Länger nichts Neues mehr von der Verständigung (§ 257c StPO) gehört. Da kommt dann der BVerfG, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 BvR 1422/15 – gerade recht. Der reiht sich ein in die Reihe der Entscheidungen des BVerfG, mit der das Verfassungsgericht akribisch über die Einhaltung der Vorgaben seiner Rechtsprechung aus dem Urteil vom 19.03.2013 (BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058 = StRR 2013, 179) wacht. Und wieder ist es der BGH, der beim BVerfG angeeckt ist, und zwar dieses Mal der 1. Strafsenat, der sich bescheinigen lassen muss, dass seinem Beschl. v. 25.06.2015 – 1 StR 120/15, „eine Auslegung und Anwendung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO zugrunde[liegt], die den verfassungsrechtlichen Schutzgehalt der Vorschrift grundlegend verkennt und auch bei einer Gesamtschau (vgl. BVerfGE 133, 168 <200 Rn. 59>) als nicht mehr hinnehmbar erscheint.„
Ausgegangen ist das BVerfG von folgendem Sachverhalt: Es handelte sich um ein Verfahren wegen Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue. Bereits vor der Hauptverhandlung hatte es ein wegen des Widerspruchs der Staatsanwaltschaft erfolgloses Gespräch über eine höhenmäßige Beschränkung des Vermögensnachteils gem. § 154 a StPO gegeben. In der Hauptverhandlung stellte der Verteidiger dann mehrere Beweisanträge. Daraufhin kündigte die Staatsanwaltschaft an, einer Beschränkung des Verfahrens auf einen Schaden in Höhe von ca. 800.000 EUR zuzustimmen, wenn das Verfahren ohne die Erledigung weiterer Beweisanträge und damit ohne weitere Verzögerung der Hauptverhandlung abgeschlossen werden könne. Am folgenden Hauptverhandlungstermin erörterte der Vorsitzende mit den Verfahrensbeteiligten dann erneut die Frage einer solchen Verfahrensbeschränkung. Er wies darauf hin, dass „diesbezüglich keine (ausdrückliche oder gar konkludente) Absprache in Betracht komme“. Die Staatsanwaltschaft stimmte der Beschränkung zu, woraufhin der Pflichtverteidiger die gestellten Beweisanträge weitgehend zurücknahm. Das LG erließ einen entsprechenden Beschränkungsbeschluss. Daraufhin ließ sich der Angekalgte geständig ein. Der BGH hat die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen und das Vorliegen einer Verständigung wegen fehlenden Rechtsbindungswillen des Gerichts verneint.
Das sieht das BVerfG anders:
bb) Die Rücknahme der gestellten Beweisanträge und die beabsichtigte Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO standen im Sinne von Leistung und Gegenleistung zueinander. Eine solche synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen Handlungsbeiträge kennzeichnet ein Verständigungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 -, NStZ 2015, S. 535 <537>; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 43; Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 257c Rn. 7 f., 85 ff.; Schneider, NStZ 2015, S. 53 <54>).
Die wechselseitige Verknüpfung ergibt sich hier insbesondere aus dem Hinweis des Vorsitzenden auf die – seines Erachtens bestehende – Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, ihre Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen, wenn es nicht zu der erhofften Beschleunigung komme, und auf die Möglichkeit der Verteidigung, zurückgenommene Beweisanträge erneut zu stellen, wenn es umgekehrt nicht zu der erhofften Verfahrensbeschränkung komme. Ein derartiger Hinweis auf die möglichen Folgen einer enttäuschten Erwartung über das Prozessverhalten der jeweils anderen Seite setzt gerade voraus, dass die Zusage einer Rücknahme der Beweisanträge um der erhofften Zustimmung zu der angeregten Verfahrensbeschränkung willen erfolgen sollte und umgekehrt. Er stellt daher den Bestand einer Abrede nicht in Frage, sondern belegt ihn. Die beabsichtigte gegenseitige Zweckbindung wird zudem aus der Ankündigung der Staatsanwaltschaft in der E-Mail vom 16. Juli 2014 deutlich, wonach sie einer Verfahrensbeschränkung nur dann zustimmen werde, wenn das Verfahren ohne die Erledigung weiterer Beweisanträge und ohne weitere Verzögerung der Hauptverhandlung abgeschlossen werden könne. Dass dabei Endziel der Beteiligten nicht loß die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, sondern die Verfahrensbeschränkung selbst war, liegt auf der Hand.
