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Mordverurteilung im „Berliner Kudammraserfall“, oder: Wenn der Pkw zum „gemeingefährlichen Mittel“ wird

entnommen wikimedia.org Urheber Manfred Brückels

Und heute dann auch noch mal ein wenig aus dem „Restepool“. Zunächst das Urteil des LG Berlin im „Kudammraserfall“ – LG Berlin, Urt. v. 27.02.2017 – (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16) – über das ja einige Blogs schon kurz nach Erlass berichtet haben und der Kollege Gratz in der vorigen Woche auf der Grundlage des Volltextes, den er mir dann aufbereitet – und damit einstellbar auf meiner Homepage – zur Verfügung gestellt hat. Herzlichen Dank.

Der Sachverhalt der Entscheidung dürfte bekannt sein: Es geht um ein illegales Autorennen in Berlin. Die beiden Angeklagten sind mit ca. 160 km/h durch die Innenstadt von Berlin ge­fah­ren. Sie überfuhren mehrere Ampeln und Kreuzungen, bevor eins der Kraftfahrzeuge fast nahezu ungebremst auf dem Kudamm beim Überfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel einen querenden Jeep rammte, dessen Fahrer  ums Leben kam. Das LG hat bei­de Angeklagte u. a. we­gen Mordes verurteilt, als Mordmerkmal ist die Verwendung ei­nes ge­mein­ge­fähr­li­chen Mittels angenommen worden:

„Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Qualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Die Mordqualifikation kann deshalb auch dann erfüllt sein, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach, wie hier, nicht gemeingefährlich ist. Maßgeblich ist dann jedoch die Eignung des Mittels zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation (BGH, Urteile vom 16.08.2015 – 4 StR 168/05 -, NStZ 2006, 167, 168; vom 16.03.2006 – 4 StR 594/05 -, NStZ 2006, 503, 504; vom 25.03. 2010 – 4 StR 594/09 -, NStZ 2010, 515; vom 21.12.2016 – 1 StR 375/16 -, juris). Lässt der Unfallverlauf es als möglich erscheinen, dass eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von vornherein ausgeschlossen war, weil sich das Unfallereignis nur außerhalb des Gefahrenbereichs Dritter zutragen konnte, so ist das Mordmerkmal nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 16.01.2007 – 4 StR 598/06 -, NStZ-RR 2007, 174).

Im Vordergrund der Betrachtung steht die besondere Sozialgefährlichkeit des Täters. Tötungen mit gemeingefährlichen Mitteln werden als gesteigert bedrohlich empfunden, weil jedermann ohne Anlass zufällig in den Einzugsbereich eines solchen Tötungsverbrechens geraten kann und dadurch keine Chance hat, sich auf die ihm drohende Gefahr einzustellen und darauf zu reagieren. Die Auslegung des Mordmerkmals hat sich an der Nichtkontrollierbarkeit der Auswirkungen des eingesetzten Tatmittels zu orientieren (Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, Rdz. 121 zu § 211). Entscheidend ist, ob der Täter das Tatmittel in der konkreten Situation so beherrscht, dass eine Gefährdung weiterer Personen ausgeschlossen ist (NK-StGB-Neumann, 4. Auflage 2013, Rdz. 87 zu § 211). Keine Bedingung ist, dass es tatsächlich zu einer Vielzahl von Todesopfern kommt. Erforderlich und ausreichend ist, dass für einen vom Täter nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebensgefahr bestand bzw. dass das Tatwerkzeug nach seinen typischen Wirkweisen dazu geeignet war, tatsituativ solche Gefahren hervorzurufen (Mitsch in Anwaltkommentar StGB, 2. Auflage 2015, Rdz. 67 zu § 211, Schneider, a.a.O., Rdz. 126). So ist es zum Beispiel unerheblich, dass in dem Zimmer, in welches ein Molotow-Cocktail geschleudert wird, zufällig niemand außer seinem Bewohner ist; es genügt, dass sich dort auch andere Personen befinden konnten (vgl. Jähnke in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Auflage 2005, Rdz. 57). Die Gefahrverursachung für mindestens drei Personen neben dem unmittelbaren Tatopfer erscheint als ausreichend (Schneider, a.a.O., Rdz. 127, Rengier, StV 1986, 405, 409).

Ist die betroffene Personenanzahl für den Täter nicht berechenbar, beherrscht er den Umfang der Gefährdung nicht, handelt er in besonderer Rücksichtslosigkeit und hat er es nicht in der Hand, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit (Rengier, a.a.O., 407) in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten ihr Leben verlieren können, so ist der Täter wegen eines Mordes „mit gemeingefährlichen Mitteln“ zu bestrafen, sofern er dies in seinen Vorsatz aufgenommen hat und ihm die Gefährdung einer Mehrzahl von Menschen mit tödlichen Verletzungen bewusst war.

So liegt der Fall hier.

