Über manche Entscheidungen kann man – bzw. ich – nur den Kopfschütteln. Nicht unbedingt wegen des Ergebnisse, sondern wegen der Begründung und/oder wegen Formulierungen in den Entscheidungen. So ist es mir beim AG Dortmund, Urt. v. 25.8.2017 – 729 OWi-267 Js 1323/17-211/17 – ergangen.
Verurteilt worden ist der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer BAB. Der Betroffene versucht, ein Absehen vom Fahrverbot zu erreichen. das AG sieht aber nicht ab. Es stellt zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen fest:
„Der Betroffene ist ledig und Vater eines 4-jährigen Kindes, das bei der Kindesmutter lebt. Der Betroffene ist Soldat auf Zeit. Er hat sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet und befindet sich nach eigenen nicht geprüften Angaben in den letzten beiden Jahren seines Dienstes, in denen er die Möglichkeit hat, in einen Berufsförderungsdienst zu wechseln und dementsprechend eine Arbeitstätigkeit nicht mehr nachgehen muss, seine Besoldung aber weiter erhält und sich stattdessen weiterbilden lassen kann. Bei der Bundeswehr ist er im Bereich der Kfz- und Panzerinstandsetzung tätig. Der Wohnort des Betroffenen und seine Meldeadresse sind Duisburg in der Wohnung seiner Eltern. Der Betroffene ist aber offiziell so genannter „Kasernenschläfer“. Er hat jedoch etwa dreiviertel des letzten Jahres bei seiner Freundin/Lebensgefährtin/Mutter des gemeinsamen Kindes verbracht. Diese wohnt in Gütersloh, etwa 30 km von der Kaserne des Betroffenen entfernt. Die Lebensgefährtin leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression. Das gemeinsame 4-jährige Kind geht täglich in einen Kindergarten und zwar bis 15:00 Uhr. Der Betroffene kommt dann in der Regel gegen 17:00 Uhr vom Dienst bei der Bundeswehr in die Familie und kümmert sich dann vorwiegend um den Haushalt und das Kind, um seine Lebensgefährtin zu entlasten. Die Lebensgefährtin des Betroffenen kann nach einer amtsärztlichen Begutachtung, die durch das Jobcenter des Kreises Gütersloh durchgeführt wurde, eine Erwerbstätigkeit von weniger als 3 Stunden täglich nachgehen. Die Lebensgefährtin des Betroffenen hat einen Führerschein und schafft es (entgegen den unrichtigen Ausführungen des Betroffenen insoweit) auch, trotz ihrer psychischen Probleme längere Fahrten mit dem Fahrzeug durchzuführen. Sie kann sogar die Strecke von Gütersloh nach Dortmund mit einem Fahrzeug fahren.
Hinsichtlich seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse hat der Betroffene angegeben, dass es für den Fall der Verhängung einer Geldbuße in Höhe des Bußgeldbescheid-Betrages hilfreich für ihn wäre, wenn es zu einer Ratenzahlungsbewilligung käme. Er erhalte nämlich monatlich netto etwa 2.200,00 EURO Sold.
Verkehrsrechtlich ist der Betroffene bislang nicht in Erscheinung getreten.
Und dann heißt es zum Fahrverbot:
„Ein so genanntes Augenblicksversagen konnte das Gericht ausschließen, da bereits zuvor über viele Kilometer eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h auf der Autobahn stattgefunden hatte und jeder Fahrzeugteilnehmer im Rahmen einer langen Autobahnbaustelle stets mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren muss und gerade im Bereich von Autobahnauf- und -abfahrten mit weiteren Geschwindigkeitsreduzierungen rechnen muss.
Der Betroffene hatte im Übrigen angegeben, dass er sich in Gedanken befunden habe, da er für die Beerdigung eines Verwandten am selben Tag einen Banktermin gehabt habe – hierüber habe er nachgedacht. Dementsprechend müsse er in diesen Gedanken das Schild übersehen haben.
Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Augenblicksversagen auch dann ausscheidet, wenn die Fehlleistung darauf beruht, dass der Fahrzeugführer sich in tiefen Gedanken befand und deshalb das geschwindigkeitsbeschränkende Schild übersehen hat (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1995, 406).
