vorschrift dürfen aus der Tat, die Gegenstand einer getilgten Verurteilung ist, keine nachteiligen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen werden (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 3 StR 8/10, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 11). Dieses Verwertungsverbot gilt auch, soweit über die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu entscheiden ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 – 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 104; Beschluss vom 4. Oktober 2000 – 2 StR 352/00, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 7; Beschluss vom 27. Juni 2002 – 4 StR 162/02, NStZ-RR 2002, 332), und selbst dann, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143 mwN). Das Verwertungsverbot ist deshalb auch bei der nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF zu treffenden Entscheidung zu beachten, ob die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu schweren Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts rechtfertigt § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG die Verwertung getilgter Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten bei Begutachtungen zur Unterbringung nach § 66 StGB nicht. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Ein Gutachten zum Beste-hen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten ist indes kein Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG. Hierzu im Einzelnen:

aa) Schon der Wortlaut des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG legt es nahe, dass mit Geisteszustand der psychische Zustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung gemeint ist, über den im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung gegebenenfalls ein Sachverständiger sein Gutachten zu erstatten hat. Der Begriff zielt deshalb auf die vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB, die krank-hafte seelische Störung, die tiefgreifende Bewusstseinsstörung, den Schwach-sinn oder die schwere andere seelische Abartigkeit, ab. Vom Gutachten über das Vorliegen eines dieser Merkmale ist die nach § 246a StPO vor der Anord-nung der Sicherungsverwahrung durchzuführende sachverständige Begutachtung zu unterscheiden. Nach dieser Vorschrift ist der Sachverständige „über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen“. Die Vorschrift verwendet somit den Ausdruck „Geisteszustand“ im Gegensatz zu § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG nicht. Kommt die Unterbringung nach § 66 StGB in Betracht, soll dem Tatgericht eine Entscheidungshilfe für die Beurteilung gegeben werden, ob der Angeklagte infolge seines Hanges zur Begehung erhebli-cher Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Hangtäter ist dabei derjeni-ge, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder der aufgrund einer fest ein-gewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). Bei der Prüfung des Hanges im Sinne des § 66 StGB geht es somit im Ergebnis nicht in erster Linie um die Bewertung des Geisteszustands des Täters, sondern um die wertende Feststellung einer persönlichen Eigenschaft (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 118). Hierfür bedarf es nicht notwendigerweise der Begut-achtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen. Zwar werden nach den Erfahrungen des Senats bei in Betracht kommender Sicherungsverwahrung überwiegend Ärzte als Gutachter herangezogen, doch findet dies seine Recht-fertigung vor allem darin, dass dabei regelmäßig zugleich untersucht werden muss, ob der Angeklagte bei der Tat in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt oder schuldunfähig war und deshalb unter Umständen eine andere Maßregel, insbesondere eine Unterbringung nach § 63 StGB, in Betracht kommt.
…“

Hätten Sie es gewusst?

 

Wegen Aids in die Sicherungsverwahrung? Natürlich nicht, aber…

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Über das dem BGH, Beschl. v. 15.03.2012 – 2 StR 355/11 – zugrunde liegende Urteil des LG Köln könnte man schon plakativ die Frage stellen: Wegen Aids in die Sicherungsverwahrung?

