Und in die 19 KW. starte ich dann wieder mit Coronaentscheidungen – irgendwann in hoffentlich nicht mehr allzu ferner Zeit wird das nicht mehr nötig sein.
Zunächst eine Entscheidung des VerfGH Sachsen, und zwar zu folgendem Sachverhalt:
Gegen den Beschwerdeführer war ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den er Einspruch eingelegt hat. Zum anberaumten Termin zur Hauptverhandlung am 05.05.2020 erschien der — von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbundene — Betroffene am Amtsgericht Marienberg. Dort wurden neben den gewöhnlichen Einlasskontrollen Kontrollen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie durchgeführt. Hierzu musste sich jeder Besucher, um Zugang zum Gericht zu erhalten, am Eingang in eine fortlaufende, tabellarisch geführte Liste („Besucherkarte“) eintragen und dabei — für alle nachfolgenden Besucher lesbar — Name, Anschrift und Telefonnummer sowie das Aktenzeichen und den Sitzungssaal der Verhandlung angeben, zu der er geladen war. Der Betroffene sowie sein Verteidiger rügten, das Ausfüllen der Liste sei unzumutbar und widerspreche jeglichen datenschutzrechtlichen Grundsätzen. Da sich der Betroffene weigerte, die Liste auszufüllen, um — nach eigenen Angaben — anderen Besuchern und dem Personal nicht zu ermöglichen, seine Telefonnummer oder die konkrete Verhandlung bekannt zu machen, wurde ihm der Zugang zum Gericht verweigert.
Das AG hat dann den Einspruch des Beschwerdeführers gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen sei. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der VerfGH Sachsen hat mit VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.04.20201 – Vf. 137-IV-20 – die Verwerfungsentscheidungen aufgehoben:
„……
d) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 78 Abs. 2 SächsVerf ist das Amtsgericht Marienberg nicht gerecht geworden, indem es eine hinreichende Entschuldigung für das Fernbleiben verneint und deswegen den Einspruch des Beschwerdeführers gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung hat das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen, dass das Gericht selbst den Zugang des Beschwerdeführers zum Gerichtsgebäude und damit auch dessen Teilnahme an der Hauptverhandlung in offenkundig rechtswidriger Weise von der Preisgabe personenbezogener Daten abhängig gemacht hatte.
aa) Die am Einlass zum Gerichtsgebäude bei sämtlichen Besuchern durchgeführte, papiergebundene Sammlung personenbezogener Daten (Name, Vorname, Anschrift, Telefon-nummer, Datum und Uhrzeit des jeweiligen Zutritts zum Gebäude einschließlich der mit dem Eintrag in die Liste verbundenen Bestätigung, in keinem Coronavirus-Risiko-gebiet gewesen zu sein, keine Symptome einer Coronavirus-Infektion aufzuweisen und keine entsprechende Kontakte gehabt zu haben), fallt in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, künftig: DSGVO), die in sämtlichen Mitgliedstaaten unmittelbar Geltung beansprucht und daher auch vom Amtsgericht zu beachten war. Denn es handelt sich hierbei i.S.d. Art. 2 Abs. 1 DSGVO um die nichtautomatisierte Verarbeitung von in einem Dateisystem gespeicherter Daten. Nach der Definition in Art. 4 Nr. 6 DSGVO besteht ein solches Dateisystem in einer strukturierten Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich ist, unabhängig davon, ob sie zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird; umfasst sind nach herrschender Auffassung alle denkbaren Ordnungssysteme einschließlich Tabellen und Listen (vgl. Kühling/Raab in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 4 Abs. 6 DS-GVO Rn. 3; Bäcker in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand August 2020, Art. 2 DS-GVO Rn. 4, Art. 4 DS-GVO Rn. 83; Ernst in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 2 DS-GVO Rn. 8 f.; Ennöckl in: Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl., Art. 4 Rn. 110 ff.; Kramer in: Paschke/Berlit/Meyer/Kröner, Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 4. Aufl., 77. Abschnitt Rn. 8). Vorliegend erfolgte jedenfalls eine geordnete Sammlung der Informationen über den Zutritt zum Gerichtsgebäude, die — zu Rekonstruktionszwecken für die Gesundheitsbehörden — sowohl nach Datum und Uhrzeit, als auch nach den weiteren erhobenen Merkmalen wie insbesondere Sitzungssaal, Name oder Kontaktdaten ausgewertet werden konnte. Bereits das Erheben solcher personenbezogenen Daten stellt nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO eine Verarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung dar. Da die Verarbeitung nicht zum Zwecke der Strafverfolgung, sondern aus Gründen des Infektionsschutzes erfolgte, steht Art. 2 Abs. 2 Buchst. d DSGVO einer Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung nicht entgegen.
bb) Die Erhebung der personenbezogenen Daten mittels einer — zumindest für nachfolgende Besucher — einsehbaren Liste verstieß offenkundig gegen den Grundsatz der Vertraulichkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. f DSGVO und stellte daher eine unzulässige Verarbeitung dar, weil sie unbefugten Dritten Zugang zu den Daten ermöglichte (vgl. Erwägungsgrund 39 Satz 12 DSGVO; Herbst in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 5 Rn. 76; Schantz in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand August 2020, Art. 5 DS-GVO Rn. 35 f.; Heberlein in: Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 28).
Vor diesem Hintergrund kann vorliegend dahinstehen, ob die beabsichtigte Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers auf eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung i.S.d. Art. 6 DSGVO gestützt werden konnte und auch dem Vorbehalt der Erforderlichkeit genügte.
cc) Das Amtsgericht war von Verfassungs wegen gehalten, den Umstand, dass der Beschwerdeführer, um Zugang zum Gerichtsgebäude zu erlangen, personenbezogene Daten in einer den datenschutzrechtlichen Bestimmungen widersprechenden Weise hätte angeben müssen, bei der Prüfung des § 74 Abs. 2 OWiG in die Abwägung mit der öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung einzustellen. Die prozessuale Mitwirkungsobliegenheit, zumutbare Möglichkeiten auszuschöpfen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, umfasst nicht die Erfüllung von Zugangsvoraussetzungen, deren Ausgestaltung durch die an das Recht gebundene Gerichtsverwaltung objektiv rechtswidrig war. Es stand auch nicht in Rede, dass der Beschwerdeführer eine Preisgabe der Daten auch unabhängig von der Form der Erhebung verweigert hätte. Für eine amtswegige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Einlasskontrollen am Tag der Hauptverhandlung hatte das Amtsgericht schon deshalb Anlass, weil der Verfahrensbevollmächtigte in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass der Beschwerdeführer infolge verweigerten Zugangs nicht habe erscheinen können. Dem steht auch nicht entgegen, dass das erkennende Gericht — offenbar — darauf vertraut hat, dass am Amtsgericht entsprechende Handlungsanweisungen des Oberlandesgerichts Dresden sachgerecht um-gesetzt worden sind. Dies hat das Amtsgericht nicht getan und dadurch den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.vom 27. Februar 2018 — Vf. 121-IV-17; Beschluss vom 21. Juni 2012 — Vf. 154-IV-11).“
Na ja. Damit ist dann ja dem Datenschutz Genüge getan.