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Corona II: Corona-Schutz-VO, oder: Zeitgesetze?

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Bei der zweiten „Corona-Entscheidung“, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 17.2.2021 – 2 RB 69/20. Thematik: Die Corona-VO als Zeitgesetz? Dazu das OLG:

„2. Die – auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden – Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch.

a) Das Amtsgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

Der Betroffene war am 17. April 2020 um 17:20 Uhr in Hamburg auf dem Mittelweg mit seiner Ehefrau und seinem Kleinkind unterwegs. Auf der Straße begrüßte er bei einem zufälligen Zusammentreffen die Schwester seiner Ehefrau und deren Ehemann durch Berührung des Ellenbogens des anderen mit dem eigenen Ellenbogen, wobei der Betroffene zu den anderen drei erwachsenen Personen einen Mindestabstand von 1,5 m nicht einhielt, obwohl ihm das Abstandsgebot bekannt war und die örtlichen und räumlichen Verhältnisse dessen Beachtung zugelassen hätte. Der Betroffene lebte mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kleinkind, nicht aber mit den übrigen Personen in derselben Wohnung. Ein Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnis des Betroffenen bestand im Verhältnis des Betroffenen zu letzteren Personen nicht.

b) Die festgestellte Zuwiderhandlung stellte einen Verstoß gegen das Abstandsgebot gemäß § 1 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 und damit eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO dar. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der genannten Verordnung greift nicht ein. Denn § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 2. April 2020 erlaubt nur die Begleitung einer weiteren Person, die nicht in derselben Wohnung lebt. Hier waren es deren zwei.

c) Die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 ist unbeschadet ihres Außerkrafttretens und ihrer Ersetzung durch andere, für den Betroffenen etwa „günstigere“ Vorschriften, noch anzuwenden.

aa) Auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt, dass eine Geldbuße sich nach dem Gesetz bestimmt, das zur Zeit der Handlung gilt (§ 4 Abs. 1 OWiG). Wird dabei das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG: Meistbegünstigungsprinzip).

Allerdings sieht § 4 Abs. 4 OWiG eine Ausnahme von dem Meistbegünstigungsprinzip für sogenannte Zeitgesetze vor, bei denen es für die Bußgelddrohung grundsätzlich bei dem Tatzeitprinzip zu verbeiben hat, da anderenfalls bei ausnahmsloser Anwendung des Gebots der Rückwirkung des mildesten Gesetzes diese Zeitgesetze gegen Ende ihrer Geltungsdauer nach und nach die erforderliche Achtung in der dann begründeten Erwartung verlieren, nach Außerkrafttreten des Gesetzes könnten Gesetzesübertretungen nicht mehr geahndet werden (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.).

Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37; Göhler/Gürtler, § 4 Rn. 10).

Demgegenüber kann auch ohne eine solche Bestimmung ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) vorliegen, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37), vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.). Allerdings wird das Meistbegünstigungsprinzip dann wieder eine Bedeutung erlangen, wenn diese Neubewertung nicht ausschließlich auf der Veränderung der in Betracht kommenden Lebensverhältnisse, sondern auf einem Wechsel in der Rechtsanschauung des Gesetzgebers beruht (vgl. RGSt 57, 209; LK/Dannecker/Schuhr, StGB, § 2 Rn. 159; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, § 2 Rn. 38; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 36): Denn wenn die außergewöhnlichen Verhältnisse nicht mehr in gleicher Weise geregelt werden wie zur Zeit der Einführung des Zeitgesetzes, liegt eine Bewertungsänderung durch den Gesetzgeber vor, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass das Zeitgesetz auch für die Altfälle nicht mehr als die zutreffende Regelung Geltung beanspruchen will (LK/Dannecker/Schuhr, § 2 Rn. 159). Das setzt allerdings voraus, dass das ursprüngliche Zeitgesetz nicht wegen Änderung seiner tatsächlichen Voraussetzungen, sondern deswegen gemildert wird, weil sich der Gesetzgeber zu der ursprünglich schärferen Regelung nicht mehr bekennt (vgl. KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37).

bb) Hieran gemessen erweist sich die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.

