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Hinten anstellen? oder: Nein, denn auch bei Überhaft muss man beschleunigen

AktenstapelSchon etwas länger hängt in meinem Blogordner der OLG Jena, Beschl. v. 28.05.2015 – 1 Ws 179/15, auf den ich dann heute bei der Suche nach „Blog-Entscheidungen“ wieder gestoßen bin. An sich nichts Besonderes, aber eine Haftentscheidung, die noch einmal die Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen betont/ins Gedächtnis ruft und zwar eben auch in sog. Überhaft-Sachen.

Das Beschleunigungsgebot findet grundsätzlich ungeachtet der geringeren Eingriffswirkung auch dann Anwendung, wenn ein Haftbefehl wegen Strafhaft in anderer Sache nicht vollzogen wird und lediglich Überhaft vermerkt ist (KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 112 Rdnr. 60 m. w. N.). Auch die Überhaft ist auf das sachlich vertretbare Mindestmaß zu beschränken; sie stellt einen Grundrechtseingriff für den Betroffenen dar, weil sich für diesen aus Gründen des Haftrechts Einschränkungen ergeben, wenn neben Strafhaft Untersuchungshaft angeordnet wird (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).

Dieser Konsequenz dürfen sich die Verfolgungsbehörden im Übrigen nicht dadurch entziehen, dass sie (zunächst) davon absehen, den Erlass eines „Überhaft-Haftbefehls“ herbeizuführen, und diesen erst bei Herannahen des Endes einer in anderer Sache verbüßten Haft beantragen (vgl. BVerfG StV 2006, 251; Senatsbeschluss vom 08.05.2014, 1 Ws 167/14; OLG Koblenz, Beschluss vom 09.12.2010, Az. 1 Ws 569/10, bei juris). Ein sog. Aufsparen („Vorrätighalten“) von Tatvorwürfen (während anderweitig laufender Haft) für einen zusätzlichen Haftbefehl zulasten des Beschuldigten ist damit unzulässig (KK-Schultheis, a. a. O., § 120 Rdnr. 10 a. E.).“

Und insoweit hatte das OLG dann Bedenken, die zur Aufhebung eines Haftbefehls wegen Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebotes – 18 Monate nach Anklageerhebung und noch nicht möglicher Terminierung der Hauptverhandlung – geführt haben:

„Begegnet es nach dem Vorstehenden bereits Bedenken, dass der Haftantrag der Staatsanwaltschaft – unter ausdrücklichem Hinweis auf eine in Betracht zu ziehende Beendigung der (anderweitigen) Strafhaft durch Reststrafenaussetzung – erst im Januar 2014, also deutlich nach Anklageerhebung im Oktober 2013 und insbesondere nach Vorliegen des polizeilichen Schlussberichts vom 05.04.2013, gestellt wurde, ist jedenfalls mit den weiteren, im Zwischenverfahren entstandenen Verzögerungen die Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung nicht mehr gewahrt.

Insbesondere lassen die dem Senat vorgelegten Akten nicht erkennen, aus welchem Grunde vom Eingang des psychiatrischen Gutachtens vom 10.08.2014 bei Gericht Mitte August 2014 bis zur Eröffnungsentscheidung am 12.02.2015 das Verfahren nicht gefördert worden ist. Dass die Kammer „genügend andere Sachen zu verhandeln hatte, in denen auch tatsächlich Untersuchungshaft vollzogen wurde“ rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine andere Beurteilung. Denn für die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes kommt es letztlich nur darauf an, ob die Verzögerung den Justizorganen – gleich welchen – anzulasten ist. Es ist Sache des Staates, in Erfüllung der Justizgewährungspflicht für eine ausreichende personelle Ausstattung der mit Haftsachen befassten Gerichte zu sorgen, damit insbesondere Haftsachen in angemessener Zeit verhandelt werden können (BVerfG NJW 2003, 2895 f, bei juris, Rdnr. 20 m. w. N.; Senatsbeschluss vom 09.10.2014, Az. 1 Ws 459/14).

