Von einem Kollegen vom KG habe ich (vorab) den KG, Beschl. v. 16.05.2014 – 1 Ws 21/14 – erhalten. Beim Lesen ist mir dann mal wieder der sprichwörtliche Draht aus der Mütze gesprungen. Das kann doch nicht wahr sein, habe ich gedacht.
Was ist passiert bzw. entschieden worden? Nun, eine Pflichtverteidigerin beantragt Festsetzung ihrer Vergütung. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) des LG weist diesen Antrag zurück, weil die Pflichtverteidigerin die von ihr unterschriebene Erklärung über bereits erhaltene Zahlungen (§ 55 Abs. 5 Satz 2 RVG) per Telefax und nicht im Original vorgelegt hatte. Die dagegen gerichtete Erinnerung hat das LG (Einzelrichter) zurückgewiesen. Die Beschwerde hat dann beim KG, das in der Besetzung mit drei Richtern entschieden hat, Erfolg.
„Die Beschwerdeführerin war nicht verpflichtet, die erforderliche Erklärung über (nicht) erhaltene Vorschüsse und Zahlungen (§ 58 Abs. 3 RVG) im Original einzureichen. Richtig ist zwar, daß diese Erklärung gemäß § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG in dem Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren enthalten sein muß. Für diesen Antrag ist jedoch in § 55 RVG keine besondere Form vorgeschrieben (vgl. Hartmann, KostG 44. Aufl., Rdn. 7 zu § 55 RVG). Das Landgericht kann sich für seine gegenteilige Ansicht nicht auf § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG berufen, der für eine Honorarforderung des Anwalts gegen seinen Auftraggeber eine von ihm eigenhändig unterzeichnete Berechnung vorschreibt. Ob die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB) bei Anträgen nach § 10 RVG stets die Übermittlung des unterschriebenen Originaldokuments erfordert oder – wie bei anderen (verfahrens-)bestimmenden Schriftsätzen – deren Übersendung durch Telefax ausreicht (vgl. dazu GmS-OGB, Beschluß vom 5. April 2000 – 1/98 – bei juris; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 19. März 2013 – 1 K 166/12 – bei juris), kann der Senat hier offen lassen. Denn § 10 RVG gilt (nur) im Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und dem beauftragten Rechtsanwalt (vgl. OLG München ZfSch 2007, 48). Auf den durch § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG begründeten öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch des bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse ist die Bestimmung nicht anwendbar (vgl. Schneider/Wolf, RVG 7. Aufl., Rdn. 1 zu § 55 und Rdn. 10 zu § 10; Mayer/Kroiß, RVG 6. Aufl., Rdn. 6 zu § 10). Vielmehr haben die Sondervorschriften der §§ 55 RVG den Vorrang (vgl. Hartmann, KostG 44. Aufl., Rdn. 1 zu § 10 RVG), die keine Verweisung auf § 10 RVG enthalten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der – für den Rechtsanwalt ohnehin unverbindliche – bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift „VwV Vergütungsfestsetzung“ in der Fassung vom 26. August 2009. Darin wird zwar für den „Festsetzungsantrag mit der Berechnung der Gebühren und Auslagen“ als Klammerzusatz § 10 RVG ohne nähere Begründung zitiert (A. 1.1. Satz 1). Gleichzeitig wird mit Satz 2 dieser Vorschrift aber auch die Möglichkeit eröffnet, den Antrag formlos zu stellen.“
Wenn man den Beschluss liest, fragt man sich nach dem Hintergrund des Vorgehens des UdG: Unkenntnis oder Unerfahrenheit oder wollte er – aus welchen Gründen auch immer – die Pflichtverteidigerin ärgern? Jedenfalls hat man den Eindruck, eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ zu sehen/zu lesen und ist dann schon erstaunt, dass insgesamt vier Richter mit der Frage befasst sind, und zwar einmal R 1, zweimal R 2 und einmal R 3. Die betriebswirtschaftlichen Kosten von Rechtspfleger-Entscheidungen, man mag sie manchmal nicht ausrechnen. Was der Senat des KG von der Sache hält, ergibt sich m.E. zwanglos aus dem Beschluss selbst, wenn er ausdrücklich ausführt:
„Der Senat macht darauf aufmerksam, dass Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sind. Sie sollen die einwandfreie Durchführung eines Verfahrens sicherstellen und nicht behindern (vgl. GmS-OGB aaO). Das Schriftlichkeitserfordernis soll dabei gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie stammt, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Die Verlässlichkeit dieser Angaben kann auch durch die elektronische Übermittlung per Telefax gewahrt werden. Dazu bedarf es in der Regel der Einreichung eines mit der Unterschrift des Antragstellers versehenen Originalschriftsatzes nicht. Sofern im Einzelfall Zweifel an der Urheberschaft und inhaltlichen Richtigkeit des gestellten Antrages bestehen, ist es dem Urkundsbeamten unbenommen, nach den §§ 55 Abs. 5 Satz 1 RVG, 104 Abs. 2 ZPO weitere Auskünfte zur Glaubhaftmachung einzuholen und die Vorlage von Originaldokumenten zu verlangen.“
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer die Frage an den UdG: Haben die Gerichte denn nichts anderes/Besseres zu tun, als solche Fragen zu entscheiden?