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„Berührt geführt“, oder: „Benzinklausel“ beim geschobenen Pkw

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In der Justiz gibt es den Spruch „Berührt geführt“. Das bedeutet, derjenige, der ein Verfahren, für das er an sich nicht zuständig ist, „anpackt“, der bleibt auch zuständig. Das ist also in etwa die „Benzinklausel“ der Justiz. :-).

Die Benzinklausel kennen wir sonst ja im Versicherungsrecht. Da dient sie zur Abgrenzung des Bereichs der Privathaftpflichtversicherung von dem der Kfz-Haftpflichtversicherung ab, die die Gefahren des Gebrauchs eines Kfz abdecken soll. Und diese Benzinklausel hat im AG Saarlouis, Urt. v.  24.07.2017 – AZ 28 C 250/17 – eine Rolle gespielt:

Auszugehen ist von folgendem Sachverhalt. Die Klägerin hat bei der beklagten Versicherungsgesellschaft eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Ihr Ehemann ist mitversichert. Dieser verschob den PKW einer Zeugin, die die Klägerin besuchte und ihr Auto vor dem Haus abgestellt hatte, um mit seinem Anhänger besser rangieren zu können.  Dazu griff er in das geöffnete Fenster, löste die Handbremse und schob dann das Auto um einige Zentimeter zur Seite. Er unterließ es aber, die Handbremse danach wieder anzuziehen. Noch während er sich abwandte, setzte sich das Auto wieder in Bewegung, stieß gegen die Gartenmauer eines Nachbarn, beschädigte diese und wurde auch selbst beschädigt. Der Haftpflichtversicherer des KFZ regulierte die Schäden des Nachbarn. Die Zeugin nimmt den Ehemann der Klägering wegen der Schäden am Auto und wegen des Höherstufungsschadens in Anspruch. Die Klägerin verlangt insoweit Versicherungsschutz. Die Beklagte hält sich für leistungsfrei und beruft sich dazu auf den vereinbarten Ausschluss der “Benzinklausel“.  Das AG hat die Klage abgewiesen:

„Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus einem zwischen den Parteien bestehenden Allgemeinen Haftpflichtversicherungsvertrag zu.

Die Eintrittspflicht der Beklagten für die Folgen eines Vorfalls vom 20.06.2016 ist auch unter Zugrundelegung der Hergangsschilderung der Klägerin durch die sog. Benzinklausel, die Bestandteil des Versicherungsvertrages wurde, ausgeschlossen. Somit kann dahingestellt bleiben, ob sich der Schaden auch tatsächlich auf diese Art und Weise ereignete.

Nach der Klausel ist u.a. nicht versichert die Haftpflicht des Führers eines Kraftfahrzeuges wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht werden.

Der Ehemann der Klägerin war Führer des Pkws der Zeugin S., als er es nach Lösen der Handbremse wegschob, um Platz für seinen Fahrzeughänger zu schaffen.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2017,388, BGH, r +s 2007,102). Bei einem in der Rechtssprache üblichen Begriff ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (BGH r+s 1986, 148).

So verhält es sich beim verwendeten Begriff des (Fahrzeug-)Führers: Das Führen eines Fahrzeugs zählt zu den zentralen Begriffen des Straßenverkehrsrechtes (vgl. etwa §§ 2,18 StVG, 2 Absatz 3a s. 1 StVO sowie 315c, 316 StGB), so dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer den in der Klausel verwendeten Begriff des Führens ebenso wie in den Straßenverkehrsrechtnormen verstehen darf (Landgericht Hildesheim, Urteil vom 21.12.1999, 3 O 202/98 juris; zum Begriff des Fahrers ebenso: BGH NJW 1963, 43). Dies wird letztlich auch durch die Verwendung weiterer (Rechts-)Begriffe in der Klausel -Besitzer, Halter, Eigentümer- bestätigt.

