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Durchsuchung II: Keine eigenständige Prüfung, oder: „Beschuldigtenvernehmungsstückwerk“

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Die zweite Entscheidung zur Durchsuchung, der LG Rostock, Beschl. v. 19.01.2021 – 11 Qs 191/20 (1) – ist auch schon etwas älter. Ich habe ihn aber leider erst vor kurzem erhalten.

Die im Beschluss angesprochene Frage spielt in der Praxis immer wieder eine Rolle, nämlich die „eigenverantwortliche Prüfung“ der Voraussetzungen für die Anordnung eines Durchsuchungsbeschlusses, oder anders: Der Ermittlungsrichter darf nicht einfach nur den Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses abschreiben und/oder Angaben aus der Strafanzeige übernehmen, sondern muss eigenständig begründen. Das hat der Ermittlungsrichter hier aber nicht getan. Ergebnis: Das LG hat den Durchsuchungsbeschluss als rechtswidrig angesehen:

„Die Beschwerde vom 5.11.2020 gegen die durch den Vollzug der Durchsuchung am 5.11.2020 erledigte Durchsuchungsanordnung vom 17.9.2020 ist zur Feststellung der Rechtswidrigkeit zulässig (Mey-er-Goßner/Schmitt StPO 2020 Vor § 296 Rdnr. 18f. mwN). Die Beschwerde ist auch begründet.

Die Begründung der Durchsuchungsanordnung entspricht jedenfalls insoweit nicht den gesetzlichen Anforderungen, als die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer ergeben soll, nicht aufgeführt sind. Die Angabe der wesentlichen Verdachtsmomente darf aber nur dann unterbleiben, wenn die Bekanntgabe den Untersuchungszweck gefährden würde (BGH NStZ-RR 2009, 142, zit. nach juris). Dafür, dass dies vorliegend der Fall gewesen wäre, ist nichts ersichtlich. Die unzureichende Begründung des Durchsuchungsbeschlusses führt vorliegend zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung, da der Beschluss nicht erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für ihren Erlass eigenständig geprüft hätte (BGH aaO. unter Hinweis auf BVerfG, B. v. 31.8.2007 — 2 BvR 1681/07). Dem Beschwerdegericht ist es in einem solchen Fall versagt, die Konkretisierung der den Akten zu entnehmenden, den Anfangsverdacht begründenden Umstände in seiner Beschwerdeentscheidung nachzuholen (BGH aaO.). Dies ist vorliegend allerdings schon deswegen nicht möglich – und dieser Umstand belegt die fehlende eigenständige Prüfung durch den Ermittlungsrichter -, weil die Beschuldigtenvernehmung der pp. vom 6.7.2020, auf der der Tatverdacht nach der polizeilichen Strafanzeige gründen soll, nicht vollständig, sondern nur abschnittsweise und durch Abdeckungen regelrecht zerstückelt zur Ermittlungsakte gelangt ist und dieses Stückwerk weder dem Ermittlungsrichter noch der Beschwerdekammer die Prüfung ermöglichen konnte bzw. kann, ob dem Gewicht des Eingriffs adäquate Verdachtsgründe vorliegen, die über vage Anhaltspunkte und Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfG StraFo 2006, 450 zit. nach juris), ob also der auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (BGH aaO.), vorliegt. Dass der Beschwerdeführer nach ernsthafter Ansicht des Ermittlungsrichters verdächtig sein soll, „von dem gesondert verfolgten pp. regelmäßig 1 Kilogramm Kokain zum gewinnbringenden Verkauf zu erhalten …“, ist dem überlassenen Beschuldigtenvernehmungsstückwerk gerade nicht zu entnehmen. Ersichtlich hat sich der Ermittlungsrichter darauf beschränkt, ohne eigene Prüfung die Angaben aus der Strafanzeige schlicht zu übernehmen. Dies zieht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessualen Maßnahme nach sich.“

Ablehnung III: Ablehnung eines Ermittlungsrichters, oder: „…. der Beschuldigte bleibt auf jeden Fall drin.“

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Und als dritte Entscheidung zum Thema Ablehnung dann noch der AG Ingolstadt, Beschl. v. 10.02.2020 – 1 Gs 2523/19. Er behandelt die (begründete) Ablehnung eines Haft-/Ermittlungsrichters.

Das Geschehen und die Begründung für die erfolgreiche Ablehnung ergeben sich aus dem Beschluss:

„Gegen den Beschuldigten wurde durch das Amtsgericht Ingolstadt am 25.10.2019 wegen des Verdachts des Totschlags in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen ein Haftbefehl erlassen und am 30.10.2019 in Vollzug gesetzt.

Der Haftbefehl wurde auf Beschwerde des Beschuldigten hin durch Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 13.12.2019 unter Abänderung des Tatvorwurfs auf fahrlässige Tötung in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen außer Vollzug gesetzt. Der Beschuldigte wurde am 17.12.2019 aus der Untersuchungshaft entlassen.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin wurde der Haftbefehl durch Beschluss des OLG München vom 20.01.2020 wieder in Vollzug gesetzt.

