Einer meiner Lieblingsentscheidungslieferanten hat mich vor einigen Tagen auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 10.02.2015 – 2 Rv 16/15 – hingewiesen. Der Beschluss ist – wie man sieht – schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht worden. Es geht um den unerlaubten Anbau von Betäubungsmitteln sowie den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in einem Verfahren, das bereits seit 2013 anhängig war. Der Angeklagte ist vom AG zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das OLG hat das Verfahren dann in der Revisionsinstanz nach § 153 StPO eingestellt, und zwar mit folgender Begründung:
„Die zulässige (Sprung-)Revision dürfte in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg haben. Der Revisionsführer weist zu Recht darauf hin, dass sich das schriftliche Urteil nicht zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels verhält. Dahingehende Feststellungen sind grundsätzlich nicht entbehrlich. Die Cannabisblütenqualität liegt zwar zumeist auf hohem Niveau, kann aber gleichwohl auch von schlechterer Qualität sein. Bei Cannabisblüten dürfte sich der durchschnittliche Wirkstoffgehalt um 10 % bewegen (vgl. zum Ganzen: Patzak/Goldhausen in : NStZ 2011, 76, 77; Weber, BtMG, 3. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 837). Auch wenn aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Gutachten nicht erstellt wurde, so hat das Gericht von einem Wirkstoffgehalt auszugehen, der nach den Umständen in Betracht kommt. Die gebotene Feststellung dazu fehlt. Darauf beruht das angefochtene Urteil, sodass es grundsätzlich einer Aufhebung zugänglich ist.
Es sind weitere Umstände zu beachten, die zugunsten des Angeklagten wirken. Im Falle der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache wäre ein erheblicher Zeitablauf zu beobachten; bereits jetzt sind seit der Tat mehr als 1 Jahr und 8 Monate vergangen. Die Tatrichterin hat ihren Feststellungen die Einlassung des Angeklagten zugrunde gelegt und ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe das Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch und zum Zwecke der Schmerzlinderung angebaut bzw. hergestellt. Dass Cannabisprodukte eine schmerzlindernde Wirkung haben, ist seit langem bekannt.“
Aus den genannten Gründen, die nach Auffassung des Senats sämtlich zutreffen, hat die Generalstaatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO beantragt. Dies erscheint angesichts der überlangen Verfahrensdauer, insbesondere aber angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel zum Zwecke der Schmerzlinderung für sich selbst angebaut hat, vernünftig. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Bundesregierung Schmerzpatienten den legalen Zugang zu Cannabis demnächst erleichtern will, eventuell sollen sogar Krankenkassen die Kosten für Cannabis-Therapien übernehmen. Dem Senat ist bekannt, dass Cannabis zur Schmerzlinderung in vielen Fällen wirksamer ist als Medikamente, die der Arzt verschreiben kann, dabei hat es häufig weniger schädliche Nebenwirkungen als verschreibungspflichtige Medikamente. Dies ändert zwar nichts an der Strafbarkeit der abgeurteilten Taten, führt aber dazu, dass der Senat eine strafrechtliche Ahndung in Übereinstimmung mit der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht als geboten ansieht.“
Der Senat hatte wahrscheinlich die FAZ gelesen, die kurz vor dem Beschluss berichtet hatte: Gesetzentwurf geplant Cannabis zur Schmerztherapie.
Ein wenig Zeit ist dann aber doch noch ins Land gegangen. Inzwischen gibt es aber den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften„. Schauen wir mal, ob die Bundesregierung das in dieser Legislaturperiode noch auf die Reihe bekommt. Dem Angeklagten aus dem o.a. Verfahren ist das sicherlich egal. Den eingestellt ist eingestellt.