Durch ihr Verhalten verursachten die Angeklagten im Kreuzungsbereich der Tauentzienstraße / Nürnberger Straße sowie in dessen Umfeld in einer Ausdehnung von 60 bis 70 Metern ein „Schlachtfeld“. Das Fahrzeug des Geschädigten Wxxxx wurde um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und in Richtung Wittenbergplatz geschleudert. Der Audi des Angeklagten Hxxxx prallte zweimal gegen die Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße und kam erst nach 60 Metern im Bereich des Kaufhauses Pxxxx zum Stehen. Der Mercedes-Benz des Angeklagten Nxxxx fällte eine auf dem Mittelstreifen befindliche Ampel, riss Teile der dortigen Granitabgrenzung heraus, schob hinter der Hochbeeteinfassung liegende Erde zu einer Art Rampe auf, wurde mehrere Meter weit durch die Luft katapultiert und fand mit dem Heck auf der Hochbeeteinfassung seine Endposition. Weiträumig flogen Teile der Betoneinfassung, größere (Auspuffanlage) und kleinere Fahrzeugteile sowie Splitter durch die Luft und blieben in einem Umfeld von 60 bis 70 Metern verstreut auf der Tauentzienstraße und zu einem kleineren Teil in der Nürnberger Straße liegen. Unmittelbar betroffen wurde der Geschädigte Wxxxx als Fahrer seines Jeeps Wrangler, lebensgefährliche Verletzungen hätten die Zeugen Dxxxx, Wxxxx und Gxxxx erleiden können, die sich weniger als 50 Meter vom Kollisionspunkt entfernt aufhielten. In geringerem Maße galt das auch für die im weiteren Umkreis von 50 bis 100 Metern sich aufhaltenden Zeugen Saxxxx, Sxxxx, Rxxxx und Mxxxx.

Es ist allein glücklichen Umständen zu verdanken, dass zum Unfallzeitpunkt nur das mit dem Geschädigten Wxxxx besetzte Fahrzeug die Unfallkreuzung befuhr. Ebenso gut hätte das Fahrzeug mit vier oder fünf Insassen besetzt sein können. Ihm hätten weitere Fahrzeuge nachfolgen können, auch aus der Gegenrichtung hätten durch grünes Ampellicht bevorrechtigte Fahrzeuge die Tauentzienstraße queren können. Dass dies noch kurz vor dem Unfallgeschehen der Fall war, belegen die Videoaufnahmen der Überwachungskamera der Firma Mxxxx.

Bei dieser Sachlage, insbesondere der bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich innegehabten Geschwindigkeit im Bereich des Dreifachzulässigen, und der Unfähigkeit der Angeklagten das Geschehen noch irgendwie zu beherrschen, bestand für einen von ihnen nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebens- und Todesgefahr, die sich für den Geschädigten Wxxxx – und für die Zeugin Kxxxx als Beifaherrin des Angeklagten Nxxxx – in tragischer Weise realisiert hat. In dieser Situation schufen die Angeklagten mit besonderer Rücksichtslosigkeit und in nicht mehr zu kontrollierender Art und Weise eine konkrete Gefahrenlage, in der sie es nicht mehr in der Hand hatten, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit es treffen würde. Dass ihnen dies bewusst war, ist offensichtlich. Ihre Wegstrecke und insbesondere der nähere Tatortbereich waren  eben nicht auto- und menschenleer. Wie bereits weiter oben ausgeführt worden ist, herrschte ein mäßiger, der Nachtzeit entsprechender Verkehr vor, an dem zumindest die benannten Zeugen als Fußgänger teilnahmen. Auf den inner- bzw. hauptstädtischen Charakter des fraglichen Kreuzungsbereichs zwischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / Europacenter und Wittenbergplatz / KaDeWe ist bereits hingewiesen worden. Dass dort auch zur Nachtzeit Menschen in welcher Form auch immer am Verkehrsgeschehen teilnehmen würden, lag auf der Hand und war den Angeklagten für ihre Lieblingsstrecke und den „Lifestyle-Kudamm“ auch bekannt.

Im Übrigen ist die Fallkonstellation hinsichtlich des hier in Frage stehenden Mordmerkmals mit dem vom Bundesgerichtshof (4 StR 594/05, a.a.O.) entschiedenen Fall einer Geisterfahrt vergleichbar. Dort hatte der Täter sein unbeleuchtetes Fahrzeug nachts in Suizidabsicht in Gegenrichtung auf eine Autobahn gelenkt und den Tod der Insassen eines in 500 Meter Entfernung entgegenkommenden Autos billigend in Kauf genommen. Das Fahrzeug war tatsächlich mit sechs Insassen besetzt, wovon drei bei der anschließenden Kollision verstarben, während die drei anderen schwer verletzt wurden. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es für den Angeklagten nicht beherrschbar gewesen sei, welche und wie viele Personen durch das von ihm mit mindestens 117 km/h (!) in den Gegenverkehr gelenkte Fahrzeug gefährdet, verletzt und getötet werden konnten. Auch im hiesigen Fall war unmittelbar nur ein Fahrzeug betroffen, das jedoch zwanglos mit mehreren Insassen hätte besetzt sein können. Anders als im außerstädtischen Autobahnbereich hätten hier durch die Schleuderbewegungen der beteiligten Fahrzeuge und die katapultartigen Ablösungen von Fahrzeugteilen auch nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer betroffen und tödlich bzw. schwer verletzt werden können. Dies gilt nicht zuletzt für die Zeugen Amxxxx und Sxxxx, mit denen der Angeklagte Hxxxx im Bereich des Kaufhauses Pxxxx, wo sein Fahrzeug zum Stillstand gekommen ist, verabredet war.“

Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das LG hingegen abgelehnt, insoweit bitte selbst lesen.