„Sehr schön“ (?) die Formulierung, die das OLG – offenbar aus einer Stellungnahme der Strafkammer zitiert: „Dass die Kammer „genügend andere Sachen zu verhandeln hatte,….„. Das heißt: Hinten anstellen…… Nur, so geht es im Haftrecht nicht. Zur Not muss die Verwaltung dann eben für mehr Kammern sorgenb, die verhandeln können.

Pflichtverteidiger aus dem Internet? – Ortsansässiger Fachanwalt reicht

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Um die Frage, ob der Bestellung eines auswärtigen Pflichtverteidiger ein i.S. des § 142 Abs. 2 Satz 2 StPO „wichtiger Grund“ entgegensteht, ist vor einiger Zeit mal wieder beim OLG Jena gestritten worden. Als „wichtiger Grund“ war vom LG Mülhausen die sog. Ortferne“ angeführt worden, dass der Kanzleisitz des in Aussicht genommenen Plfichtverteidigers lag 450 km vom LG entfernt.

Das OLG Jena sagt im OLG Jena, Beschl. v. 10.10.2014 – 1 Ws 453/14 – „zu weit“, worüber man m.E. in Zeiten der digitalen Kommunikation grundsätzlich streiten kann. Aber es kam/kommt hinzu: Das OLG stellt weiter darauf ab: Auch kein besonderes Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu dem in Aussicht genommenen Pflichtverteidiger, denn:

Hiervon ausgehend rechtfertigen auch im vorliegenden Fall die von dem Kammervorsitzenden dargelegten Umstände in ihrer Gesamtheit die Ablehnung der Beiordnung des von dem Angeschuldigten benannten Verteidigers Rechtsanwalt Dr. B. Insbesondere ist die Erwägung zutreffend, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis des Angeschuldigten zu Rechtsanwalt Dr. B. weder plausibel dargelegt ist noch sonst angenommen werden kann. Dies gilt uneingeschränkt auch für den Zeitpunkt der Antragstellung vom 28./29.07.2014, auf welchen nach Auffassung des Senats abzustellen ist. Aus dem eigenen Vorbringen des Angeschuldigten ergibt sich vielmehr, dass er – nach am 25.07.2014 erfolgter Zustellung der Anklage mit der Aufforderung, einen Verteidiger zu benennen – durch eine Internet-Recherche auf die unter www…de auftretende Kanzlei S. & Partner und hier auf Rechtsanwalt Dr. B. aufmerksam geworden sei. Die Auswahl beruhte mithin offensichtlich auf einer bloßen, für den Angeschuldigten inhaltlich schwerlich überprüfbaren und insgesamt kanzleibezogenen Werbeaussage. Das Mandatsverhältnis wurde ausweislich der vorgelegten Vollmachtsurkunde am 25.07.2014, dem Tag der Zustellung der Anklage, begründet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rechtsanwalt Dr. B– allenfalls Kenntnis von der Anklageschrift. Dafür, dass es bereits zuvor ein „vertrauensbegründendes“ Mandatsverhältnis (auch in anderer Sache) gab oder dass es bis zu dem erläuternden Schreiben des Angeschuldigten vom 07.08.2014 einen persönlichen Kontakt zum Verteidiger – etwa in Form eines persönlichen Beratungsgesprächs – gegeben hat, ist nichts ersichtlich; dies wurde weder von dem Angeschuldigten noch von Rechtsanwalt Dr. B., der im Übrigen erst nach Zusendung der am 05.08.2014 in seiner Kanzlei eingegangenen Akten Einsicht in diese nehmen konnte – substantiiert vorgetragen.

