Und weiter geht es mit der Berichterstattung über neuere interessante Entscheidungen. Heute mal wieder „Verkehrsrecht“.
Und als erste Entscheidung zu der Thematik stelle ich das KG, Urt. v. 18.01.2022 – 3 Ss 59-60/21 – vor. Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm zugleich die Fahrerlaubnis entzogen. Es hat den Angeklagten für schuldig befunden, am 09.02.2020 gegen 16.45 Uhr – während eines sog. Hochzeitskorsos – mit einem PKW Maserati auf einer zentralen und stark belebten Kreuzung des Berliner Bezirks Charlottenburg, nämlich vor dem Bahnhof Zoologischer Garten, mit quietschenden Reifen und starker Qualmentwicklung sogenannte Donuts (360-Grad-Kehren) gefahren zu haben. Wegen der Feststellungen im Einzelnen verweis ich auf den Volltext.
Dagegen richten sich die Revisionen der Amtsanwaltschaft und des Angeklagten. Erstere macht geltend, der Angeklagte hätte auch wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt werden müssen. Letzterer vertritt die Auffassung, die Feststellungen trügen eine Verurteilung wegen Nötigung weder in Bezug auf die innere noch auf die äußere Tatseite. Auch beanstandet der Angeklagte die Beweiswürdigung sowie die Bemessung der Rechtsfolgen, namentlich die Entziehung der Fahrerlaubnis. Beide Rechtsmittel bleiben erfolglos.
Das KG hat beide Revisionen verworfen.
Wegen der Revision des Angeklagten verweise ich auch auf den Volltext und stelle hier nur den Leitsatz ein:
Der Tatbestand der Nötigung erfordert in Bezug auf die Zwangswirkung nicht in jedem Fall Absicht.
Die Verwerfung der Revision der Amtsanwaltschaft hat das KG wie folgt begründet:
„Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei davon abgesehen, den Angeklagten wegen eines mit der Nötigung tateinheitlich begangenen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§§ 315d Abs. 1 Nr. 3, 52 StGB) zu verurteilen. Nach dieser Strafvorschrift macht sich strafbar, wer „sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“.
So offenkundig die Merkmale der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit durch den Angeklagten auch verwirklicht sein mögen, so fällt sein Verhalten doch nicht unter die weiteren Merkmale des 2017 eingeführten Straftatbestands.
1. Als nicht verwirklicht sieht der Senat zunächst das Merkmal der „Fortbewegung“ an, zumal in der vom Gesetz gewählten Form des „Sichfortbewegens“. Denn der Angeklagte hat sich durch seine sinnlosen Kehren gerade nicht fortbewegt, sondern er rotierte auf der Stelle. Eine Auslegung dahin, Rotationen seien eine Art der Fortbewegung, scheitert bereits an der Wortlautgrenze. Da man etwa einem Uhrzeiger eine Bewegung ebenso wie eine Geschwindigkeit attestieren kann, könnte man zwar zutreffend formulieren, der Zeiger bewege sich in oder mit einer bestimmten Geschwindigkeit. Unüblich und wohl falsch wäre es hingegen zu äußern, der Zeiger bewege sich „fort“. Unter Fortbewegung ist, wie die beiden Bestandteile des Kompositums unzweifelhaft zeigen, eine Bewegung von einem Ort zu einem anderen zu verstehen (vgl. Duden online: „von der Stelle bewegen“; Fischer, a.a.O., § 315d Rn. 13).
Unzutreffend wäre es zu argumentieren, dass sich das Heck eines rotierenden Fahrzeugs durchaus fortbewegt, nämlich im Kreis. § 315d StGB ist, wie die meisten Strafvorschriften, als Relativsatz konstruiert. Es heißt hier: „Wer sich … fortbewegt …“. Unzweifelhaft beziehen sich die beiden Pronomen „wer“ und „sich“ auf ein Subjekt, einen Menschen. Fortbewegen muss sich als also nicht ein Gegenstand, sondern eine Person. Ein Fahrzeug per Funk zu steuern, reichte nicht aus. Ebenso wenig reicht es aus, wenn sich nur das Heck eines Fahrzeugs im Kreis bewegt. Und selbst wenn man hier noch einwendete, dass auch der Fahrer eines rotierenden Fahrzeugs nicht immer an oder über der gleichen Stelle bleibt, sondern sich geringfügig bewegt, so fehlt es bei ihm doch am Umstand der „Fort-Bewegung“.
