Nach einem „Owi-Erholungstag“ dann heute noch einmal drei OWi-Entscheidungen.
Ich starte mit dem KG, Beschl. v. 09.11.2020 – 3 Ws (B) 262/20 –, mal wieder zu § 23 Abs. 1a StVO. Es geht um die Frage: Ist eine Digitalkamera ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs.1a StVO? Das KG hat die Frage bejaht:
2. Auch die erhobene Sachrüge erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts nicht, weil der vorliegende Einzelfall keine Veran-lassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen; auch klärungsbedürftige Rechtsfragen sind nicht ersichtlich.
a) Zwar ist eine „Elektro-Kamera mit Flachbildschirm und diversen Menu-Optionen“ (gemeint offenkundig: Digitalkamera), die der Betroffene ausweislich der Urteilsfest-stellungen während der Fahrt in der rechten Hand hielt und auf der er tippte, in § 23 Abs. 1a StVO nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie ist jedoch sprachlich zwanglos als ein der Organisation dienendes elektronisches Gerät im Sinne von § 23 Abs.1a StVO zu erfassen.
Der Gesetzgeber hat mit Einführung der 53. Verordnung zur Änderung straßenrecht-licher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 § 23 Abs.1a StVO grundlegend reformiert. Im Kern hat er das bisher geltende „Handyverbot“ auf sämtliche technische Geräte der Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungselektronik ausgeweitet. So werden in Satz 2 des Absatzes 1a der Vorschrift konkrete Gerätearten aufgezählt.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist hinreichend geklärt und bedarf deshalb keiner (weiteren) Entscheidung durch den Senat, dass die Aufzählung in § 23 Abs.1a Satz 2 StVO lediglich Beispiele enthält und nicht abschließend ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2019 – III-4 RBs 191/19 –, juris; Eggert in Frey-mann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 23 StVO Rn. 21; Will, NJW 2019, 1633 m.w.N.), wie schon die Formulierung „auch“ und „insbesondere“ deutlich macht. Mithin können neben den in Satz 2 genannten Geräten auch dort nicht ge-nannte elektronische Geräte, die der „Kommunikation, Information oder Organisati-on“ dienen oder zu dienen bestimmt sind (vgl. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO), unter die Verbotsnorm fallen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2019 a.a.O.; Fromm, MMR 2018, 68). Denn der Gesetzgeber hat einen technikoffenen Ansatz gewählt, um etwaige Neuentwicklungen ebenfalls erfassen zu können (vgl. BR-Drucksache 556/17, S. 27). Ergänzend bietet die in der Drucksache aufgenommene beispielhafte Aufzählung weiterer elektronischer Geräte (BR-Drucksache a.a.O.), z.B. Touch-screens, elektronische Terminplaner, Diktiergeräte, E-Book-Reader, MP3-Player, DVD-Player und Walkman, insoweit, begrenzt durch den Wortlaut der Vorschrift eine Verständnis- und Auslegungshilfe (vgl. Eggert a.a.O. § 23 Rn. 23; Fromm a.a.O.). Vor diesem Hintergrund hat z.B. das OLG Köln (vgl. Beschluss vom 5. Februar 2020 – 1 RBs 27/20 –) entschieden, dass auch eine Fernbedienung für ein stationäres Na-vigationsgerät, anders als Ladekabel oder eine sog. „Powerbank“ (dazu vgl. OLG Hamm DAR 2019, 632), ein elektronisches Gerät im Sinne der Norm darstellt.
Auch bei einer Digitalkamera handelt es sich um ein elektronisches Gerät im Sinne der Vorschrift, nämlich eine Kamera, die als Aufnahmemedium anstatt eines Films (Analogkamera) ein digitales Speichermedium verwendet und das Bild zuvor mittels eines elektronischen Bildwandlers (Bildsensor) digitalisiert (vgl. Wikipedia-Artikel „Di-gitalkamera“, zuletzt abgerufen am Entscheidungstag). Die Digitalkamera dient als Gerät der Unterhaltungselektronik nicht nur dazu, Fotografien anzufertigen, sondern auch dazu, Datensätze, nämlich einzelne, wieder aufrufbare und auf dem Display der Kamera abbildbare Fotos, zu speichern, über den Flachbildschirm wiederholt anzu-sehen und zu organisieren. Eben auch diesem Zweck dient die Menüführung der Kamera, deren Funktion damit über die eines reinen Fotoapparates hinausgeht. Nach Ordnungs- und Speicherfunktion sowie Bedienung ist die Digitalkamera ohne Weiteres einem elektronischen Terminplaner oder einem MP3-Player vergleichbar.
