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StPO II: Besetzungsrüge, oder: Manipulationen wären möglich gewesen

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Die zweite Entscheidung ist dann der BGH, Beschl. v. 27.01.2020 – 1 StR 622/17 – zur Frage der zutreffenden Besetzung der Kammer/des Gerichts. ist ein bisschen kompliziert und auch recht lang.

Die Angeklagten waren gegen hier Verurteilung mit einer Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 StPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vorgegangen. Der lag folgenden Verfahrensablauf zugrunde:

„Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 25. März 2013 Anklage zur 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts. Nach Zustellung der Anklageschrift vermerkte der Vorsitzende der 2. Strafkammer, dass aufgrund der Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts eine Sonderzuständigkeit der 12. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer mit Blick auf die angeklagten Fälle der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gegeben sei und verfügte die Abgabe der Strafsache an die 12. Strafkammer. Die 12. Strafkammer übernahm am 19. Juli 2013 das Verfahren. Mit Schreiben vom 26. August 2013 zeigte der Vorsitzende der 12. Strafkammer die Überlastung der Strafkammer unter Darlegung der anhängigen Verfahren gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts an. In der Sitzung vom 29. August 2013 erörterte das Präsidium des Landgerichts die Überlastungssituation der 12. Strafkammer und stellte eine Entscheidung zunächst zurück. In der Sitzung vom 11. Oktober 2013 erörterte das Präsidium den hohen Auslastungsgrad bei den Wirtschaftsstrafkammern und die auf sie im Jahr 2014 voraussichtlich zukommenden Großverfahren und stellte die Prüfung der Einrichtung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer in Aussicht.

Nach weiteren Sitzungen beschloss das Präsidium schließlich am 17. Dezember 2013 den Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2014 ohne explizit auf die Belastungsanzeige der 12. Strafkammer einzugehen oder deren aktuelle Belastungssituation zu dokumentieren. Die 24. Strafkammer wurde im Rahmen der Geschäftsverteilung als weitere Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet und die bei ihr noch anhängigen Verfahren zum 1. Januar 2014 an eine andere Strafkammer übertragen. Darüber hinaus beschloss das Präsidium die 12. Strafkammer durch Übertragung bei ihr noch anhängiger Verfahren zum neuen Geschäftsjahr 2014 entsprechend nachfolgender Regelung zu entlasten: „Die am 31.12.2013, 24.00 Uhr, in der 12. Strafkammer anhängigen, im Zeitraum vom 02.02.2013 bis heute eingegangenen oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main erneut eingegangenen und noch nicht terminierten Strafverfahren in Wirtschaftsstrafsachen werden mit Wirkung vom 01.01.2014, 00.00 Uhr, von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen.“

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 23. Dezember 2013 leitete die 12. Strafkammer die vorliegende Strafsache der 24. Strafkammer unter Hinweis auf deren Zuständigkeit ab dem 1. Januar 2014 zu. Am 24. September 2014 beschloss die 24. Strafkammer in wesentlichen Anklagepunkten die Eröffnung des Hauptverfahrens.

In der Hauptverhandlung vom 12. März 2015 erhoben die Verteidiger der Revidenten vor der Vernehmung des ersten Angeklagten einen Besetzungseinwand (§ 222b Abs. 1 StPO). Sie beanstandeten die Übertragung des Strafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer, weil die Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG wegen fehlender Überlastung der 12. Strafkammer nicht vorgelegen haben sollen. Sie stützten ihre Begründung aufgrund unvollständiger Gewährung von Akteneinsicht und einer unzutreffenden Auskunft zu den Besetzungsunterlagen darauf, dass eine Überlastungsanzeige der 12. Strafkammer nicht vorgelegen habe. Nach Klarstellung des Umstands, dass die 12. Strafkammer am 26. August 2013 eine Überlastung gegenüber dem Präsidium angezeigt hatte, ergänzten die Revisionsführer rechtzeitig ihren Sachvortrag und rügten, dass es an einem hinreichenden Grund für die unterjährig erfolgte Änderung des Geschäftsverteilungsplanes fehle, weil die 12. Strafkammer zum Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung weder überlastet noch die 24. Strafkammer ungenügend ausgelastet gewesen sei (§ 21e Abs. 3 GVG). Zudem sei die vom Präsidium konkret gewählte Maßnahme zu beanstanden, denn die Anforderungen unter denen die Übertragung ausschließlich anhängiger Verfahren allenfalls noch zulässig sein könnte, seien nicht erfüllt gewesen.