Unter beruflichen Härten konnte sich der Betroffene nicht berufen. Bundeswehrsoldaten ist dieses praktisch ebenso verwehrt, wie anderen im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die ohne jegliche berufliche Folgen auf einen Führerschein verzichten können. Insbesondere „Kasernenschläfer“ können für die Dauer des Fahrverbots einfach in der Kaserne bleiben und hier den Fahrverbotsablauf abwarten.
Der Betroffene hat persönliche Härten geltend gemacht. Er müsse seine psychisch erkrankte Lebensgefährtin durch seine Anwesenheit in der Familie entlasten. Seine Lebensgefährtin sei nicht derart belastbar, dass sie sich den ganzen Nachmittag und Abend um das gemeinsame Kind kümmern könne. Sie könne auch nur kürzeste Strecken mit ihrem PKW fahren. Insbesondere könne sie ihn für die Dauer des Fahrverbotes nicht von der 30 Kilometer von ihrem Wohnort entfernten Kaserne abholen. Insoweit hat der Betroffene – menschlich nachvollziehbar – falsche Angaben gemacht, um sich des Fahrverbotes zu entledigen.
Das Gericht hat die von ihm als präsente Zeugin gestellte Lebensgefährtin, die Zeugin B vernommen.
Diese schilderte offen ihre Erkrankung und ebenso auf Nachfrage, dass sie trotzdem unproblematisch selbst eine Strecke wie von Gütersloh nach Dortmund mit dem PKW fahren könne. Sie erklärte, sie sei arbeitslos. Der Betroffene wohne einen Großteil des Jahres bei ihr. Wegen ihrer Erkrankung müsse der Betroffene auch glücklicherweise nicht mit Auslandseinsätzen rechnen.
Das Gericht hält es insoweit für zumutbar, dass die ohnehin arbeitslose Lebensgefährtin des Betroffenen ihre eigene Entlastung den Betroffenen nach dem Dienst von der Kaserne von 30 Kilometer Entfernung täglich abholt und hierbei ggf. ihr Kind mitnimmt, um ihm dieses zu ihrer Entlastung übergeben zu können.
Dies gilt umso mehr, als das Gericht die Lebenskonstruktion des Betroffenen nicht für vollends nachvollziehbar hält.
Es ist dem Gericht nicht nachvollziehbar und wurde auch nicht seitens des Betroffenen erklärt, warum der Betroffene noch in Duisburg gemeldet ist, wo er doch seinen Dienst nahe Gütersloh versieht, gleichzeitig als sogenannter „Kasernenschläfer“ gilt und dann aber dreiviertel des Jahres, wie er und seine Lebensgefährtin einvernehmlich bestätigen, bei der Lebensgefährtin in unmittelbarer Nähe der Kaserne verbringt. Möglicherweise geht es hier dabei darum, dass die Lebensgefährtin des Betroffenen öffentliche Mittel erhält, die bei einer Meldung des Betroffenen bei der Lebensgefährtin dieser nicht mehr zustehen würden. Gegebenenfalls erhält der Betroffene auch von der Bundeswehr Mittel für Heimfahrten nach Duisburg, die bei lediglich erfolgenden Heimfahrten nach Gütersloh ganz oder teilweise entfallen würden.“
Für mich ist daran auch das ein oder andere nicht „Vollends nachvollziehbar“: Die Argumentation zum Augenblicksversagen ist allerdings zutreffend. Aber die Formuierung: „Insbesondere „Kasernenschläfer“ können für die Dauer des Fahrverbots einfach in der Kaserne bleiben und hier den Fahrverbotsablauf abwarten“, ist für mich grenzwertig. Was meint das AG damit? Hausarrest für den Betroffenen? Und die „ Lebenskonstruktion des Betroffenen“ geht m.E. das AG im Grudnsatz zunächst auch mal nichts an. Der Betroffene kann sein Leben konstruieren, wie er will/mag. Ob das dann bei der Fahrverbotsentscheidung Auswirkungen hat, ist eine andere Frage. Und ob die Lebenskonstruktion „finanzielle Auswirkungen“ hat, ist für die Fahrverbotsentscheidung m.E. auch irrelevant. Ich denke, beim BGH würde man wahrscheinlich nach der ein oder anderen Entscheidung suche, in der es um die Unzulässigkeit von moralisierenden Strafzumessungserwägungen geht. Zumindest läuft das für mich in die Richtung….