(1) § 33 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 sollte von vornherein gemäß § 34 der Verordnung mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft treten, § 1 der Verordnung bereits mit Ablauf des 19. April 2020, und ist daher als Zeitgesetz im engeren Sinne zu qualifizieren.

(2) Spätere Lockerungen des kontaktbeschränkenden Abstandsgebots im Sinne einer Ausweitung des Ausnahmetatbestandes für Aufenthalte von Personen, die in derselben Wohnung leben, und Personen, die gemeinsam in einer anderen Wohnung leben, bei einer Höchstzahl von zehn Personen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 26. Mai 2020) sowie von Personen, zwischen denen ein bestimmtes familienrechtliches Verhältnis besteht (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) oder allgemein bis zu zehn Personen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) beruhten ersichtlich auf einem Rückgang der Neuinfektionen im Frühling und Sommer 2020.

(3) Mit der Verordnung vom 7. Januar 2021 (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 1), der 27. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020, ist der Verordnungsgeber, soweit es das Abstandsgebot bei Zusammenkünften von Angehörigen eines gemeinsamen Haushalts mit Personen eines weiteren Haushalts ohne Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnisse betrifft, zu der strengen Regelung wie zur Tatzeit erneut zurückgekehrt.

Dies wurde mit der aktuellen epidemiologischen Lage und Infektionsdynamik begründet, die eine Reduktion persönlicher Kontakte dringend erforderlich mache, um die Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitswesens zu verhindern (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 3). Der Umstand, dass der Verordnungsgeber zuvor in der Begründung zur 23. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 595, 608) trotz kritischer Entwicklung des Infektionsgeschehens in Hamburg zum Schutz der grundrechtlichen Freiheiten von Familie und Wohnung für Haushaltsangehörige und Familienmitglieder sowie zum Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit für Zusammenkünfte mit Angehörigen eines weiteren Haushalts eine weitergehende Ausnahme vom Abstandsgebot geregelt hat, deutet nicht auf eine grundsätzliche Neubewertung der Situation in dem Sinne hin, dass grundrechtlichen Belangen und sozialen Bedürfnissen in jedem Falle vor effektiver Bekämpfung der Pandemie (auch) durch Kontaktbeschränkungen der Vorzug gegeben werden sollte.

Vielmehr handelte der Verordnungsgeber in der Erwartung, das Gesamtkonzept der Neuregelung – welches in anderen Bereichen auch Verschärfungen vorsah, wie etwa Beschränkungen von Zusammenkünften auch in privaten Wohnräumen, die keine Feierlichkeiten darstellen (vgl. § 4a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 3 der 23. Änderungsverordnung gegenüber § 2 Abs. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020) und die Maskenpflichten (vgl. § 10a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 4 der 23. Änderungsverordnung) – führe zu einer Verringerung der Verbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 603). Dass die Begründung der Änderungsverordnung nicht allein auf empirische, sondern auch normative Aspekte (geringstmögliche Einschränkung der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten) Bezug nimmt, gibt der Änderungsverordnung nicht schon den Charakter einer Milderung des früheren Zeitgesetzes durch späteres Zeitgesetz (vgl. auch Kießling/Lorenz/ O?lakc?o?lu, IfSG, vor §§ 73 Rn. 22), denn der Verordnungsgeber hielt das Abstandsgebot weiterhin für geeignet und erforderlich, um die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen.

cc) Fehlt es nach alledem an einer relevanten Bewertungsänderung, kann für die Rechtsverordnungen zur Gefahrenabwehr im Rahmen von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz die Rückwirkung des mildesten Gesetzes nicht in Betracht kommen; dem früheren Normbefehl ist die nachwirkende Autorität nicht zu versagen.

d) Die Regelungen in §§ 1 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1, 32 Satz 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG genügen dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG.

…….“