Wie und was das Leben alles so spielt – so habe jedenfalls ich gedacht, als ich den BGH, Beschl. v. 02.05.2016 – 4 StR 133/16 – gelesen habe. Es geht um die Frage, ob ein Diplom-Psychologe wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses zu verurteilen war. Das LG Bochum hatte ihn von dem Vorwurf frei gesprochen. Es hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in Bochum in einer auf Autismuserkrankungen spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und dessen Kollegen wahr. Parallel hierzu fanden einmal monatlich „Bezugspersonengespräche“ statt, in deren Rahmen der Angeklagte der Nebenklägerin und ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der Therapiegespräche berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der Krankenkasse ab.
Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide, und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das Landgericht indes nicht fest-gestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Angeklagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu wöchentlichen Treffen, um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbeiten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf die Stirn ihres Gegenübers zu richten.
Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesverhältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte, beendete der Angeklagte den Kontakt.“
Der BGH hat sich dem LG angeschlossen. Die Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB lagen nicht vor. Die Nebenklägerin, also Mama, war dem Angeklagten, als es zu den sexuellen Handlungen kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut. Begründung:
- Jedenfalls keine zumindest „fürsorgerische Tätigkeit“ des Angeklagten gegenüber der Mutter (vgl. BGH NStZ 2012, 440 f.).
- Die Mutter war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung anvertraut im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rahmen sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Therapie ihrer Tochter berichtete. Solche Gespräche dienen/dienten lediglich der Information der Eltern der Patientin und werden – so der BGH – von § 174c StGB tatbestandlich nicht erfasst.