Ich hatte vorhin über das NSU-Verfahren und den gestrigen Streit um die Zulässigkeit einer Bandaufnahme des Plädoyers des Vertreters der Bundesanwaltschaft berichtet (vgl. dazu hier „Wir machen hier keinen Stuhlkreis“, richtig, oder: Auch das NSU-Verfahren ist ein Strafverfahren). Inzwischen habe ich vom Kollegen Gransel aus München den gestrigen OLG München, Beschl. v. 19.07.2017 – 6 St 3/12 10 übersandt bekommen. Dafür besten Dank. Den Beschluss stelle ich dann mal hier ein.
„Die Anträge,
- die Schlussvorträge des Generalbundesanwalts akustisch aufzuzeichnen und den Antragstellern anschließend, d.h. vor deren Schlussvorträgen, einen Datenträger auszuhändigen und
- hilfsweise den Antragstellern zu gestatten, die Schlussvorträge des Generalbundesanwalt zur jeweils ausschließlich internen Verwendung selbst aufzuzeichnen,
werden abgelehnt.
Gründe:
I. Nachdem zu erwarten ist, dass die Antragsteller eine Verfügung des Vorsitzenden als unzulässig beanstanden werden, hat der Vorsitzende, um Verzögerungen zu vermeiden, von sich aus eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt, ohne dass vorher eine Beanstandung erfolgt ist (vgl. zu dieser Möglichkeit: Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 238 Rdn. 26).
II. Gemäß § 169 Satz 2 GVG sind Ton- und Filmaufnahmen in der Hauptverhandlung zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig. Andere Tonaufzeichnungen, die nicht den genannten Zwecken dienen, sind von diesem Verbot nicht umfasst. Vielmehr liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (vgl. BGH, NStZ 1982, 42, OLG Düsseldorf, NStZ 1990,554), ob er eine derartige Tonaufnahme zulässt. Bei der Ermessenausübung ist den Grundsätzen über die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten und der Wahrheitserforschungspflicht besonderes Gewicht beizumessen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1990, 2898, vgl. Kissel/Meyer, GVG, 8. Auflage, § 169 Rdn. 74). Die in diesem Zusammenhang bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte führten nach Durchführung einer Güterabwägung aller beteiligten Rechte und Interessen zur Ablehnung des Hauptantrags, weil eine Aufzeichnung des Plädoyers des Generalbundesanwalts gegen dessen Willen in das Persönlichkeitsrecht der einzelnen Vertreter der Bundesanwaltschaft eingreifen würde und eine Tonaufnahme für eine sachgerechte Verteidigung der jeweiligen Angeklagten und auch aus Fürsorgegesichtspunkten nicht erforderlich ist.
1. Die Aufnahme eines Plädoyers ohne Einverständnis der Vertreter des Generalbundesanwalts stellt einen Eingriff in deren Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) dar.
a) Artikel 2 Abs. 1 GG verbrieft jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Dieses Grundrecht schützt auch Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört in bestimmten Grenzen, ebenso wie das Recht am eigenen Bild, das Recht am gesprochenen Wort. Deshalb darf grundsätzlich jedermann selbst und allein bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll sowie ob und vor wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden darf (BVerfG, NJW 1973, 891,892).
b) Der objektive Gehalt der Ausführungen des Generalbundesanwalts steht auch entgegen der Auffassung der Antragssteller nicht derart im Vordergrund, dass die Persönlichkeit des Sprechenden vollends dahinter zurücktritt. Der Schlussvortrag. im vorliegenden Verfahren ist weder qualitativ noch inhaltlich vergleichbar mit den Fällen, in denen eine Aufnahme in der Regel ohne Eingriff in das Persönlichkeitsrecht erfolgen kann. Dabei handelt es sich um Fallkonstellationen, dass im Geschäftsverkehr Bestellungen oder Börsennachrichten fernmündlich durchgesagt werden und dann aufgenommen werden (vgl. dazu Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz, Art. 2 GG Rdn. 61).
c) Das Plädoyer im vorliegenden Verfahren wird nicht unerhebliches Interesse in der Öffentlichkeit finden. Bei realistischer Betrachtung ist es möglich, dass Aufnahmen von Versprechern oder ähnlichem unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Vertreter des Generalbundesanwalts in die Öffentlichkeit gelangen und dort zum Thema gemacht werden. Bei einer nur schriftlichen Fixierung des Vortrags ist ein derartiges Vorgehen nicht zu befürchten.
