Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um eine verwaltungsgerichtliche, und zwar um OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.11.2020 – 9 LA 115/20. Er steht in Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen bei den VG, hat aber m.E. ggf. Bedeutung darüber hinaus.
Entschieden worden ist über die Frage, ob die Kontaktdatenerfassung von Besuchern einer Gerichstverhandlung gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstößt. Das OVG hat die Frage verneint:
„Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
Gemäß § 55 VwGO i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Verhandlung öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind (siehe nur BVerwG, Beschluss vom 20.7.2016 – 8 B 1.15 – juris Rn. 12). Der Kläger meint, dieser Grundsatz sei vorliegend verletzt worden, da das Verwaltungsgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen habe, es sei angewiesen, die Kontaktdaten der Gerichtsbesucher aus Gründen des Infektionsschutzes zu erfassen. Dies und die Umsetzung dieser Praxis seien geeignet gewesen, potentielle Zuhörer von dem Besuch einer mündlichen Verhandlung abzuhalten. Es könne „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse von Personen geben, bei einem Termin zuhören zu wollen, aber nicht angeben zu wollen, wer sie sind und wo sie wohnen.“ Die derzeitige Corona-Pandemie könne diese Maßnahme nicht rechtfertigen. Sie sei auch durch die niedersächsischen Corona-Verordnungen nicht gedeckt.
Mit diesem Vorbringen dringt der Kläger, der einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gerügt hat (§ 173 VwGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO; vgl. zur Rügenotwendigkeit etwa OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 26.3.2010 – OVG 3 N 33.10 – juris Rn. 4), nicht durch.
Soweit er auf Regelungen der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 (GVBl. S. 97) Bezug nimmt, ist dem Kläger zwar darin zuzustimmen, dass diese den Gerichten keine Pflicht zur Erfassung der Kontaktdaten ihrer Besucher auferlegt. Nach § 3 Nr. 15 der Verordnung ist der Besuch von Gerichten unter den Voraussetzungen des § 2 – zu denen die Erfassung von Kontaktdaten nicht zählt – ausdrücklich zulässig. Dies schließt eine solche Erfassung jedoch – anders als der Kläger meint – nicht aus. § 11 der Verordnung erlaubt es den örtlich zuständigen Behörden, weitergehende Anordnungen zu treffen, soweit es im Interesse des Gesundheitsschutzes zwingend erforderlich ist und den sonstigen Regelungen der Verordnung nicht widerspricht. Der Kläger hat weder nachvollziehbar dargelegt noch ist es sonst offensichtlich, dass die Erfassung von Kontaktdaten in weiteren als in der Verordnung bereits vorgesehenen Bereichen mit den Regelungen dieser Verordnung nicht in Einklang zu bringen wäre. Hiergegen spricht vor allem, dass die Gerichte kraft ihres Hausrechts gemäß § 16 des Niedersächsischen Justizgesetzes ohnehin die Befugnis besitzen, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der (auch gesundheitlichen) Sicherheit im Dienstgebäude zu treffen (vgl. für die vergleichbare Rechtslage in Schleswig-Holstein OVG SH, Beschluss vom 22.7.2020 – 5 LA 223/20 – juris Rn. 20). Dass auch Gerichte zur Erfassung der Kontaktdaten befugt sind, ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 7. Oktober 2020 (GVBl. S. 346) klargestellt worden. Die Regelung befindet sich inhaltsgleich auch in § 5 Abs. 2 Satz 1 der aktuell gültigen Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 30. Oktober 2020 (GVBl. S. 368).
Unabhängig von der Frage nach der Rechtsgrundlage einer Kontaktdatenerfassung hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine solche den Öffentlichkeitsgrundsatz in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigte. Sein pauschaler Hinweis auf entgegenstehende „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse“ wird auch nicht durch seinen ebenfalls nur allgemeinen Verweis auf religiöse Gründe oder auf das Interesse, von Strafverfolgung verschont zu bleiben, hinreichend spezifiziert. Gerade im letztgenannten Fall erschließt sich die Schutzbedürftigkeit nicht. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird auch nicht durch die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung angeblich niedrigen Infektionszahlen im Landkreis Stade oder den Umstand begründet, dass die Angabe von Kontaktdaten etwa bei dem Besuch eines Supermarktes nicht erforderlich sei. Letzteres ist mit dem Besuch einer Gerichtsverhandlung schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier eine ungleich längere gemeinsame Verweilzeit in einem kleineren Raum (Gerichtssaal) gegeben ist. Ersteres rechtfertigt die Kontaktdatenerfassung umso mehr, da bei geringen Fallzahlen die mit der Erfassung beabsichtigte Ermöglichung einer Nachverfolgung von Kontaktpersonen erfolgversprechender ist als im Falle eines unübersichtlichen Infektionsgeschehens. Die Datenerfassung stellt somit letztlich eine für Besucher einer Gerichtsverhandlung im Interesse des Gesundheitsschutzes hinzunehmende Beeinträchtigung dar, die den Zugang zum Gerichtssaal für die jeweils Betroffenen obendrein allenfalls psychisch, nicht aber physisch hemmt. Dies steht einer verfassungsrechtlich unzulässigen Verweigerung des Zutritts nicht gleich (so auch OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 27.5.2020 – OVG 11 S 43/20 – juris Rn. 24 unter Verweis auf Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 169 Rn. 40 m. w. N.).“