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Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren, die zweite, oder: Nicht rechtzeitiges Vorbringen missbräuchlich?

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Und dann im zweiten Posting noch einmal etwas zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren, nach Einstellung des Verfahrens. Es geht um die Frage des rechtzeitigen Vorbringens.

Dem Betroffenen wurde eine angeblich am 27.07.2022 begangene Geschwindigkeitsüberschreitungvorgeworfen. Mit Schreiben vom 31.08.2022 wurde er als Halter des Fahrzeuges unter der Anschrift pp. angehört. Eine Reaktion auf das Anhörungsschreiben erfolgte nicht. Ohne weitere Ermittlungen wurde dann am 27.10.2022 Bußgeldbescheid erlassen und Zustellungsauftrag an diese Adresse erteilt. Der Bußgeldbescheid konnte nicht zugestellt werden, da nach Auskunft des Zustellers kein Briefkasten vorhanden war. Die Zustellung des Bußgeldbescheides über die örtliche Polizei verlief ebenfalls ergebnislos. Der tatsächliche Aufenthaltsort des Betroffenen konnte nicht ermittelt werden. Lediglich eine Erreichbarkeit über Postfach wurden bekannt. Daher wurde die öffentliche Zustellung des Bußgeldbescheides angeordnet.

Mit Schreiben vom 30.01.2023 wurde dem Betroffenen erneut unter der Anschrift eine kostenpflichtige Mahnung übersandt. Mit Schriftsatz vom 09.02.2023 zeigte sein Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung durch den Betroffenen an, beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte gleichzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Der Betroffene bestritt, Fahrer des Fahrzeuges zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein. Dem Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen wurde stattgegeben. Ein Foto des Betroffenen wurde vom Einwohnermeldeamt angefordert. Mit Schreiben vom 02.03.2023 wurde das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt und der Bußgeldbescheid vom 27.10.2022 aufgehoben.

Mit Schriftsatz vom 06.03.2023 beantragte der Verteidiger eine Kostenentscheidung gemäß §§ 46 Abs. 1, 105 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO zu treffen und die Kosten festzusetzen. Das wurde abgelehnt mit der Begründung ab, dass der Betroffene nicht rechtzeitig entlastende Umstände vorgebracht habe, insbesondere, dass er nicht der verantwortliche Fahrzeugführer zum Feststellungszeitpunkt gewesen sei, ab. Dagegen dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der mit dem AG Oranienburg, Beschl. v. 01.06.2023 – 13g OWi 264/23 – Erfolg hatte:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er ist auch begründet.

Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a Abs. 1 StPO hat die Verwaltungsbehörde bei Einstellung des Verfahrens nach Rücknahme eines Bußgeldbescheides durch sie über notwendigen Auslagen des Betroffenen zu entscheiden. Die Verwaltungsbehörde hat den Bußgeldbescheid zurückgenommen und das Verfahren sodann aufgrund des fehlenden hinreichenden Tatverdachtes eingestellt. Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a Abs. 1 StPO sind in diesem Fall in der Regel die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzulegen. Gemäß § 109a Abs. 2 OWiG kann davon abgesehen werden, die Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, welche durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätten vermieden werden können. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Verwaltungsbehörde die verschwiegenen Umstände bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung selbst hätte erkennen können (AG Aschaffenburg, Beschluss vom 31.05.2001 – 4 OWi 440/01, DAR 2002, 136). Zudem ist für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG nur Raum, wenn das nicht rechtzeitige Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 16.08.2013 – 2 BvR 864/12, NJW 2013, 3569).

Im vorliegenden Fall ist bereits angesichts der Unzustellbarkeit des Bußgeldbescheides des Betroffenen sowohl postalisch als auch durch die Polizei nicht nachweisbar, dass der Betroffene vor der Mahnung überhaupt von dem Bußgeldverfahren Kenntnis hatte und daher vor Erlass des Bußgeldbescheides und vor Beauftragung seines Verteidigers den tatsächlichen Fahrzeugführer benennen konnte. Darüber hinaus wäre es der Verwaltungsbehörde auch vor dem Erlass des Bußgeldbescheides durch Abgleich eines Fotos des Betroffenen mit dem Foto der Messung möglich gewesen, die Nichtidentität des Halters festzustellen. Das Vorbringen entlastender Umstände hätte es also nicht bedurft. Damit waren die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“