2. Argumente von solchem Gewicht, die für die Erforderlichkeit einer Aufnahme des Schlussvortrags des Generalbundesanwalts sprechen und einen Eingriff in das jeweilige Persönlichkeitsrechtg der Vertreter des Generalbundesanwalts im Rahmen einer Güterabwägung rechtfertigen, sind unter besonderer Berücksichtigung des Vortrags der Antragsteller — nicht vorhanden.
a) Aus der § 244 Abs. 2 StPO zu entnehmenden Pflicht des Gerichts, die Wahrheit zu ermitteln, ergeben sich in der nun vorliegenden Prozesslage keine Folgerungen mehr, da die Beweisaufnahme abgeschlossen ist.
b) Zunächst ist festzuhalten, dass es bei einer Mitschrift der Ausführungen des Generalbundesanwalts, was auch die Antragsteller so sehen, nicht auf den exakten Wortlaut ankommt: Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Plädoyer des Generalbundesanwalts um keinen neuen Tatsachenvortrag handelt. Bei einem Schlussvortrag im Sinne des § 258 StPO wird vielmehr der Inhalt der Hauptverhandlung geordnet und zusammengefasst im Hinblick auf den Anklagevorwurf vorgetragen. An der mehrjährigen Hauptverhandlung haben aber die Antragsteller zumindest an der Mehrzahl der Hauptverhandlungstage persönlich teilgenommeri7E,abei mögen die im Plädoyer des Generalbundeanwalts vorgetragenen materiell-rechtlichen Bewertungen der Tatvorwürfe und die Ausführungen zu möglichen Rechtsfolgen durchaus komplex sein. Allerdings sind die Antragsteller, allesamt erfahrene Verteidiger und Volljuristen, mit den angesprochenen Rechtsfragen seit Jahren vertraut und in die Materie eingearbeitet, so dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer fachlichen Durchdringung der Problembereiche des Verfahrens in der Lage sind, dem Vortrag des Generalbundesanwalts auch ohne Tonaufnahme zu folgen.
c) Entsprechendes gilt für das den von den Antragstellern vorgebrachte Argument, nur bei einer Tonaufnahme könnten sie „ungestört von dem Erfordernis einer durchgängigen Mitschrift“ die Ausführungen des Generalbundesanwalts erfassen und nachvollziehen. Die Antragsteller sind es von Berufs wegen her gewohnt, auch mündlichen Vortrag schnell und richtig zu erfassen, zu strukturieren und zusammen gefasst schriftlich niederzulegen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Erfassung des Schlussvortrags des Generalbundesanwalts nicht um Ausführungen einer fachfremden Person, wie zum Beispiel eines psychiatrischen Sachverständigen mit seinem speziellen Fachvokabular handelt. Vielmehr sind die Ausführungen des Generalbundesanwalts in juristischen Strukturen und Diktion gehalten, woran die Antragsteller als professionelle Strafverteidiger gewohnt sind. Den Antragstellern ist es, falls sie es für nötig erachten, ohnehin unbenommen, im Sinne einer Binnenorganisation der Verteidigung einen Mitverteidiger vom Erfordernis der Mitschrift freizustellen, so dass sich dieser ausschließlich dem Erfassen des gesprochenen Wortes widmen kann.
d) Sofern die Antragsteller vortragen, die Tonaufnahme diene dem Zweck Fundstellenzitate im Plädoyer des Generalbundesanwalts „mit hinreichender Richtigkeitsgewähr“ zu dokumentieren, verfängt dieses Argument nicht. Der Generalbundesanwalt hat angeboten, Fundstellen, sofern diese überhaupt im Plädoyer vorkommen sollten, auf Nachfrage schriftlich zur Verfügung zu stellen.
e) Der Hinweis der Antragsteller, für die Tonaufnahme spreche auch, dass dann der „äußerst zeitaufwändige Abgleich von seitens der Verteidiger angefertigten Mitschriften“ entfallen könne, überzeugt nicht. Die Arbeit an einem Tondokument an einem anschließend verschrifteten Tondokument, welche den Vortrag in seiner Dauer 1:1 wiedergeben, erfordert erfahrungsgemäß mehr Zeit als ein Arbeiten mit zusammenfassenden Mitschriften.
f) Der Umstand, dass aufgrund des Umfangs des Verfahrens der Schlussvortrag des Generalbundesanwalts besonders umfangreich sein wird, trifft im Hinblick auf die Prognose des Generalbundesanwalts zum Dauer seines Plädoyers zu. Es mag nun für die Antragsteller., wie im Übrigen auch für das Gericht, aufwändig sein, den Schlussvortrag selbst schriftlich zu fixieren. Allerdings gehört das Anfertigen von Mitschriften in der Hauptverhandlung zum Berufsbild des forensisch tätigen Juristen und ist kein Argument für eine Aufnahme und damit einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Vertreter des Generalbundesanwalts.
g) Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die gerichtliche Fürsorgepflicht gegenüber den Angeklagten eine Tonaufnahme des Schlussvortrags des Generalbundesanwalts erforderlich machen würde.
III. Die gestellten Hilfsanträge konnten nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens ebenfalls abgelehnt werden:
1. Bei der Beurteilung macht es keinen Unterschied, ob die Aufnahme desPlädoyers des Generalbundesanwalts vom Gericht oder von den jeweiligen Antragsstellern technisch umgesetzt wird.
2. Aus diesen Gründen gelten die Ausführungen zum Hauptantrag, auf die Bezug genommen, wird entsprechend. Nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wurden auch die Hilfsanträge abgelehnt.“
Mich überzeugt es nach wie vor nicht. Und die Belange der Angeklagten spielen kaum eine Rolle. Aber darüber berät man jetzt sicherlich aufgrund der gestrigen Diskussion/Gegenvorstellungen. Man möchte es natürlich revisionssicher haben.