Auch der von dem Angeschuldigten hervorgehobene Aspekt der – allerdings mit dem Beschwerdevorbringen nicht näher belegten – besonderen Spezialisierung der Kanzlei des Verteidigers auf Sexualstraftaten gebietet ungeachtet der Schwere der Schuldvorwürfe nicht die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. B. Vielmehr sind Verfahren mit entsprechenden Tatvorwürfen – Sexualstraftaten gegenüber Kindern – (bedauerlicher Weise) in großer Zahl vor den Landgerichten in der Bundesrepublik Deutschland zu verhandeln. Die Bewertung der Kammer, dass weder die materiell-rechtliche Problematik dieser Delikte noch die besondere prozessuale Situation der Beurteilung von Kinderaussagen Besonderheiten darstellen, die nur von einer ca. 450 Kilometer entfernten Kanzlei sachgerecht bewältigt werden könnten, und dass die Verteidigungsrechte des Beschuldigten auch durch im näheren Umkreis zu findende versierte Fachanwälte für Strafrecht ordnungsgemäß gewahrt werden können, ist zutreffend.

Nur ergänzend sei angemerkt, dass Rechtsanwalt Dr. B in der Internetpräsentation der Rechtsanwaltskanzlei pp. & Partner gerade nicht mit dem ausdrücklichen Tätigkeitsschwerpunkt Sexualstrafrecht, sondern als „erfahrener Strafverteidiger und promovierter Verfassungsrechtler mit Spezialisierung auf die Überprüfung erstinstanzlicher Urteile“ und als „Experte auf dem Gebiet des Betäubungsmittelstrafrechtes“ vorgestellt wird.

Und das war es dann. Im Übrigen hält auch das OLG offenbar, viel von den ortsansässigen Fachanwälten für Strafrecht:

„Die Bewertung der Kammer, dass weder die materiell-rechtliche Problematik dieser Delikte noch die besondere prozessuale Situation der Beurteilung von Kinderaussagen Besonderheiten darstellen, die nur von einer ca. 450 Kilometer entfernten Kanzlei sachgerecht bewältigt werden könnten, und dass die Verteidigungsrechte des Beschuldigten auch durch im näheren Umkreis zu findende versierte Fachanwälte für Strafrecht ordnungsgemäß gewahrt werden können, ist zutreffend.“

Frage: Was bedeutet „Verhandeln“?

GeldsackDas RVG verwendet in Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG bei der Vernehmungsterminsgebühr den Begriff des „Verhandelns“. Danach entsteht die Terminsgebühr (nur) für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung , in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird. Was ist nun ein „Verhandeln“ i.S. dieser Vorschrift. Da gehen die Meinungen auseinander.

Weitgehend einig ist man sich, dass bloß die Verkündung des Haftbefehls, z.B. in einem reinen „Verkündungstermin“ nicht zum Anfall der Gebühr führt, wohl aber die Teilnahme des Verteidigers an einem Haftprüfungstermin. Da scheiden sich dann aber die Geister, wann man es denn mit einem Haftprüfungstermin zu tun hat. Dazu hat jetzt noch einmal das OLG Jena im OLG Jena, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 Ws 344/13:

„Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG sieht eine Terminsgebühr (nur) für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung vor, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird. Ein „Verhandeln“ liegt nicht vor, wenn nur ein Haftbefehl verkündet wird. Reine Haftbefehlsverkündungstermine werden daher nicht gesondert honoriert; vielmehr entsteht eine Terminsgebühr nur, wenn in dem Termin mehr geschehen ist als die bloße Haftbefehlsverkündung (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2008, (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07); OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2006, 2 (s) Sbd 9 – 117/06; OLG Hamburg, Beschluss vom 21.02.2006, Ausl 24/05; OLG; Gerold/Schmitt-Burhoff, RVG, 20. Aufl., VV 4102 Rn. 13). Ein „Verhandeln“ über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft ist insbesondere nicht schon dann gegeben, wenn der Verteidiger dem inhaftierten Angeklagten bei dessen Vorführung vor dem Haftrichter lediglich anrät, keine Angaben zur Sache zu machen und dieser hierauf schweigt (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts Meiningen verwiesen.