Danach führt ein Kraftfahrzeug, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein-oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fortbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. Ein Fahrzeugführer muss sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeuges bedienen, die für seine Fortbewegung bestimmt sind (h. M., Vergleiche BGH NJW 2015,1124 Freymann/Wellner, juris PK-StrVerkR, 1. A. 2016 § 18 StVG Rn. 7, Burhoff, VA 2006, 107).

Dabei schließt der Umstand, dass der Zeuge F. nach Hergangsschilderung der Klägerin das Fahrzeug nicht mittels eigener Motorkraft fortbewegte, die Führereigenschaft nicht zwingend aus (Freymann/Wellner jurisPK aaO § 18 StVG Rn. 7, Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs § 4 Rn. 11.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es im Haftpflichtrecht anerkannt, dass Führer eines Kraftfahrzeuges(§ 18 StVG) derjenige sein kann, der bei ausgeschaltetem Motor lenkt, seine maschinellen Einrichtungen (Bremsen u.ä.) bedient und auf diese Weise die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug ausübt. (BGHSt 14,185 zu § 24 StVG).

Dabei ist auch die Länge der zurückgelegten Strecke unerheblich für die Feststellung, ob jemand ein Kfz geführt hat oder nicht (BGH aaO), weshalb es auch nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, dass der Pkw von dem Zeugen nur wenige Zentimeter nach vorne geschoben worden sein soll.

Der Zeuge hatte nach dem Lösen der Handbremse die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrzeug, die Aufgaben eines Fahrzeugsführers und die ausschließliche Entscheidungsbefugnis über dessen Fortbewegung und die Fahrtrichtung übernommen.

Die Eigenschaft des Zeugen als Fahrzeugführer bestand auch noch zum Zeitpunkt der Schadenentstehung, auch wenn der Zeuge beim – von ihm ungewollten – Losrollen des Fahrzeuges schon wieder im Begriff gewesen sein soll, sich von diesem zu entfernen, der Verschiebevorgang für ihn bereits abgeschlossen war.

Anders als etwa bei § 316 StGB kann die Eigenschaft als Fahrzeugführer in Ansehung (und im Sinne) der Haftungsvorschrift des § 18 Absatz 1 StVG auch nach dem Abstellen des Fahrzeugs noch fortdauern, solange das Fahrzeug sich im Sinne des § 7 Absatz 1 StVG im Betrieb befindet; dies ist etwa der Fall, wenn das Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt worden ist, von ihm betriebstypische Gefahren ausgehen, zu deren Minderung der das Fahrzeug Abstellende Sicherungsmaßnahmen zu treffen hatte, und noch kein anderer die Führung des Fahrzeuges übernommen hat (Freymann/Wellner aaO Rn. 13, König in: Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht § 18 StVG Rn. 2).

Dies ist jedoch vorliegend der Fall gewesen, da das Fahrzeug der Zeugin S. vor dem Anwesen der Klägerin, mithin im öffentlichem Verkehr, abgestellt war (so ausdrücklich Schriftsatz vom 7.10.2016 Seite 2: „vor dem Anwesen“) , von dort auch gegen die Nachbarmauer stoßen konnte und Ursache des Schadenseintritts die fehlende Sicherungsmaßnahmen, nämlich das nochmalige Anziehen der Handbremse war.

Der Schaden ist auch beim Gebrauch des Pkws der Zeugin S. verursacht worden.

Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb im Sinne des § 7 StVG ein und geht noch darüber hinaus (BGHZ 75,45).

Eine hiernach geforderte typische Fahrerhandlung liegt vor, wenn sie in den gesetzlichen oder durch die Verkehrsauffassung bestimmten Aufgabenkreis des Fahrers fällt und in Zusammenhang mit einer bestimmten Fahrt geschieht (BGHZ 78, 52).

