Und zum Schluss des Tages dann noch einmal etwas zu Encro-Chat, dem verfahrensrechtlichen Dauerbrenner, der ja . wenn die Akten schon da sind – wegen der Vorlage durch das LG Berlin (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 19.10.2022 – (525 KLs) 279 Js 30/22 (8/22) inzwischen auch den EuGH beschäftigt. Man kann nur hoffen, dass der bald entscheidet, damit endlich – so oder so – Klarheit herrscht.
Inzwischen habe ich von der Kollegin Dr. Matthies, aus Frankfurt (Oder) den LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.10.2022 – 24 Qs 80/22 – zugeschickt bekommen. Er ist in einem Encro-Chat-Verfahren – Vorwurf Verstoß gegen § 29a BtMG – im Rahmen einer Haftbeschwerde ergangen. Das LG hat einen vom AG ergangenen Haftbefehl aufgehoben, weil kein dringender Tatverdacht vorliege. Das begründet das LG anhand der Erkenntnisse aus den Encro-Chats.
In einem „obiter dictum“ nimmt das LG dann allgemein zur Verwertbarkeit von Encro-Chat-Erkenntnissen Stellung:
„Kam es somit, wie gezeigt, auf die Verwertbarkeit der sogenannten Encro-Chat-Daten nicht an, dürfte sich nach Auffassung der Kammer im Rahmen der weiteren Ermittlungen kein hinreichender oder gar dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten erbringen lassen, soweit dieser-lediglich-aus Erkenntnissen aus den sogenannten Encro-Chats bestehen sollte.
Die Kammer neigt dazu, sich im Falle der Entscheidungserheblichkeit der Auffassung des Landgerichts Berlin [( 525 Kls) 254 Js 592/20 [10/21] und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449; dies., StV 2022, 130; Erhard/Lödden, StraFo 2021, 366; Gebhard/Michalke, NJW 2022, 655; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420; Sommer, StV Spezial 2021, 67) anzuschließen und von einer Unverwertbarkeit der Encro-Chats auszugehen.
Einer Darstellung der Vielzahl der gegen die Verwertung der Daten sprechenden Gründe bedarf es im Rahmen eines obiter dictum nicht.
Allerdings dürfte dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 Abs. 1 AEUV, der auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten, der Boden entzogen sein, wenn französische Gerichte nun zu dem Ergebnis kommen, dass die Beweiserhebung illegal war.
Eine solche Entwicklung scheint sich abzuzeichnen: In seiner Entscheidung vom 11.10.2022 hat der französische Kassationsgerichtshof in der Sache Nr. 21-85.148 festgestellt, dass die Vorlage einer sogenannten Aufrichtigkeitsbescheinigung der gesammelten Encro-Chat-Daten eine zwingende Bedingung für die Gültigkeit der Maßnahme ist und-da offenkundig eine solche Bescheinigung nicht vorliegt-das Urteil aufgehoben und an eine andere Kammer in Metz zurückverwiesen. Der Kassationsgerichtshof hat dabei festgestellt, dass die Encrochat-Daten ohne eine solche Aufrichtigkeitsbescheinigung illegal und unzulässig sind.
Sollten im Ergebnis die französischen Gerichte die eigenen Entscheidungen bezüglich der Erhebung der Daten aufheben, liegt es auf der Hand, dass diese Daten auch im deutschen Strafverfahren nicht verwertet werden können.“
Also ein sog. Neigungsbeschluss 🙂 .
Kleiner Hinweis für die Leser des Volltextes: Das ist leider etwas mühsam wegen der vielen Anonymisierungen. Ich hoffe zudem, ich habe beim Übertragen keinen Fehler gemacht. Aber letztlich kommt es darauf hier ja auch nicht an.