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BVerfG I: Zeichner in der Hauptverhandlung, oder: Vor dem Gang nach Karlsruhe erst zum Zivilgericht

Heute dann mal ein Tag mit drei Entscheidungen des BVerfG.

Die erste hat ihren Ausgang in einer sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden einer Strafkammer eines LG. Dort war ein Strafverfahren wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit Aufträgen seitens einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn anhängig. Der nicht öffentlich bekannte Beschwerdeführer ist einer der Angeklagten.

Das sich über mehrere Verhandlungstage erstreckende Strafverfahren war mehrfach Gegenstand der Presseberichterstattung, ohne dass in identifizierender Weise über die Angeklagten berichtet worden wäre. In der Sitzung vom 01.10.2019 erschien dann erstmals im Auftrag einer regionalen Tageszeitung eine Gerichtszeichnerin. Diese fertigte offenbar Zeichnungen von den Angeklagten, wogegen sich der Angeklagte mit einem Antrag  auf Erlass einer Anonymisierungsanordnung hinsichtlich etwaiger ihn identifizierender, im Gerichtssaal angefertigter Bildaufnahmen oder Zeichnungen stellte. Der Vorsitzende wies den Antrag zurück, soweit der Antrag die Verbreitung oder Veröffentlichung von Zeichnungen betraf. Eine Störung der Sitzung durch das Anfertigen von Zeichnungen sei nicht zu erkennen. Das Gericht sei auch nicht dazu berufen, zum Schutz der Privatsphäre des Angeklagten auf Inhalt und Umfang einer Presseberichterstattung einzuwirken. Die hiergegen gerichtete Beanstandung des Beschwerdeführers wies die Strafkammer mit ebenfalls angegriffenem Beschluss zurück.

Dagegen wendete sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und beantragte zugleich, im Wege der einstweiligen Anordnung für die weiteren Verhandlungstage eine Anonymisierung hinsichtlich von ihm im Gerichtssaal angefertigter Zeichnungen zu verfügen. Er rügte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch mangelnden Schutz seitens des Strafgerichts. Im Fall der Veröffentlichung einer ihn identifizierenden Zeichnung drohe ihm eine Vorverurteilung und damit ein nicht hinnehmbarer Persönlichkeitsschaden.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde im BVerfG, Beschl. v. 10.10.2019 – 2 BvR 2276/19 – nicht zur Entscheidung angenommen.

„Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

Nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität war der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten, sich auch anderer zur Erreichung seines Anliegens geeigneter, zumutbarer und möglicherweise erfolgversprechender rechtlicher Schritte zu bedienen.

Dem ist der Beschwerdeführer nicht gerecht geworden. Hier wäre es dem Beschwerdeführer, soweit aus dem Vortrag ersichtlich, möglich gewesen und weiterhin möglich, gegenüber einer sich konkret abzeichnenden Verbreitung oder Veröffentlichung ihn identifizierender Zeichnungen – auch einstweiligen – Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu suchen. Der Beschwerdeführer hat weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass ihm dieser grundsätzlich gangbare Weg vorliegend versperrt oder unzumutbar sei. Insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zivilgerichte ein solches Rechtsschutzbegehren wegen eines Hineinwirkens in den laufenden Strafprozess zurückgewiesen hätten oder zurückweisen müssten. Denn das sachliche Anliegen des Beschwerdeführers – der Schutz seiner Persönlichkeitsrechte gegenüber der Verbreitung und Veröffentlichung ihn identifizierender Zeichnungen – ist auch ohne ein Hineinwirken in den Strafprozess erreichbar, nämlich durch das Verbot der Verbreitung oder Veröffentlichung solcher Zeichnungen. In der Sache handelt es sich daher um ein Begehren, das vor den Zivilgerichten als Unterlassungsbegehren verfolgbar wäre.

Es kommt daher nicht darauf an, ob vorliegend eine mit identifizierenden Zeichnungen des Beschwerdeführers bebilderte Berichterstattung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung zulässig wäre. Ebenso kann offenbleiben, ob sich die vom Bundesverfassungsgericht im Grundsatz gebilligte Möglichkeit der Strafgerichte, Anonymisierungsanordnungen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten zu treffen, auch auf identifizierende Zeichnungen erstreckt oder auf den Bereich von Video- oder Fotoaufnahmen beschränkt ist.“