 Das Landgericht hat im Übrigen zu Recht angenommen, dass die Terminsgebühr auch nicht nach Nr. 4102 Ziff. 1 VV RVG entstanden ist, nach dem eine Terminsgebühr für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen anfällt. Denn allein das Gewähren von rechtlichem Gehör an einen von der Möglichkeit zur Äußerung keinen Gebrauch machenden Angeklagten macht aus einer Vorführung noch keine „Vernehmung“ (vgl. Gerold/Schmitt-Burhoff, a.a.O. Rn. 9).“

Kann man auch anders sehen – und wird zum Teil in der Rechtsprechung auch anders gesehen.

 

Entweder-Oder – „Grenzwert“ nicht erreicht? Dann ist es kein § 24a Abs. 2 StVG.

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Nach der Änderung der Rechtsprechung des BVerfG zu § 24a Abs. 2 StVG aus Dezember 2012 kommt es für die Erfüllung des Tatbestandes der „Drogenfahrt“ auf das Erreichen des sog. analytischen Grenzwertes an. Ist der nicht erreicht, liegen die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG – jedenfalls nach h.M. – nicht vor. Maßstab für den Grenzwert sind die von der sog. Grenzwertekommission ermittelten Werte. Auf diese h.M. hat noch einmal der – schon etwas ältere – OLG Jena, Beschl. v. 23.02.2012 – 1 Ss Bs 92/11 – hingewiesen:

Gleichwohl ist der Schluss gerechtfertigt, dass auf eine unterhalb des analytischen Grenzwerts und damit auf eine nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand unterhalb der Grenze sicherer Nachweisbarkeit liegende Konzentration einer berauschenden Substanz eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG nicht gestützt werden kann. Dies gilt nicht deshalb, weil bei Feststellung von Wirkstoffkonzentrationen unterhalb der jeweiligen analytischen Grenzwerte eine Rauschwirkung ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist in diesem Fall ein nach wissenschaftlichen Maßstäben hinreichend zuverlässiger Nachweis der Substanz im Blut, der eine Verurteilung tragen könnte, nicht erbracht.

Und es gilt das „Entweder-oder-Prinziop“. Es „helfen“ dann auch keine Ausführungen zu Ausfallerscheinungen.

Diese Ausführungen sind schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie die Funktion der analytischen Grenzwerte als Qualitätsstandards verkennen, welche die jeweilige Untergrenze sicherer Nachweisbarkeit von Substanzen beschreiben. Ist der analytische Grenzwert einer Substanz nicht erreicht, ist ein nach derzeitigen wissenschaftlichen Maßstäben zuverlässiger und damit eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG tragender Nachweis der Substanz im Blut nicht erbracht. In diesem Falle sind weitere Ausführungen über Anzeichen für eine persistierende Drogenwirkung weder veranlasst noch zulässig, was teilweise auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung, welche die Funktion der analytischen Grenzwerte als bloße Qualitätsstandards betont, außer Acht gelassen wird (vgl. OLG München, aaO.).

Eine Entscheidung nach dem Prinzip des „Entweder-oder“ in Bezug auf das Erreichen der analytischen Grenzwerte ist darüber hinaus deshalb geboten, weil es unterhalb dieser Grenzwerte – anders etwa als bei Alkohol im Bereich zwischen 0,3 und 1,1 Promille – keine Erfahrungssätze des Inhalts gibt, dass bestimmte (Ausfall-)Erscheinungen Folge fortbestehender Rauschmittelwirkung sind.“

Das war es dann beim OLG – Freispruch.