Der Beschuldigte wurde am 22.01.2020 festgenommen und um selben Tag um 14.30 Uhr dem zuständigen Ermittlungsrichter RiAG pp. vorgeführt. Im Vorfeld gab es zur Terminsabstimmung ein Telefonat zwischen RiAG pp. und der Kanzlei des Verteidigers pp., in welchem RiAG pp. sinngemäß äußerte, der Haftbefehl werde ohnehin vollzogen.

Mit Schriftsatz vom 22.01.2020 beantragte der Verteidiger die Ablehnung des Richters am Amtsgericht pp. wegen Besorgnis der Befangenheit. Zur Begründung führte er aus, dass der Erlass des Haftbefehls sachfremd und diskriminierend sei und sich die Voreingenommenheit des RiAG pp. bereits aus der vor der Haftvorführung getätigten telefonischen Äußerung ergebe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 22.01.2020 verwiesen.

Der Richter am Amtsgericht pp. erklärte in einer dienstlichen Stellungnahme vom 22.01.2020 folgendes:

„Es trifft zwar zu, dass ich telefonisch mitgeteilt habe, dass der Haftbefehl wohl aufrechterhalten und vollstreckt werden wird. Dies vor dem Hintergrund, dass auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft der vom LG Ingolstadt außer Vollzug gesetzte Haftbefehl durch das OLG München am 20.01.2020 wieder in Vollzug gesetzt wurde. Es wäre vom Gerechtigkeitssinn her bizarr, würde der Amtsrichter, nachdem das Verfahren über drei Instanzen hinweg entschieden worden ist, nun mittels eines Federstrichs den Haftbefehl wiederum aufheben oder die vom OLG bejahte Fluchtgefahr verneinen, obwohl sich die Sachlage nicht geändert hat. Insofern erschien es mir zum Zeitpunkt des Telefonates sehr unwahrscheinlich zu sein, dass entgegen der Tatsache, dass ich ursprünglich ohnehin den Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt habe, nach einer Entscheidung des OLG München nun plötzlich nicht mehr vom Vorliegen von Haftgründen ausgehen würde.

Die Benachrichtigung der Verteidigung erfolgte nach meiner Information durch die Familie des Beschuldigten bereits in den Morgenstunden nach Angaben der Staatsanwaltschaft. Ich hätte selbst ohne Akte auch die Verteidigung nicht selbst benachrichtigen können. Auf Betreiben der Verteidigung habe ich den Termin dann auch noch von 13.15 auf 14.30 Uhr verlegt.

Abgesehen davon, dass rechtlich fraglich ist, ob auch im vorbereitenden Verfahren der Ermittlungsrichter bereits abgelehnt werden kann, so musste jedenfalls die Eilentscheidung angesichts der eilig durchzuführenden Vorführung entschieden werden, weil das Prozedere (Dienstliche Stellungnahmen, rechtliches Gehör bezüglich letzterer durch die Verteidigung und Entscheidung durch den für die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag zuständige Richterin) länger gedauert hätte, als für die Vorführung Zeit gewesen ist. Zudem ist eine Haftvorführung besonders eilig durchzuführen.“

Die dienstliche Stellungnahme wurde dem Verteidiger mit Verfügung vom 24.01.2020 zur Stellungnahme binnen einer Woche übersandt.

II.

1. Das Ablehnungsgesuch des Beschuldigten ist zulässig.

Ein Ablehnungsgesuch ist auch gegen einen Ermittlungsrichter statthaft (Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 27 StPO Rn. 17).

2. Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

a) Eine Besorgnis der Befangenheit besteht nach allgemeiner Auffassung, wenn aus Sicht eines vernünftigen Ablehnungsberechtigten Zweifel an der – auch verfassungsmäßig gebotenen – Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit des Richters bestehen. Befangenheit ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ein innerer Zustand des Richters, welcher seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen kann. Ob die Befangenheit tatsächlich vorliegt, ist hierbei ebenso unerheblich wie die Frage der Ernstlichkeit ihrer Besorgnis beim Ablehnenden. Es genügt der Anschein der Befangenheit. Bei verbleibenden Zweifeln ist zuungunsten des abgelehnten Richters zu entscheiden.

b) Bei Anwendung der oben genannten Grundsätze ist die berechtigte Besorgnis der Befangenheit vorliegend gegeben.

Aufgrund der bereits vor der Haftvorführung getätigten Äußerung des RiAG pp., der Haftbefehl werde unabhängig davon, ob der Verteidiger zum Termin erscheine, vollzogen werden, hat RiAG pp. den Eindruck vermittelt, seine Entscheidung bereits vor der Vernehmung des Beschuldigten getroffen zu haben. Der Beschuldigte durfte bei verständiger Würdigung dieses Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Ich frage mich, wie der abgelehnte Ermittlungsrichter auf die Idee kommt, dass ein Ermittlungsrichter nicht abgelehnt können werden soll?