Die Unterbringung nach § 64 StGB setzt die Verurteilung wegen einer erheblichen rechtswidrigen Tat voraus. Von einer solchen geht der OLG Celle, Beschl. v. 17.11.2011 – 32 Ss 140/11 – aus, wenn der Angeklagte wegen eines Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung, bei der der Angeklagte im Zustand der alkoholbedingt erheblich verminderten Schuldfähigkeit einem Polizeibeamten einen gezielten Faustschlag gegen die Stirn versetzt hat, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist, so handelt es sich um eine erhebliche rechtswidrige Tat i. S. d. § 64 StGB. Dazu heißt es:
„Zwar steht dem Tatrichter bei der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ein Ermessensspielraum zu, und zwar sowohl materiellrechtlich gem. § 64 S. 1 StGB (als Sollvorschrift) als auch prozessual hinsichtlich der Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 246a S. 2 StPO in Fällen, in denen das Gericht die Anordnung der Maßregel nicht einmal erwägt (zu den Kriterien hierfür und den schon im Gesetzgebungsverfahren vertretenen unterschiedlichen Ansichten vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 246a Rn. 3 m.w.N.). Insoweit ist es auch nicht rechtsfehlerhaft, von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abzusehen, wenn das Gericht bereits aus rechtlichen Gründen, die der Bewertung durch einen Sachverständigen entzogen sind, von der Anordnung der Maßregel absehen will, namentlich deswegen, weil die vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten keine erheblichen Straftaten i. S. d. § 64 StGB sind oder weil die Anordnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen würde.
Im konkreten Fall steht jedoch zu besorgen, dass das Landgericht zu enge Kriterien an den Begriff der erheblichen rechtswidrigen Tat i. S. d. § 64 StGB angelegt hat. Zwar reichen hierfür geringfügige Taten wie der Erwerb kleiner Rauschgiftmengen zum Eigenverbrauch (BGH NStZ 1994, 280), kleine Diebstähle oder Betrügereien (BGH NStZ 1992, 178) nicht aus. Insoweit hat das Landgericht, ausgehend von der Prämisse, dass von dem Angeklagten nur solche Taten zu erwarten seien, die er schon begangen hat, rechtsfehlerfrei Taten der Leistungserschleichung und des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum als erhebliche rechtswidrige Taten ausgeschlossen.
Etwas anderes gilt jedoch insbesondere für das Anlassgeschehen selbst, das das Landgericht (wie auch die Vorverurteilung wegen Erwerbs von Kokain) als Straftaten von einer „erheblicheren Kriminalität“, aber angesichts der Freiheitsstrafe von 6 Monaten als nicht „so schwerwiegend“ bezeichnet hat. § 64 StGB setzt keine schwerwiegende Kriminalität voraus; in Abweichung von § 63 StGB ist auch keine Gefahr für die Allgemeinheit erforderlich. Das Anlassgeschehen stellt sich als empfindliche Störung des Rechtsfriedens dar, indem der Angeklagte durch den Faustschlag gezielte körperliche Gewalt gegen einen Ermittlungsbeamten eingesetzt hat. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bei einem nach §§ 21, 49 StGB bereits reduzierten Strafrahmen hebt die Tat deutlich aus dem Kreis geringfügiger Straftaten heraus.
Bei der Abwägung, ob die Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wird das Landgericht auch zu berücksichtigen haben, dass neben dem Vollzug der hier zu verhängenden Freiheitsstrafe auch der zu erwartende Widerruf zweier Bewährungsstrafen tritt. Zwar kann die Dauer des Maßregelvollzugs auf in anderen Verfahren verhängte Strafen nicht angerechnet werden (§ 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollzO); die erfolgreiche Absolvierung der Maßregel kann aber auch bei diesen Strafen für Entscheidungen nach § 57 StGB von erheblicher Relevanz sein.„