1 Jahr 9 Monate minus 10 Monate = noch 11 Monate = Fluchtgefahr?

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Die Frage, ob die der Straferwartung so hoch, dass sie einen Beschuldigten/Angeklagten zur Flucht führt und damit die Annahme von Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gerechtfertigt ist, stellt sich insbesondere häufig dann, wenn die Strafe nicht (sehr) hoch ist, aber der Beschuldigte/Angeklagte bereits einige Zeit in U-Haft verbracht hat, was dann über § 51 StGB angerechnet werden muss. Dann geht es um die Reststrafenerwartung und darum, ob die noch so hoch ist, dass die Annahme von Fluchtgefahr begründet ist. In meinen Augen tun sich die OLG damit schwer, die Frage zu verneinen. So auch der OLG Jena, Beschl. v.25.06.2012 – 1 Ws 291/12.

Das LG hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt. Es sind bereits mehr 10 Monate U-Haft vollzogen worden, so dass noch eine Reststraferwartung von unter 11 Monate besteht. Die reicht dem OLG aber aus, um Fluchtgefahr anzunehmen.

Auch wenn zurzeit bereits mehr als 10 Monate Untersuchungshaft anzurechnen sind, geht von der Gesamtstraferwartung, die sich durch das Urteil des Amtsgerichts Weimar auf 1 Jahr und 9 Monate konkretisiert hat, weiterhin ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus. Dass es bei Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu einer deutlichen Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe kommen könnte, ist derzeit nicht zu erkennen. Dafür, dass es sich bei dem Angeklagten hinsichtlich der Tat vom 10,8.2011 um eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person gehandelt hat, die durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet worden ist, so dass ein in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellender und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensierender Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt (vgl. BGHSt 45, 321 ff), ist angesichts der Einlassungen des Angeklagten im Termin zur Verkündung des Haftbefehls, im Haftprüfungstermin und in der Hauptverhandlung nicht zu erkennen. Die derzeitige Beweislage spricht vielmehr dafür, dass der Angeklagte sich völlig unabhängig von jeglicher Beeinflussung durch die Vertrauensperson „Paulus“ bereits zuvor das später an diesen abgesetzte Betäubungsmittel zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs von einem Dritten verschafft hatte. Der Angeklagte war mithin bereits grundsätzlich bereit, den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu begehen, bevor die Vertrauensperson „Paulus“ bei ihm am 10.8.2011 24,2 Gramm Methamphetamin gekauft hat, hatte also bereits mit Erlangen des Methamphetamins zum Zwecke des Weiterverkaufs den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt.

 Gewichtige Umstände, die geeignet wären, dem Fluchtanreiz wirksam zu begegnen, sind nicht ersichtlich.  Die Ausführungen der Beschwerde, wonach der Angeklagte sich nur nicht in der Gemeinschaftsunterkunft aufgehalten habe, da er bei seiner Lebensgefährtin gewohnt habe, er sich in der Gemeinschaftsunterkunft wieder anmelden wolle und er im Falle einer Flucht seines Rechtsmittels verlustig ginge, sind nicht geeignet, hinreichend Vertrauen zu begründen, der Angeklagte werde sich dem weiteren Straf- bzw. Vollstreckungsverfahren nicht entziehen. Im Hinblick auf die Vorstrafen des Angeklagten, der schon mehrfach Strafhaft verbüßt hat und ausweislich des Zentralregisterauszugs bereits fünfmal teils erheblich vorbestraft ist, erscheint insbesondere der mögliche Verlust des Rechtsmittels im Vergleich zu der Höhe des bei Eintritt der Rechtskraft noch zu verbüßende Strafdauer als den Fluchtanreiz minderndes Mittel untauglich.

M.E. keine tragfähige Begründung, warum denn nun gerade dieser geringe Strafrest ausreichend für die Annahme sein soll, der Angeklagte werde, wenn er auf freien Fuß kommt, fliehen. Ich verkennen nicht, dass der Angeklagte russischer Staatsangehöriger ist, also vermutlich keine Schwierigkeiten hätte, in seinem Heimatland unterzutauchen und zu leben. Aber wenn das (auch) Grund für die Annahme von Fluchtgefahr sein soll, dann sollte man es auch schreiben.