In dem Fall hatte das LG den Verurteilten im Erstverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hatte es die spätere Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Mit dem beim BGH zur Überprüfung anstehenden angefochtenen weiteren Urteil hatte es im Nachverfahren die Maßregel angeordnet, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:
Der Verurteilte hat bei einem Aufenthalt in Kenia eine Aidsinfektion erlitten, über deren Bedeutung und Ansteckungsgefahren für Dritte er im Februar 1998 in der Universitätsklinik in H. im Einzelnen aufgeklärt worden war. Er wusste danach, dass er die Viruserkrankung bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr auf eine Partnerin übertragen konnte. Medikamente, die ihm verordnet worden waren, nahm er nach einiger Zeit nicht mehr ein. Der Angeklagte suchte zuerst über Videotext, später im Internet Kontakte zu Frauen als Sexualpartnerinnen. Eine Bekanntschaft endete, als die Geschädigte A. von seiner Aidserkrankung erfuhr und Strafanzeige erstattete, weil er ihr die Infektionsgefahr verschwiegen hatte. Das führte zu der Vorverurteilung, deren Einzelstrafen in die erste Gesamtstrafe in der vorliegenden Sache einbezogen wurde. Im Tatzeitraum, der sich von 2001 bis 2006 erstreckte, lernte der Verurteilte neben der Zeugin A. zehn weitere Frauen kennen, denen er seine Erkrankung nicht offen legte, und er hatte mit allen ungeschützten Geschlechtsverkehr. In vier Fällen führte dies zu einer Aidsinfektion bei den Sexualpartnerinnen, wobei unklar ist, ob die Krankheit ausbrechen wird. In den weiteren Fällen blieb schon die Virusübertragung aus. Je nach Eintritt der Infektion oder deren Ausbleiben hat das Landgericht vollendete oder versuchte gefährliche Körperverletzung angenommen. Es stellte in seinem Ersturteil die formellen Voraussetzungen der Maßregelanordnung gemäß § 66a Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. fest und nahm einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten an. Dabei ging es von einem eingeschliffenen Verhaltensmuster aus. Auch die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit wurde schon im Ersturteil – bezogen auf den Urteilszeitpunkt – bejaht. Die sofortige Maßregelanordnung unterblieb aber zunächst, weil das Landgericht die weitere Entwicklung der Persönlichkeit des Verurteilten während des Strafvollzugs als ungewiss ansah. Nach den Feststellungen des Landgerichts im Nachverfahren ist der Verurteilte in der Haft therapieunwillig. Seine Aidserkrankung ist zwar durch Medikamente bis zum Erreichen der Nachweisgrenze der Viruslast eingedämmt worden. Es bestehe aber ein Restrisiko für Ansteckungsmöglichkeiten beim ungeschützten Geschlechtsverkehr. Das Landgericht ist von einer weiteren Gefährlichkeit des Verurteilten ausgegangen, weil zu erwarten sei, dass er auch in Zukunft mit Sexualpartnerinnen, denen er die Erkrankung nicht offenbaren wird, ungeschützten Geschlechtsverkehr ausüben werde. Dafür sei eine narzisstische Persönlichkeitsprägung des Verurteilten maßgeblich. Auch liege ein Mangel an Empathie vor. Therapiebemühungen habe er vorwerfbar versäumt. Bei dieser Sachlage sei die Maßregel anzuordnen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt.

Der BGH hat aufgehoben:

„…Im Hinblick auf die Eigenschaft der Maßregel als Sicherungsmittel ohne direkten Bezug zur Tatschuld kommt es hier nicht auf die gesetzliche Bezeichnung des Straftatbestands an, auch nicht auf das durch gesetzliche Strafrahmen vorbewertete abstrakte Schuldgewicht, sondern auf die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts, den Grad der im Einzelfall in Frage kommenden Verletzungsintensität sowie den Grad der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Rechtsgutsverletzung (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, StV 2012, 213, 214). Das Tatgericht hat dazu alle im Einzelfall relevanten Umstände des konkreten Falles in einer Gesamtschau zu würdigen. Dies ist im angefochtenen Urteil nicht lückenlos geschehen.

Einerseits ist das Rechtsgut des Lebens, das auch von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB geschützt wird, ein Schutzgut von höchstem Wert, das staatliche Schutzpflichten auslösen kann. Andererseits ist die Gefahr seiner künftigen Ver-tzung durch den Angeklagten im vorliegenden Fall vom Landgericht nicht unter Berücksichtigung aller Umstände, die dagegen sprechen könnten, geprüft worden.

Nach den Urteilsfeststellungen hat der Verurteilte in der Haft eine Brieffreundschaft mit einer Frau entwickelt, der er seine Aidserkrankung offenbart hat. Ihr hat er auch geschrieben, dass er nie wieder in ungeschützter Weise Geschlechtsverkehr haben wolle. Dieser Aspekt wäre unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles in der Gesamtschau zu berücksichtigen gewesen.

Wenn die Gefahr bestünde, dass der Verurteilte künftig Sexualpartnerinnen wählt, denen er die Erkrankung nicht offenbart und die er mit dem Virus infiziert, so würde er deren Leben gefährden und – mit Blick auf die Bedeutung des geschützten Rechtsguts – schwer wiegende Straftaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu den §§ 66, 66a StGB begehen. Bestünde aber die Gefahr der Übertragung des Virus nicht mehr oder nur noch mit geringer Wahrscheinlichkeit, weil die Ansteckungsmöglichkeiten aus medizinischen Gründen einer Verringerung der Viruslast oder aus Gründen des Schutzes der Partnerinnen durch Verwendung eines Kondoms verringert würden, dann wäre auch die Gefahr künftiger Straftaten gegen das Leben so reduziert, dass die Maßregelanordnung aufgrund der Weitergeltungsanordnung bezüglich der §§ 66 Abs. 3, 66a Abs. 1 StGB a.F. bei besonders strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr angemessen erscheinen könnte. Würde der Verurteilte seinen Sexualpartnerinnen die Erkrankung offenbaren und erst danach mit diesen einvernehmlich Geschlechtsverkehr mit einem Restrisiko der Ansteckung ausüben, so wäre bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung durch die Partnerinnen keine Strafbarkeit des Verhaltens gegeben. Die Äußerungen des Verurteilten gegenüber seiner Brieffreundin, der er die Aidserkrankung offenbart und angekündigt hat, er werde Geschlechtsverkehr nur unter Verwendung eines Kondoms ausüben, können deshalb bei der Prognosebeweiswürdigung und Verhältnismäßigkeitsprüfung von Bedeutung sein. Sie sind vom Landgericht jedoch nicht erkennbar berücksichtigt worden. Daher bedarf es einer neuen Prognoseentscheidung.

