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OLG redet Tacheles – Grundkurs beim Verwerfungsurteil, oder: So nicht…

Gleich im ersten OWi-Beschluss des Jahres – 1 ssRs 1/12 – hat sich die Vorsitzende des 1. Strafsenats – Senat für Bußgeldsachen – des OLG Koblenz einen Amtsrichter zur Brust genommen. Offenbar kein Einzelfall seine dem OLG-Beschluss zugrunde liegenden Entscheidung, anders lassen sich die deutlichen Worte des OLG nicht erklären. Es geht im Grunde um eine „ausgeschriebene“, ganz einfache Frage, nämlich die nach den Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG. Aber beim AG Linz hatte das OLG wohl dennoch Anlass zu einem kleinen Grundkurs zu den anstehenden Fragen, wenn es im OLG Koblenz, Beschl. v. 16.01.2012 – 1 SsRs 1/12 „ergänzend bemerkt“:

Ergänzend bemerkt der Senat, dass dem Bußgeldrichter des erkennenden Amtsgerichts offensichtlich die Bedeutung der §§ 73, 74 Abs. 2 OWiG nicht bewusst ist. Nach der Formulierung „Das persönliche Erscheinen war angeordnet“ in den Urteilsgründen ist zweifelhaft, ob dem Richter der Sinn der Neufassung des § 73 OWiG durch das OWiGÄndG vom 26. Januar 1998, gültig ab 1. März 1998 bekannt ist. Weiter scheint dem Richter nicht klar zu sein, dass die Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht nicht in seinem Ermessen liegt (vgl. auch Senatsentscheidung vom 17.11.2011, 1 SsRs 137/11), sondern anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (Göhler, a.a.O. § 73 Rdnr. 5). Offensichtlich meint der Richter auch — insoweit fehlerhaft (vgl. Senatsbeschluss vom 02.10.2003, 1 Ss 279/03, ZfSch 2004, 90) — eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG könne immer dann getroffen werden, wenn weder der entschuldigte oder unentschuldigte Betroffene noch der Verteidiger in der Hauptverhandlung erschienen sei. Nach § 74 Abs. 1 OWiG ist aber gegen den nicht erschienen Betroffenen, der von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden war, in seiner Abwesenheit zu verhandeln, auch wenn kein Verteidiger erschienen ist (Göhler, a.a.O., § 74 Rdnr. 9).

Vielleicht hilft es ja…

LG Essen: Keine Disziplinierung durch Haftbefehl

Was immer wieder übersehen wird:  Der Haftbefehl nach den §§ 230 Abs. 2, 236 StPO erfüllt im Strafbefehlsverfahren nicht den Selbstzweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden. Vielmehr soll er (nur) die Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht und der gestalterischen Vorstellungen des Tatrichters sichern – so das LG Essen jetzt in einem Beschluss vom 13.10.2009 – 51 Qs 86/09.

Ein Haftbefehl im Strafbefehlsverfahren ist danach daher unverhältnismäßig, wenn das Gericht die Hauptverhandlung trotz Nichterscheinens des Angeklagten ohne gravierende Einbußen der Wahrheitsfindung durchführen kann. Dabei sind auch die Umstände, die der Zumutbarkeit des Erscheinens des Angeklagten entgegenstehen, zu berücksichtigen.

Interessante Entscsheidung zu einer Problematik, in deren Bereich in der Praxis immer wieder Fehler gemacht werden.