2. Auch hat das Amtsgericht nicht festgestellt, dass der Angeklagte handelte, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Wie oben angedeutet, erscheint es zwar noch nachvollziehbar, einem sich rotierenden Gegenstand eine Geschwindigkeit beizumessen. Messbar wäre im Falle eines sich drehenden Fahrzeugs die Geschwindigkeit des Hecks, z. B. als Umdrehungen pro Zeit. Hierbei handelte es sich aber um einen von der StVO abweichenden Geschwindigkeitsbegriff; § 3 StVO und allen anderen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts liegt der Quotient „km/h“ zugrunde (ausführlich zur Bedeutung des § 3 StVO für § 315d StGB vgl. BGH NJW 2021, 1173). Zwar gilt auch hier, dass sich die Geschwindigkeit des Fahrzeughecks als Umlaufgeschwindigkeit in km/h und damit – im Grundsatz – in der durch die StVO zugrunde gelegten Maßeinheit messen ließe. Allerdings spricht auch hier nichts dafür, dass der Gesetzgeber bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ausnahmsweise nicht auf die Geschwindigkeit des gesamten Fahrzeugs, sondern nur auf einen Teil davon (hier: das Heck) abstellen wollte.
Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber in § 315d StGB einen anderen Geschwindigkeitsbegriff gebrauchen wollte als die StVO, ist dem angefochtenen Urteil auch nicht zu entnehmen, dass die Zahl der Umdrehungen und mehr noch ihre „Geschwindigkeit“ bei der Tat und für den Täter überhaupt eine Rolle gespielt hat. Es ist auch auszuschließen, dass diesbezüglich noch etwas aufzuklären ist.
3. Der Terminus der „nicht angepassten Geschwindigkeit“ zeigt, dass der Gesetzgeber Fahrweisen unter Strafe stellen wollte, die einer angepassten Geschwindigkeit grundsätzlich zugänglich sind. Das missbräuchliche Rotierenlassen eines PKW fällt ersichtlich nicht darunter.
4. Auch die amtliche Überschrift des § 315d StGB „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ lässt erkennen, dass die Vorschrift das hier abgeurteilte Verhalten, dem jedes kompetitive Moment fehlt, nicht erfasst. Zwar wird eingewandt, die Überschrift sei ohnehin unzutreffend, weil sie mit Abs. 1 Nr. 3 das so genannte Einzelrennen unter Strafe stelle, dem der Wettbewerbscharakter gleichfalls fehle (Fischer, a.a.O., § 315d Rn. 1 m.w.N.). Nach Auffassung des Senats muss die Überschrift aber begrenzend in den sehr weit gefassten Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hineingelesen werden, so dass sich das äußere und innere Tatgeschehen „wie ein Rennen darstellen“ muss. Auch in den Materialien findet sich immer wieder die Formulierung, § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB wolle Sachverhalte erfassen, bei denen „nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen nachstellt“ (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 5). Der für § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB üblich gewordene Terminus des „Einzelrennens“ ist geeignet, dem Rechnung zu tragen. Mit einem Rennen hatte die Aufführung des Angeklagten ersichtlich nichts gemein.
5. Schließlich hat das Amtsgericht zutreffend bedacht, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) eine zurückhaltende Anwendung erfordert (vgl. Senat NZV 2019, 314 [Volltext bei juris]).
6. Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis der revidierenden Amtsanwaltschaft, aus einer im Bundesrat vorgelegten alternativen Begründungsempfehlung ergebe sich, dass mit Kraftfahrzeugrennen nicht nur Geschwindigkeitsrennen gemeint sein sollten, sondern auch Geschicklichkeits-, Zuverlässigkeits-, Leistungsprüfungs- und Orientierungsfahrten, so dass auch „Burnouts“, „Wheelies“, „Stoppies“ und „Donuts“ unter Strafe gestellt werden sollten (vgl. BR-Drs. 362/1/16, 12). Da diese Deutung mit dem Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht in Einklang zu bringen ist, verbietet sich eine entsprechende Anwendung; sie verstieße gegen den Schuldgrundsatz (Art 103 Abs. 2 GG). Im Übrigen handelt es sich um eine Empfehlung, die gerade nicht übernommen worden ist und daher von vornherein ungeeignet ist, Aufschluss über den tatsächlichen Willen des Gesetzgebers zu geben.“