Die 24. Strafkammer des Landgerichts stellte mit Beschluss vom 14. April 2015 gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO fest, dass „das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt“ sei. Der Besetzungseinwand der Angeklagten sei begründet, soweit das gegenständliche Strafverfahren durch die Entscheidung des Präsidiums des Landgerichts vom 17. Dezember 2013 von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen worden sei. Es handele sich zwar entgegen der Ansicht der Angeklagten nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2013, sondern um eine Entscheidung über die Jahresgeschäftsverteilung für das Jahr 2014. Gleichwohl sei auch im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung bei Änderung der Zuständigkeit bereits anhängiger Verfahren immer ein zwingender sachlicher Grund erforderlich. Die Entscheidung zur Übertragung bereits anhängiger Verfahren müsse generell gefasst sein und auch in die Zukunft wirken. Die relevanten Gründe seien zu dokumentieren. Diesen Anforderungen genüge der Präsidiumsbeschluss vom 17. Dezember 2013 nicht, weil keine Feststellungen zur konkreten Belastungssituation der 12. Strafkammer zum Entscheidungszeitpunkt getroffen worden seien und es zudem an einer abstrakt generellen, auch in die Zukunft gerichteten Regelung hinsichtlich der abzuleitenden Verfahren fehle. Die getroffene Regelung habe ausschließlich anhängige Verfahren zum Gegenstand, die von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen worden seien; eine Erstreckung auf weitere bis zum Wirksamwerden der neuen Jahresgeschäftsverteilung 2014 eingehende Sachen sei gerade nicht erfolgt, so dass im Ergebnis lediglich einzelne Verfahren umverteilt worden seien.

Nach Anhörung des Vorsitzenden der 12. Strafkammer, der die Zuständigkeit der 24. Strafkammer für das Strafverfahren aufgrund der Übertragung im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 weiterhin für gegeben erachtet hatte, beschloss das Präsidium des Landgerichts mit Blick auf „Meinungsverschiedenheiten“ über die Auslegung der Geschäftsverteilung am 29. April 2015, dass die 24. Strafkammer für das Strafverfahren zuständig sei. Durch die von der 24. Strafkammer gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO getroffene Feststellung, dass sie für das Strafverfahren nicht zuständig sei, werde das Präsidium des Landgerichts nicht gebunden. Die Übertragung des Strafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer sei wirksam erfolgt, weil im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung Bestände ohne weiteres umverteilt werden können, um starke Belastungsunterschiede zwischen den Strafkammern auszugleichen. Sachliche Gründe für die Änderung der Geschäftsverteilung hätten vorgelegen. Zudem sehe der Geschäftsverteilungsplan vor, dass bei einer Verteilung von Verfahren außerhalb des Turnus, eine Strafkammer, die über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden habe, weiter mit der Sache befasst bleibe, auch wenn sich ihre Unzuständigkeit nachträglich ergäbe. Unberührt hiervon blieben nur gesetzliche Zuständigkeitsregeln, „was die §§ 222a, 222b StPO“ nicht seien.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2015 stellte die 24. Strafkammer des Landgerichts ihre Unzuständigkeit erneut fest und legte das Verfahren dem Oberlandesgericht analog §§ 14, 19 StPO zur Entscheidung vor. Das Präsidium des Landgerichts sei nicht zur Entscheidung über die Zuständigkeit der 24. Strafkammer zuständig gewesen, weil keine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans vorgelegen habe, sondern eine bindende Feststellung der 24. Strafkammer im Verfahren nach § 222b StPO, dass sie nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.

Das Oberlandesgericht wies mit Beschluss vom 27. August 2015 den Antrag der 24. Strafkammer auf Bestimmung einer Zuständigkeit zurück. Die Vorlage sei unzulässig, da kein Kompetenzkonflikt vorgelegen habe. Über negative Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Spruchkörpern gleicher Art desselben Gerichts, die auf Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftsverteilung zurückzuführen seien, entscheide gemäß § 21e GVG bindend das Präsidium. Dem Verfahren sei durch die 24. Strafkammer des Landgerichts der Fortgang zu geben, auch wenn sie weiterhin der Meinung sei, sie sei nicht ordnungsgemäß besetzt.

Die 24. Strafkammer terminierte das Strafverfahren sodann ab dem 28. Januar 2016. Die Angeklagten erhoben erneut rechtzeitig den Besetzungseinwand, den das Landgericht nunmehr zurückwies. In der Sache hielt es an seiner Auffassung fest, für das Strafverfahren nicht zuständig zu sein, gab dem Verfahren gleichwohl seinen Fortgang und beendete die Hauptverhandlung durch Sachurteil.“

Der BGH sagt:

„Die von den Beschwerdeführern erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Die Übertragung des die Angeklagten betreffenden Verfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Diese war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen; das erkennende Gericht war somit nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 338 Nr. 1 StPO).

a) Allerdings ist die Übertragung des vorliegenden Wirtschaftsstrafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 nach allgemeinen, abstrakten und sachlich objektiven Merkmalen erfolgt. Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG. Das Präsidium des Landgerichts war mit Blick auf die Belastung der Wirtschaftsstrafkammern nicht gehindert, im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 eine weitere Wirtschaftsstrafkammer zu errichten und ihr bereits anhängige Verfahren einer anderen Wirtschaftsstrafkammer zuzuweisen, um eine gleichmäßige Auslastung der Strafkammern zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1982 – 2 StR 634/81 Rn. 13, BGHSt 30, 371 Rn. 13).

b) Die Besetzungsrüge dringt aber aus dem Grund durch, dass die Ableitung des vorliegenden Verfahrens aufgrund der vom Präsidium des Landgerichts getroffenen Regelung zu den Voraussetzungen der Übertragung des Verfahrens hinsichtlich der zeitlichen Festlegungen zu unbestimmt ist, so dass eine Manipulation der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern nicht ausgeschlossen ist mit der Folge, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 2 BvR 2023/16 Rn. 22 f.)…..“