Indem der Zeuge Fritz nach dem von ihm vorgenommenen Positionswechsel des Pkws vergaß, die Handbremse wieder anzuziehen, hat sich eine Gefahr verwirklicht, die dem Fahrzeuggebrauch eigen ist und diesem selbst und unmittelbar zuzurechnen ist (vergleiche Prölss Martin BesBed PHV Nummer 3 Rn. 10, 11, 28 Aufl. 2010).“

Risse in den Bremsscheiben, oder: Die Polizeibeamten haben „Schulungsbedarf“ für die Sichtkontrolle

entnommen wikimedia.org
Urheber Erkaha

Und zum Abschluss des heutigen Tages stelle ich dann noch das AG Landstuhl, Urt. v. 31.05.2017 – 2 OWi 4286 Js 1481/17 – vor Ergangen ist das Urteil in einem Bußgeldverfahren, in dem dem betroffenen Lkw-Fahrer das Mitführen einer nicht betriebsbereiten Warnleuchte  vorgeworfen wurde und zudem, sein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war.

Den letzteren Vorwurf hat die Hauptverhandlung nicht bestätigt. Vorgeworfen worden waren Risse in den Bremesscheiben, die durch Sichtkontrolle festgestellt worden sein sollten. Der Betroffene hat aber einen Werkstattbesuch nachgewiesen, bei dem zwar erhebliche Mängel festgestellt worden waren, jedoch nur die unverzügliche Beseitigung angeordnet worden ist, nicht aber die Weiterfahrt untersagt wurde. Zusätzlich hatte er ein Schreiben eine Prüfingenieurs zu den Akten gereicht, in welchem dieser die Verkehrstauglichkeit des Fahrzeugs bestätigte. Dazu dann noch das AG:

„Der im Termin im Rahmen eines mündlichen Gutachtens gehörte Sachverständige Dipl.-Ing. pp. bestätigte die Einschätzung des Prüfingenieurs, dass die Risse in den Bremsscheiben, die durch Inaugenscheinnahme der Lichtbilder 1-10 auf As10-14 in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, zwar zu einem erheblichen Mangel, nicht aber zu einer Verkehrsunsicherheit führen. Bei dem hier vorliegenden LKW der Klasse N2 (bis 12t) gibt es zum einen konkrete Vorgaben zu Risslänge, -breite und -tiefe, die zur Beurteilung der Mangelqualität heranzuziehen sind (Werte zu finden z.B. unter http://grips.gtue.de). Diese wurden vorliegend schon nicht erhoben. Zum anderen fand durch die aufnehmenden Zeugen keine Bewertung des aufgefundenen Mangels nach der Richtlinie für die Durchführung von Hauptuntersuchungen (Vkbl. Heft 11 – 2012, S. 419 ff.) statt. Nach dieser besteht eine potentielle Verkehrsgefährdung bei erheblichen Mängeln, nicht aber eine Verkehrsunsicherheit. Diese liegt, ausweislich der Richtlinie, erst dann vor, wenn ein Mangel eine unmittelbare Verkehrsgefährdung darstellt. Diese jedoch konnte die Beweisaufnahme vorliegend, insbesondere mangels Vermessung der Risse und mangels Auseinandersetzung mit dem bei der Kontrolle vorliegenden Prüfgutachten nicht bestätigen.

Dass vorliegend bei der Kontrolle durch bloße Inaugenscheinnahme und Erfahrungswerte eine nur wenige Tage zuvor erfolgte technische Prüfung durch einen Sachverständigen gewissermaßen „überstimmt“ wurde, spricht für einen gewissen Schulungsbedarf in technischer Hinsicht bei einschlägigen Kontrollen, zumal es nicht das erste Mal in diesem Gerichtsbezirk ist, dass LKW als vermeintlich verbotswidrig fahrend klassifiziert wurden, ohne dass dies durch den Sachverständigen bestätigt werden konnte, sondern im Gegenteil die dort vorgenommene Ladungsart den Vorgaben entsprach (AG Landstuhl, Urt. v. 08.06.2015 – 2 OWi 4286 Js 300/15 – juris).“

Nach diesem „Schulungsaufruf“ hat es aber keinen Teilfreispruch gegeben. Es lag tateinheitliche Begehungsweise vor. Daher also auch keine Kostenquotelung. Aber das dürfte dem Betroffenen im Hinblick auf ersparte Punkte auch egal sein.