b) Obergerichtlich ist auch geklärt, welche Handlungen im Einzelnen die Voraussetzun-gen des § 23 Abs. 1a StVO erfüllen. So ist das bloße Aufnehmen oder Halten eines elektronischen Gerätes – ohne das Hinzutreten eines Benutzungselementes – nicht ausreichend, den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO zu erfüllen (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 – 3 Ws (B) 165/20 –; Beschluss vom 14. August 2019 – 3 Ws (B) 273/19 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III-4 RBs 30/19 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 2 Rb 24 Ss 1269/18 –, juris). Erforderlich ist vielmehr ein Zusammenhang des Aufnehmens oder Haltens mit einer der Bedienfunktionen des Gerätes, also mit seiner Bestimmung zur Kom-munikation, Information oder Organisation (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 23 StVO Rn. 32).
Eine Benutzung des Gerätes ist bereits bei Ablesen der Uhrzeit oder des Ladezu-standes (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Februar 2019, 3 Ss (OWi) 8/19, BeckRS 2019, 1556), bei Betätigung einer Taste zur bloßen Kontrolle der Funktionstüchtigkeit des Gerätes (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Mai 2019 – 3 Ws (B) 160/19 –, juris), beim Aufnehmen eines Mobiltelefons während der Fahrt zum Auslesen einer gespei-cherten Telefonnummer (vgl. OLG Hamburg NZV 2016, 485) oder bei einer Handha-bung mit Bezug zu einer der Funktionstasten (vgl. OLG Hamburg NZV 2016 a.a.O.) gegeben. Der Feststellung, welche Bedienfunktion konkret genutzt worden ist, bedarf es nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 14. August 2019 a.a.O.).
Damit lässt sich das vom Amtsgericht festgestellte Tippen auf der in der Hand gehal-tenen „Elektro-Kamera mit Flachbildschirm und diversen Menu-Optionen“ unter die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Nutzung von elektronischen Geräten im Sinne des § 23 Abs.1a StVO bereits aufgestellten Leitsätze subsumieren. Insbe-sondere ist eine Digitalkamera mit Flachbildschirm nicht einem reinen Taschenrech-ner vergleichbar, bei dem fraglich sein könnte, ob die bloße Eingabe einer Rechen-operation und deren anschließendes Ablesen einem Informationszweck im Sinne des § 23 Abs.1a StVO unterfällt (ablehnend OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 2 Ss (OWi) 175/18 –, juris; befürwortend OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2019 a.a.O.). Klärungsbedürftige Fragen bestehen deshalb im vorliegenden Fall nicht.
c) Die hier festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit ist am 19. November 2019 und damit vor dem Inkrafttreten der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrecht-licher Vorschriften vom 20. April 2020 (BGBl. I 2020, 814) begangen worden, wes-halb es auf die geltend gemachte Nichtigkeit der Novelle wegen einer Verletzung des Zitiergebots nicht ankommt.
Soweit der Angeklagte möglicherweise außerdem geltend machen will, dass die durch das Amtsgericht angewendete StVO vom 6. März 2013 (BGBl. I 2013, S.367) nichtig sei, folgt der Senat dem nicht. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht hält der Senat die erfolgte Bezugnahme in der Eingangsformel der Verordnung auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG mit den dort genannten Buchstaben für eindeutig. Eine Bezug-nahme auf den ersten Halbsatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVO erübrigt sich (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 3 Ws (B) 249/20 –; OLG Oldenburg, Beschluss vom 8. Oktober 2020 – 2 Ss (OWi) 230/20 –, juris).“