Also: Antwort auf die o.a. Frage? Nein, allein wegen Aids nicht – was nicht überrascht. Aber die Erkrankung und das Umgehen damit spielen schon eine Rolle für die Gefährlichkeitsprognose.

Allgemeines „Geplausche“ in der HV reicht nicht für Sicherungsverwahrung

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Beim BGH hatte jetzt ein Verteidiger7Angeklagter mit einer Verfahrensrüge (beim 1. Strafsenat [!!]) Erfolg, der folgender Sachverhalt zugrunde lag: In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Augsburg findet sich im Anklagesatz kein Hinweis darauf, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten in Betracht kommt. Die Ladung zur Hauptverhandlung, allerdings nur an den Verteidiger gerichtet, enthielt demgegenüber folgenden maschinenschriftlichen Zusatz: „Gem. § 265 StPO wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des Gutachtens des SV A. vom 21.09.11 die Unterbringung des Angeklagten im Maßregelvollzug nach § 66 StGB in Betracht kommt. Auf richterliche Anordnung: …“. Im Hauptverhandlungsprotokoll vom 14. 11.2011 findet sich folgende Eintragung: Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden gemäß § 243 Abs. 5 StPO darüber belehrt, dass es ihm freistehe, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Dabei wurden vom Vorsitzenden einerseits die durch ein mindestens teilweises Geständnis möglichen Verfahrensvorteile, andererseits – ohne dass ein nochmaliger förmlicher Hinweis nach § 265 StPO erfolgte – die im Falle einer Verurteilung auch wegen Vergewaltigung drohende An-ordnung der Sicherungsverwahrung angesprochen. Dazu der BGH, Beschl. v. 26.06.2012 – 1 StR 158/12:

„.. Da weder die Revisionsgegenerklärung noch dienstliche Äußerungen das Gegenteil bekunden, ist danach davon auszugehen, dass dem Angeklagten ein förmlicher Hinweis entsprechend § 265 StPO nicht erteilt wurde (zu dessen Erforderlichkeit vgl. BGH NStZ-RR 2004, 297 und NStZ 2009, 227). Dabei kann dahinstehen, ob der Zusatz in der Terminsladung hierfür ausreichend gewesen wäre, denn insoweit wurde dieser Hinweis nur dem Verteidiger, nicht aber dem Angeklagten erteilt, was aber gemäß § 265 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO (KK-StPO/Engelhardt, 6. Aufl., § 265 Rn. 19) erforderlich gewesen wäre.
3. Der Angeklagte konnte – anders als bei dem der Entscheidung BGH NStZ 1992, 249 zugrunde liegenden Sachverhalt – einen entsprechenden Hinweis auch nicht aus einem Gerichtsbeschluss entnehmen, wonach die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschlossen wurde; denn ein solches Gutachten war nicht vom Gericht, sondern noch vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben worden.
Nachdem sich insoweit weder aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, noch aus der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft und dienstlichen Äußerungen Hinweise hierauf ergeben, muss der Senat davon ausgehen, dass der Angeklagte aus dem Gang der Hauptverhandlung nicht unzweifelhaft und eindeutig entnehmen konnte, dass im Urteil gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte.

Und – was dann beim 1. Strafsenat überrascht:

4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil bezüglich der Anordnung der Sicherungsverwahrung auf dem Rechtsfehler beruht. Die Revision begründet überzeugend, dass der Angeklagte, wenn er vom Gericht einen entsprechenden Hinweis erhalten hätte, sich anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Insbesondere hätte er, abweichend von seiner Verteidigungsstrategie, weder Angaben zur Sache noch zu seinen persönlichen Verhältnissen zu machen, sich dann zur Sache eingelassen und auch Angaben zu den persönlichen Verhältnissen gemacht. Jedenfalls hätte er auch Angaben