In der zweiten StrEG-Entscheidung, dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.08.2021 – 12 Qs 58/21 -, wird eine verfahrensrechtliche Frage aus dem StrEG-Verfahren behandelt.
Die StA hate gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt geführt. In dem Verfahren ließ sie am 22. April 2021 Durchsuchungen in verschiedenen Objekten durchführen. Der ursprüngliche Tatverdacht konnte im Folgenden nicht erhärtet werden. Die sachbearbeitende Staatsanwältin stellte daher das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 16.06.2021 nach § 170 Abs. 2 StPO ein und verfügte zugleich deren formlose Mitteilung an die beiden Verteidiger des Beschuldigten. Am 21. Juni 2021 nahm die Verteidigerin des Beschuldigten Einsicht in die Ermittlungsakte.
Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2021 an das AG, dort eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger, die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung für die Durchsuchungen festzustellen. Weiterhin beantragte er, dem Beschuldigten eine Entschädigung i.H.v. 401,50 € zu gewähren.
Das AG lehnte den Antrag als verfristet ab. Die Verteidiger hätten nämlich von der Einstellungsverfügung bereits durch Akteneinsicht vom 21.06.2021 Kenntnis gehabt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die – teilweise – Erfolg hatte:
„b) Es liegt ein Antrag des Beschuldigten vor. Nach § 9 1 Satz 4 StrEG ist der Entschädigungsantrag binnen Monatsfrist nach Zustellung der Einstellungsentscheidung zu stellen. Diese Frist ist gewahrt.
aa) Entgegen der gesetzlichen Vorgabe (§ 9 1 Satz 4 StrEG: „nach Zustellung“) und der eigenen Mitteilung in der der Einstellungsverfügung beigelegten Belehrung (vgl. Bl. 225/226 d. A.: „nach Zustellung“) hat die Staatsanwaltschaft keine (förmliche) Zustellung, sondern lediglich eine formlose Mitteilung ihrer Einstellungsverfügung veranlasst. Die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG beginnt allerdings erst, wenn die Einstellung (förmlich) zugestellt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 9 StrEG, Rn. 5). Daran fehlt es.
bb) Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Amtsgerichts, wonach die Gewährung der Einsicht in die Akte an die Verteidiger am 21. Juni 2021 – in der die zuvor getroffene Einstellungsverfügung in der Urschrift enthalten war – den Zustellungsmangel nach § 37 1 StPO mit § 189 ZPO hätte heilen können, mit der Folge, dass die Monatsfrist bereits am 21. Juli 2021 abgelaufen wäre (wie hier BGH, Beschluss vom 19. Juni 2019 – IV ZR 224/18, juris Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2004 – 2Z BR 253/03, NJW 2004, 3722; OLG Nürnberg, Urteil vom 1. August 2019 – 13 U 1667/17, juris Rn. 42 und Urteil vom 5. November 1981 – 8 U 351/81, MDR 1982, 238; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. März 2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 mit eingehender Begründung; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 189 Rn. 4; Häublein/Müller in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 189 Rn. 13). Sähe man es anders, wäre der Verteidiger im Übrigen aus Gründen anwaltlicher Vorsicht genötigt, die komplette Akte durchzusehen um festzustellen, ob sich dort zuzustellende Dokumente finden. Der Sinn der Akteneinsicht liegt aber nicht darin, Haftungsfallen für den Anwalt aufzustellen, sondern allein darin, ihm die Information zu gewähren, die er braucht.
Nichts anderes folgt aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 8. August 2017 (3 RBs 106/17, juris). Das OLG hat erwogen (aaO, Rn. 22), dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen, denn an der genannten Voraussetzung fehlt es bereits: Die Staatsanwaltschaft hat ihre Einstellungsverfügung gerade formlos versenden wollen, sodass der Zustellungswille fehlt.
cc) Die Heilung des Zustellungsmangels trat somit erst mit dem tatsächlichen Zugang der Einstellungsverfügung beim Verteidiger ein (§ 37 1 StPO mit § 189 ZPO). Dieser gibt den Zeitpunkt ihres Zugangs in der Beschwerde mit dem 28. Juni 2021 an. Das ist nicht zu widerlegen. Der am 28. Juli 2021 beim Amtsgericht eingegangene Entschädigungsantrag erfolgte somit in der Monatsfrist.“