Nach dem „schönen“ OLG Jena, Beschl. v. 01.03.2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 (vgl. dazu Akteneinsicht a la OLG Jena, oder: Burhoff und sein „Teufelskreis“) eine weitere Entscheidung eines OLG zur Einsichts-/Beiziehungsfrage von Messunterlagen/Messdaten, die mir der Kollege Gratz übersandt hat; besten Dank. Es ist der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 24.02.2016 – Ss (BS) 6/2016 (4/16 OWi). Das AG hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er „die Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. des Anspruches auf ein faires Verfahren sowie die Verletzung formellen Rechts“ rügt. Diese Verfahrensrüge wird im Wesentlichen damit begründet, das AG habe dadurch, dass es den von dem Verteidiger des Betroffenen bereits bei der Bußgeldbehörde gestellten, von dieser abgelehnten und im Hauptverhandlungstermin wiederholten Antrag, „ihm den zur eigenständigen Auswertung der Messung erforderlichen kompletten Falldatensatz einschließlich der dort gespeicherten Helligkeitsprofile herauszugeben“, abgelehnt habe, den Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt, weil die Kenntnis dieser Informationen für eine sachgerechte Verteidigung, nämlich zur Überprüfung der mit dem Messgerät ES 3.0 der Firma ESO durchgeführten Geschwindigkeitsmessung, unabdingbar sei.
Das Rechtsmittel hatte zwar aus formellen Gründen keinen Erfolg, aber die Entscheidung ist in meinen Augen dennoch von erheblicher Bdeeutung. Und zwar aus zwei Gründen:
Das OLG führt zunächst aus und bestätigt, was schon das OLG Düsseldorf im vorigen Jahr festgestellt hat:
„Zwar kann sich aus dem – aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK folgenden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015 – 2 RBs 63/15, juris Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 19) – Recht auf ein faires Verfahren ein über das Recht auf Akteneinsicht (§ 147 StPO i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) hinausgehender Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, sich nicht bei den Akten befindenden Messunterlagen und Messdaten ergeben, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O., juris Rn. 18; Cierniak, zfs 2012, 664, 673; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 4 f.)…“
Und es gibt dann einen für den Verteidiger wichtigen Hinweis:
„…Auf die Versagung dieser Einsicht in die Messunterlagen bzw. Messdaten durch die Bußgeldbehörde kann die Rechtsbeschwerde jedoch für sich allein nicht gestützt werden, da es sich hierbei um ein der Hauptverhandlung vorgelagertes Geschehen handelt (vgl. Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 6; vgl. auch bezüglich der Verweigerung der Akteneinsicht: OLG Hamm NJW 1972, 1096; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 147 Rn. 42).
b) Nur wenn deswegen in der Hauptverhandlung ein Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung gestellt und durch Gerichtsbeschluss abgelehnt worden ist, kann der Rechtsbeschwerdegrund der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO i. V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), der auch in Betracht kommt, wenn das Gericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 338 Rn. 59), geltend gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1985, 87 f. – juris Rn. 2 f.; StV 1988, 193 f. – juris Rn. 3 ff.; OLG Hamm NJW 1972, 1096 f.; KG VRS 83, 428, 429; Cierniak, zfs 2012, 664, 672, 676; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 7). Zum Erhalt dieser Rüge muss von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) Gebrauch gemacht werden (vgl. BGHSt 1, 322, 325; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 238 Rn. 22; Cierniak, zfs 2012, 664, 672, 676; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 7). Das gilt auch im Verfahren vor dem Bußgeldrichter, obwohl hier Vorsitzender und Gericht identisch sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 238 Rn. 18; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 7)…“
Wer in den letzten Jahren bei mir in einer Fortbildung oder im FA-Kurs war, weiß das (hoffentlich). Ich könnte auch schließen mit: Habe ich doch schon immer gesagt (vgl. VRR 2011, 250 und VRR 2012, 130; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., 2015, Rn 254 ff. m.w.N.). Und Cierniak und Niehaus haben es auch gesagt. Also: Achtung.