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Das alles beherrschende Thema der letzten Tage ist natürlich der Auftakt im Münchner NSU-Verfahren. Es war zu erwarten, dass es in der Presse – aber auch in den Blogs – erneut hoch hergehen würde – das Interesse wird sicherlich mit zunehmender Verfahrensdauer abnehmen. Ich habe länger überlegt, ob ich ich mich auch in die Reihe derjenigen einreihen soll, die etwas mehr oder weniger Bedeutendes beitragen (wollen).
Nun, ich habe mich dann doch dazu entschlossen, und zwar weil mir in der heutigen Berichterstattung ein Begriff sauer aufgestoßen ist. Nämlich der wohl von der „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“, Barbara John, gebrauchte Begriff des „Vergraulprogramms“ (vgl. u.a. hier). Ich akzeptiere, dass Frau John dem „Lager“ der Hinterbliebenen angehört. Ich akzeptiere auch, dass das natürlich dazu führt, dass man deren Interessen besonders im Blick hat. Aber:
Ich kann aber nicht akzeptieren, dass nun das Verhalten des Gerichts – und damit inzidenter auch das der Verteidiger – als „Vergraulprogramm“ angesehen/bezeichnet wird. Die „dauernden Verschiebungen“ sind, liebe Frau John, doch nichts Besonderes. Die erleben wir in jedem Großverfahren und sie sind der StPO geschuldet. Und Verschiebungen haben Nebenkläger/Hinterbliebene in anderen Verfahren auch zu ertragen. Da von „Vergraulprogramm“ zu sprechen, liegt m.E. neben der Sache und zeigt, dass man sich offenbar nicht so richtig mit dem was zu erwarten war, vorab mal befasst hat.
Bisher kann ich weder von der Verteidigung noch vom Gericht Verzögerungen erkennen, die nicht prozessbezogen wären. Dass die Verteidigung einen Ablehnungsantrag stellen würde – ja musste – war zu erwarten. Es nicht zu tun nach der Diskussion um die Durchsuchung der Verteidiger, wäre m.E. ein Fehler gewesen, man muss sich eben alle prozessualen Möglichkeiten offen halten. Dass das Gericht darüber nicht sofort entscheiden würde – quasi aus der Hüfte geschossen – war auch zu erwarten; ob man deshalb eine Woche unterbrechen muss, ist eine andere Frage, aber das hat man hinzunehmen.
Deshalb nun von einem „Vergraulprogramm“ zu sprechen und dem Gericht und der Verteidigung Vorwürfe zu machen, man würde das Verfahren verschleppen, wie es u.a. auch einer der Nebenklägervertreter getan hat, liegt neben der Sache (ob der Kollege nun gleich „Amateur“ ist, wie der Kollege Siebers meint – vgl. Nebenklage – Amateure – lasse ich mal dahinstehen).
Und: Ich brauche ganz bestimmt auch keine „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“, die das Gericht auffordert „möglichst schnell die Anklageschrift zu verlesen“. Liebe Frau John, noch haben wir die StPO, an die sich das OLG und – ich bin davon überzeugt – auch die Verteidiger von Beate Zschäpe halten werden/müssen. Und die sieht einen bestimmten Zeitpunkt für die Verlesung der Anklage vor. An dem kann – zum Glück – auch eine „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“ nicht ändern. Zudem wäre es m.E. fatal, wenn nach all den Fehlern, die gemacht worden sind, nun „kurzer Prozess gemacht würde“. Denn eins darf man – bei allem Mitgefühl mit den Angehörigen der Getöteten – nicht vergessen – ich zitiere aus der gestrigen Presserklärung der Strafverteidigervereinigung NRW e.V.:
„…Auch und selbstverständlich auch für die Angeklagten dieses Verfahrens gelten die Unschuldsvermutung und der Zweifelsgrundsatz, demzufolge ein Beschuldigter erst schuldig ist, nachdem seine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist.
Die im Zentrum des Strafverfahrens und des staatlichen Strafanspruchs stehende Person ist der Angeklagte. Er ist Prozesssubjekt. Dies gilt mit allen Rechten auf rechtsstaatliche und effektive Verteidigung auch für die Angeklagten dieses Verfahrens.
Die Strafverteidigervereinigungen lehnen eine Teilhabe von Nebenklägern und ihren Vertretern am Strafverfahren mit allen Rechten, wie sie auch Verteidiger haben, ab, da dies die Rechte von Verteidigung tangiert und in Extremfällen, zu denen dieses Hauptverfahren gehören mag, marginalisieren kann. Das deutsche Strafverfahren folgt der Offizialmaxime und ist nicht Parteiprozess wie der angloamerikanische. Ein Verfahren, in dem den von bis zu maximal zulässigen drei Verteidigern verteidigten Angeklagten neben den Anklagevertretern etwa 70 Nebenklagevertreter gegenüber sitzen, begründet bereits auf den ersten Blick die Sorge eines Verstoßes gegen die Gebote des fair trial.
Die Hauptverhandlung ist der Ort ausschließlich der Klärung der Frage der Schuld der Angeklagten unter Wahrung der Gebote des fair trial und der Unschuldsvermutung. Sie ist nicht der Ort geschichtlicher Aufarbeitung oder der Abrechnung mit mannigfaltigem Versagen von Strafverfolgungsbehörden. Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständliches Recht der Angeklagten zu schweigen und die selbstverständliche Wahrnehmung gebotener Verteidigeraufgaben, in begründeten Fällen etwa Befangenheitsanträge gegen Gerichtspersonen zu stellen. Verteidigerverhalten hat sich allein und ausschließlich an der bestmöglichen Verteidigung zu orientieren, nicht an öffentlichen Erwartungen, der Befindlichkeit Angehöriger der Opfer oder dem publizistischen Mainstream.“