Interessant sind auch die Ausführungen des LG zum (bedingten) Vorsatz, den es – eingehend – von der bewussten Fahrlässigkeit abgegrenzt begründet und u.a. dazu meint:

„Auch liegt entgegen der Auffassung der Verteidigung gegenwärtig nicht eine Situation vor, wonach für Fälle der vorliegenden Art die §§ 211, 212 StGB in subjektiver und objektiver Hinsicht nicht zur Anwendung gelangen dürfen, da die aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeiten zur Heraufstufung der Durchführung eines illegalen Autorennes von einer Ordnungswidrigkeit auf eine Straftat eine momentane Regelungslücke belegen würden. Sind die subjektiven und objektiven Tatbestandsvoraussetzungen eines Tötungsdelikts – wie im vorliegenden Fall geschehen – zu bejahen, so ist aus den §§ 211, 212 StGB als geltendem Recht zu strafen.“

Ich bin gespannt, was der BGH mit dem Urteil macht, gegen das Revision eingelegt ist. Die Entscheidung des 4. Strafsenats wird im Zweifel noch vor den Gesetzesänderungen zu den illegalen Autorennen vorliegen.

„Innerstädtischer Autoraser“, oder: Mit 109 km/h innerorts überholt….

© psdesign1 - Fotolia

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Auf der Homepage des BGH ist gestern eingestellt worden der BGH, Beschl. v. 22.11.2016 – 4 StR 501/16, mit dem der BGH die Revision des Angeklagten im „Autoraser“-Fall des LG Köln als unbegründet verworfen hat.  Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte mit einem geliehenen Pkw mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch das Stadtzentrum von Köln gefahren. Als er kurz vor einer Kreuzung wahrnahm, dass die nur noch 30 bis 40 Meter entfernte Lichtzeichenanlage auf Gelblicht umsprang, wechselte der Angeklagte von der linken über die mittlere auf die rechte Fahrspur, um im Anhalten begriffene Fahrzeuge zu überholen. Dabei fuhr er mit einer Geschwindigkeit von mindestens 109 km/h. Auf der rechten Fahrspur kollidierte er mit dem Fahrzeug einer anderen Verkehrsteilnehmerin, die mit deutlich langsamerer Geschwindigkeit ebenfalls auf die rechte Fahrbahn wechselte. In der Folge schleuderte das Fahrzeug des Angeklagten über den Kreuzungsbereich, prallte gegen den Mast einer Lichtzeichenanlage und erfasste etwa 75 Meter nach dem Ausgangspunkt der Kollision einen 26-jährigen Fahrradfahrer. Der Geschädigte erlitt durch den Aufprall tödliche Verletzungen.

Das LG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 222, 315c StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der BGH hat die Revision verworfen:

b) Diese Feststellungen belegen, dass der Angeklagte bei einem Überholvorgang falsch gefahren ist (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB).

aa) Ein falsches Fahren bei einem Überholvorgang liegt vor, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. Februar 1993 – 2 St RR 244/92, DAR 1993, 269, 271; Urteil vom 7. Februar 1968 – 1 b St 404/67, VRS 35, 280, 282; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. April 1989 – 5 Ss 86/89, VRS 77, 280, 281; Urteil vom 28. Juli 1981 – 2 Ss 433/81, VRS 62, 44, 46; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 96, 99 f.; Sternberg-Lieben/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 315c Rn. 18; Ernemann in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 315c Rn. 16).

bb) Daran gemessen ist der Angeklagte bei seinem Überholen schon deshalb falsch gefahren, weil die gefahrene Geschwindigkeit ihm ein Anhalten innerhalb der übersehbaren Strecke unmöglich machte (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) und gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO (zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften) verstieß. Durch diese Regelverstöße wurde das Überholen als solches erheblich gefährlicher gemacht, denn der Angeklagte konnte deshalb nicht mehr auf den durch das Setzen des Blinkers angezeigten Spurwechsel der Zeugin Ku. reagieren. Dass diese Vorschriften auch dazu bestimmt sind, (innerörtliche) Überholvorgänge zu schützen, steht außer Frage.

Der Senat braucht unter diesen Umständen nicht zu entscheiden, ob die Feststellungen auch die Annahme einer unklaren Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO tragen.“

Recht hat er, der BGH.