Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 19.11.2019 – 4 StR 449/19. Problematik: Die Frage der Mittäterschaft der Angeklagten. Das LG hat die drei Angeklagten D, S und St wegen besonders schweren räuberischen Erpressung verurteilt. Dagegen haben alle drei Revision ein. Der Angeklagte S hat zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.
Insoweit hat der S Pech, denn der Wiedereinsetzungsantrag und Revision des Angeklagten S sind – so der BGH – „unzulässig, weil der Verteidiger den Schriftsatz vom 25. Juli 2019 nicht unterschrieben hat. Es fehlt mithin an der formgerechten Nachholung der versäumten Handlung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revisionsbegründung muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein, § 345 Abs. 2 StPO.“
Nun ja, kann ja mal passieren – wirklich? M.E. nein.
Aber der Angeklagte hat Glück, denn:
„2. Das Rechtsmittel des Angeklagten D. hat, auch betreffend den Angeklagten S. , vollen Erfolg. Eine Mittäterschaft ist bei beiden Angeklagten nicht belegt.
a) Gegen 1.30 Uhr in der Nacht fuhr der später Geschädigte mit einem Fahrrad zu einer Tankstelle, um Zigaretten zu kaufen. Die drei Angeklagten bemerkten ihn und riefen ihm zu: „Hey“, „Hallo“, und „Hast du ein Feuerzeug?“ Sie liefen zu dem Geschädigten, um ihn zu berauben. Der Angeklagte St. , der in einer Hand eine Bierflasche hielt, holte mit der anderen Hand ein Messer aus der Hosentasche. Er packte den Geschädigten mit seinem Arm um den Hals und nahm ihn in den „Schwitzkasten“. Er hielt ihm das Messer an den Hals und zog ihn in Richtung eines Gebüschs. Dabei sagte er „Gib mir alles, was du hast, sonst steche ich dir in den Hals!“ Die Angeklagten D. und S. unterstützten ihn, indem sie dem Geschädigten sagten, dass er keine Angst zu haben brauche, damit er sich beruhige und die Situation mit dem Messer nicht eskaliere. Der Geschädigte gab St. 70 Euro, mehr Geld führte er nicht mit sich. Der Angeklagte St. drückte ihn zu Boden und drohte, ihn „kalt zu machen“, wenn er zur Polizei gehe. Die Angeklagten S. und D. standen dicht neben dem Angeklagten St. , um ihn abzuschirmen und eine eventuelle Flucht des Geschädigten zu verhindern. Auch sie sagten ihm, dass er auf dem Boden liegen bleiben solle. Der Angeklagte St. nahm nun auch das Fahrrad des Geschädigten an sich, und alle drei Angeklagten verließen den Tatort. Ob die Angeklagten S. und D. von der Tatbeute partizipierten, konnte die Strafkammer nicht klären; sie ist jedoch davon überzeugt, dass alle drei Angeklagten von vornherein ein Interesse an der Tatbeute hatten.
Die Angeklagten S. und D. haben bestritten, dass es zu einem Vorfall gekommen ist, bei dem dem Geschädigten Geld und Fahrrad abgenommen wurden. Der Angeklagte St. hat sich auf einen „Filmriss“ berufen.
b) Die getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um die Annahme des Landgerichts zu rechtfertigen, die Angeklagten S. und D. hätten sich in mittäterschaftlicher Begehung und unter Zurechnung der Tatbeiträge des Angeklagten St. der besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig gemacht.
aa) Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen. In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. März 2010 – 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 10. Dezember 2013 – 5 StR 387/13, juris Rn. 10 und vom 17. April 2019 – 5 StR 685/18, NStZ 2019, 514, Beschluss vom 6. August 2019 – 3 StR 190/19, juris Rn. 21).
bb) Gemessen daran ist eine Mittäterschaft der Angeklagten S. und D. nicht belegt: Die von den Angeklagten geleisteten Tatbeiträge, die Anhaltspunkte für den Grad ihres Tatinteresses sein könnten, waren gering. Die Angeklagten haben nicht unmittelbar aktiv in das Tatgeschehen eingegriffen, sondern sich darauf beschränkt, dabei zu stehen und auf den Geschädigten beruhigend einzureden. Dieses Verhalten stellt eher eine für Beihilfe typische Unterstützungshandlung dar, das für sich weder auf eine Tatherrschaft noch auf einen Willen hierzu schließen lässt. Die Tat beging der Angeklagte St. alleine; ihre Ausführung und ihr Erfolg waren nach den Feststellungen dem Einfluss und dem Willen der Angeklagten S. und D. entzogen. Eine der Tat vorangegangene Absprache aller drei Angeklagter, den Geschädigten zu berauben, wird in der Beweiswürdigung nicht hinreichend begründet. Dass die Angeklagten S. und D. einen Anteil an der Tatbeute erhielten, ist zudem nicht festgestellt.
cc) Die Sache muss hinsichtlich des Angeklagten D. neu verhandelt und entschieden werden. Die Aufhebung des Urteils ist auf den Angeklagten S. zu erstrecken (§ 357 StPO), weil er sich ebenso wie der Angeklagte D. verhalten hat, der Rechtsfehler mithin bei beiden Angeklagten in gleichem Umfang vorliegt.“
Gut, dass zumindest der Angeklagte D einen vernünftigen Verteidiger hatte.