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Wenn sich die Sachlage (beim Mordvorwurf) ändert, oder: Förmlicher Hinweis erforderlich

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Zur Wochenmitte heute dann Verfahrensrecht.

Und den Opener macht der BGH, Beschl. v. 14.06.2018 – 3 StR 206/18. Eine weitere Entscheidung, die sich mit den Neuerungen bei § 265 StPO durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) befasst.

Das LG hatte die Angeklagte wegen Mordes verurteilt. Die Angeklagte hatte ihre Tochter erstickt. Sie wollte in Frankreich ein neues unabhängiges Leben beginnen; daran sah sie sich durch ihre Tochter gehindert. Zudem wollte sie sich am Vater des Kindes rächen, der mit dem gemeinsamen Kind seinen Aufenthaltsstatus verbessern wollte, dennoch aber die Angeklagte und seine Tochter verließ. Nach Auffassung der Angeklagten hatte der Nebenkläger ihr Leben „kaputtgemacht“, indem er sie geschwängert hatte und sie dann mit dem Kind allein ließ. Die Tochter wollte die Angeklagte dem Nebenkläger nicht überlassen. Das LG hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vor allem durch die „rücksichtslose Gier“ der Angeklagten nach einem selbstbestimmten Leben ohne Einschränkungen als verwirklicht angesehen; daneben hat es auf das Motiv der Rache der Angeklagten abgestellt, dem Nebenkläger seine Tochter sowie die aus seiner Vaterschaft vermeintlich erwachsenen ausländerrechtlichen Vorteile zu nehmen.

Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage vom 13. September 2017 begründete die niedrigen Beweggründe hingegen damit, die Angeklagte habe sich am Nebenkläger rächen und ihn dafür bestrafen wollen, „dass er während des Zusammenlebens ihr gegenüber gewalttätig gewesen war“. Auf die von ihm in Abweichung hiervon nach den Urteilsgründen festgestellten Beweggründe der Angeklagten für ihre Tat hat das LG diese in der Hauptverhandlung nicht förmlich hingewiesen.

Der BGH sagt: Bei dem Vorwurf des Mordes aus niedrigen Beweggründen ist der Angeklagte nicht nur davon in Kenntnis zu setzen, durch welche bestimmten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht, vielmehr ist er auch darüber zu informieren, dass sich diese Tatsachen aus Sicht des Gerichts gegenüber der Anklageschrift oder aber auch gegenüber einem früheren Hinweis geändert haben könnten (§ 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO). Danach war hier – so der BGH – ein Hinweis geboten; denn die Tatsachengrundlage, auf welche das LG das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe stützt, weiche in zweifacher Hinsicht wesentlich von derjenigen der Anklage ab:

„Das Motiv, ein neues selbstbestimmtes und vom Kind unabhängiges Leben in Frankreich zu beginnen, kann zwar als besonders „krasse Selbstsucht“ bewertet und damit das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als erfüllt angesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 4 StR 352/08, NStZ 2009, 210). Indes benennt die Anklage ein solches Motiv nicht und stützt das Mordmerkmal allein auf ein Rachemotiv der Angeklagten. Diese beiden Beweggründe unterscheiden sich deutlich voneinander. Das Tatmotiv der Selbstsucht nach einem unabhängigen Leben kann – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch nicht dem wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklageschrift entnommen werden: Die dort mitgeteilte Einschätzung einer Zeugin, der Angeklagten fehle der „natürliche Mutterinstinkt“, ist nichtssagend und gibt daher keinen Anhalt für eine selbstsüchtige Entscheidung der Angeklagten, nach dem endgültigen Scheitern der Beziehung mit dem Nebenkläger das Kind durch dessen Tötung „hinter sich zu lassen“ und in Frankreich ein neues Leben zu beginnen.
Das Urteil geht im Übrigen zwar wie die Anklage auch von einem Rachemotiv aus. Indes weichen die hierfür maßgeblichen Tatsachen ebenfalls deutlich voneinander ab: Der Zorn über das Im-Stich-lassen hat mit Gewalttätigkeiten nichts zu tun. Auch insoweit hat eine Hinweispflicht bestanden.“
Und:
cc) Den danach erforderlichen Hinweis auf die in zweifacher Hinsicht geänderte Tatsachengrundlage hätte der Vorsitzende förmlich erteilen müssen. Er ist als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen gewesen (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) und kann nur durch dieses belegt werden (§ 274 Satz 1 StPO).
Dies folgt aus dem in § 265 Abs. 2 StPO enthaltenen Verweis („ebenso ist zu verfahren“) auf die in § 265 Abs. 1 StPO normierte Hinweispflicht. Mit der Neuregelung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO wollte der Gesetzgeber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Hinweispflicht umsetzen, wonach auch unterhalb der Schwelle des § 265 Abs. 4 StPO in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO ein Hinweis auf die Veränderung eines tatsächlichen Umstands erforderlich war, wenn dieser in seinem Gewicht der Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichstand (BT-Drucks. 18/11277, S. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, NStZ 2015, 233, 234 mwN). Damit soll das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährleistet und er nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens vor Überraschungsentscheidungen geschützt werden (BT-Drucks. aaO; BGH aaO mwN).

Mit dem Verweis auf § 265 Abs. 1 StPO, wonach der Angeklagte „besonders“ auf eine veränderte Sachlage hinzuweisen ist, ist die zu der alten Rechtslage vertretene Auffassung, es genüge, wenn der Angeklagte die Änderung eines wesentlichen sachlichen Umstandes dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen könne (offengelassen, wie ausgeführt, in BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 1 StR 582/10, BGHSt 56, 121, 125; vgl. im Übrigen etwa BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, NStZ 2015, 233, 234 mwN), überholt. Zwar ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber sich mit diesem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hat (siehe insbesondere den Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22. Februar 2018, BT-Drucks. 18/11277, S. 36 f.). Indes folgt dieses Ergebnis, wie dargelegt, aus dem Verweis auf die in § 265 Abs. 1 StPO normierte Hinweispflicht (im Ergebnis ebenso Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. § 265 Rn. 22; BeckOK StPO/Eschelbach, § 265 Rn. 51).“