Das Verfahrensgeschehen weist insoweit typische Merkmale einer Verständigung über Fortgang und Ergebnis des Verfahrens im Sinne des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO auf. Die Bemerkung des Vorsitzenden, eine ausdrückliche oder gar konkludente Absprache komme nicht Betracht, führt zu keiner anderen Bewertung. Es kommt insoweit nicht auf verbale Distanzierungen, sondern darauf an, was mit den Äußerungen und Verfahrenshandlungen unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und des Empfängerhorizonts den Umständen nach wirklich gemeint war (vgl. BGHSt 59, 21 <25 f.>). Danach bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Rücknahme der gestellten Beweisanträge und die beabsichtigte Verfolgungsbeschränkung im Verhältnis eines „do ut des“ zueinander standen. Da sich das Gericht und die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich außerhalb des gesetzlich geregelten Verfahrens verständigen wollten und verständigten, steht eine – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts auch ausdrücklich in der Revision gerügte – gesetzeswidrige informelle Absprache im Raum. …..
Das Gesetz hat zwar den Begriff der Verständigung nicht näher definiert. Die Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 13) verweist insoweit auf den allgemeinen Sprachgebrauch, wonach wesentliches Merkmal der Begriff des Einvernehmens sei. Dies bedarf hier indes keiner vertieften Erörterung. Denn das Erfordernis eines Rechtsbindungswillens in dem Sinne, dass sich die Beteiligten unwiderruflich und endgültig zu der fraglichen Handlung oder Entscheidung verpflichten müssten, ist dem gesetzgeberischen Regelungskonzept, wonach eine Verständigung gerade keine vertraglich bindende Vereinbarung darstellen soll (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8), jedenfalls fremd. Das Gesetz sieht in § 257c Abs. 4 StPO eine ausdrückliche Bindungswirkung nur für das Gericht, und dies auch nur in eingeschränktem Umfang vor (vgl. Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 257c Rn. 108 ff.). Ein Rechtsbindungswille kann aber nicht weitergehen, als das Recht eine Bindung vorsieht. Soweit sich der Generalbundesanwalt insoweit auf Ausführungen im strafrechtlichen Schrifttum beruft (vgl. Velten, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 4. Aufl. 2012, § 257c Rn. 10), ist zu bemerken, dass diese die in der Entscheidung BVerfGE 133, 168 vorgenommene präzisierende Auslegung des Verständigungsgesetzes noch nicht berücksichtigen konnten und im Übrigen nicht zwingend im dargestellten Sinne zu verstehen sind.“
Und das BVerfG setzt noch einen drauf = zeigt, dass es richtig „sauer“ ist, denn:
„dd) Diese Verkennung des Schutzgehalts des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO wiegt umso schwerer, als das Vorgehen des Landgerichts zudem eine unzulässige Absprache über den Schuldspruch besorgen lässt….“
Und zum Schluss: Warum heißt das Posting „Verständigungspantomime“?. Nun so hatte es der Angeklagte bzw. sein Verteidiger in der Verfassungsbeschweder formuliert, wo er ausgeführt hatte: „Auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens komme es dabei nach dem Gesetz nicht an, so dass der Generalbundesanwalt von einem falschen Maßstab ausgehe. Dieser habe zudem verkannt, dass der Hinweis des Vorsitzenden, keine ausdrückliche oder konkludente Verständigung zu wollen, eine „Verständigungspantomime“ kennzeichnen könne. Ein Beruhen des Urteils auf der Vereinbarung könne schon deswegen nicht ausgeschlossen werden, weil die durch die Verständigung festgestellte Schadenshöhe ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt worden sei.“ Mit der Aufnahme dieses Begriffs in die BVrefG-Entscheidung taucht der Begriff – so weit ich es übersehe – zum ersten Mal in der Rechtsprechung auf. Bisher gab es ihn nur in der Literatur, so u.a. in dem Beitrag von Landau in NStZ 2014, 425 – 431, einer Anmerkung zum BVerfG, Urt. v. 19.03.2013. Nun, wundert nicht, denn Landau hat beim vorgestellten Beschluss „mitgesessen“.