Heute dann ein „Besetzungstag“ und den eröffnet der BGH, Beschl. v. 08.02.2017 – 1 StR 493/16.
Wenn man den Beschluss liest, dann weiß man nicht, wie man das Posting überschreiben soll. „Klassischer Fehler“ wäre falsch, denn es ist wohl zum Glück kein „klassischer Fehler“ i.e.S. Auch „Anfängerfehler“ wird dem Verfahrensgeschehen nicht gerecht. Ich habe mich dann für „Ich bin fassungslos“ entschieden, weil es die Sache m.E. am besten trifft.
Worum geht es? Nun, es geht um § 21g GVG, der da lautet:
„(1) Innerhalb des mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers werden die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter auf die Mitglieder verteilt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Präsidium.(2) Der Beschluss bestimmt vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; er kann nur geändert werden, wenn es wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird.“
Es wird dann „munter“ verhandelt und der Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nicht so „munter “ ist dann der BGH. Der schreibt dem Schwurgericht einiges zum gesetzlichen Richter ins Stammbuch:
„Das Gebot des gesetzlichen Richters wird dabei nicht erst durch eine willkürliche Heranziehung im Einzelfall verletzt. Unzulässig ist vielmehr auch schon das Fehlen einer abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelung, aus der sich der im Einzelfall zur Entscheidung berufene Richter möglichst eindeutig ablesen lässt (BVerfG, Plenumsbeschluss vom 8. April 1997 – 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322 Rz. 30). Entsprechend ist deshalb in § 21g Abs. 1 und 2 GVG geregelt, dass innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter zu verteilen sind. Wie für die allgemeine gerichtsinterne Geschäftsverteilung gilt auch für die kammerinterne Geschäftsverteilung damit das Jährlichkeitsprinzip, nach dem die Regelung der Geschäftsverteilung mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, das mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, ohne weiteres außer Kraft tritt (BGH, Beschluss vom 5. Mai 2004 – 2 StR 383/03, BGHSt 49, 130).
2. Diese Anforderungen wurden vom Landgericht nicht beachtet. Die 1. Strafkammer verfügte im Zeitpunkt des Eingangs der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 23. März 2015 nicht über eine kammerinterne Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2015.
a) Soweit die Strafkammer, was aus dem Ablehnungsbeschluss der Besetzungsrüge vom 19. Oktober 2015 auch deutlich wird, jedenfalls mündlich beschlossen hat, dass die bisherigen Mitwirkungsgrundsätze für das Ge-schäftsjahr 2015 weiter anzuwenden sind, vermag dies am Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung nichts zu ändern; denn damit wird die verfas-sungsrechtlich gebotene Schriftform nicht beachtet.
b) Die mit Beschluss vom 16. April 2015 ab diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern der Strafkammer geschaffene kammerinterne Geschäftsverteilung für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 hat zwar eine ordnungsgemäße Ge-schäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers für nach diesem Zeitpunkt neu eingehende Verfahren geschaffen, kann aber für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren nachträglich keinen wirksamen kammerinternen Mitwirkungsplan begründen.
Da die Garantie des gesetzlichen Richters eine generell-abstrakte Rege-lung über die Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers entsprechend dem Vorausprinzip erfordert, kann maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer solchen Regelung nur der Zeitpunkt der Anhängigkeit eines Verfahrens beim jeweiligen Spruchkörper sein, zu dem die zuständige Spruchgruppe innerhalb der Strafkammer nach den Mitwirkungsgrundsätzen für den weiteren Verfahrensgang festgelegt wird. Für das Vorliegen einer wirksamen spruchkör-perinternen Regelung zur Geschäftsverteilung darf daher nicht erst auf den Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses vom 31. Juli 2015 abgestellt werden, zu dem die Strafkammer letztlich über eine entsprechende Mitwirkungsregelung für 2015 verfügte.“
Wie gesagt: Mich macht das fassungslos. Ein Schwurgericht (!!!) hat über Jahre hin keinen kammerinternen Geschäftsverteilungsplan. Ich denke, das ist kein „Anfängerfehler“ und sicherlich/hoffentlich auch kein „klassischer Fehler“. Und als man vom Verteidiger „erwischt2 wird, meint man, das mit einem „nachträglichen Geschäftsverteilungsplan“ ändern zu können und verfährt nach dem Motto: Augen zu und durch. Zum Glück hat der BGH das gestoppt.
Was nun? Nun, die Sache muss beim LG München I neu verhandelt werden. Und was ist mit früheren Verfahren? Insoweit stellt sich die Frage der Wiederaufnahme. Allerdings sehe ich einen Wiederaufnahmegrund in § 359 StPO nicht, habe aber nicht in einen Kommentar geschaut; in Betracht käme für mich ggf. § 359 Nr. 3 StPO – aber die Voraussetzungen sehe ich im Momnet nicht. Jedenfalls ist das aber wohl angedacht, wie die SZ hier berichtet: „Schwurgericht hat Urteile möglicherweise ohne rechtliche Grundlage gefällt„. Ich verweise auf diesen Bericht, obwohl ich ihn in den Formulierungen mehr als „schwach“ finde. Wenn ich schon lese: „Ein Münchner Anwalt hatte bei einem Prozess die fehlerhafte Praxis gerügt und beim Bundesgerichtshof geklagt.“ Von der SZ erwarte ich dann schon etwas mehr.