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Auslieferung nach Rumänien, oder: Da sind die Zellen zu klein

© cunaplus - Fotolia.com

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Die zweite auslieferungsrechtliche Entscheidung, die heute den Weg in das Blog findet, ist der OLG Jena, Beschl. v. 14.07.20167 – Ausl AR 36/16. Er betrifft „auslieferungsrechtliches Kerngeschäft“, nämlich die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung im Hinblick auf die im ersuchenden Staat zu erwartenden Haftbedingungen. Nicht ausreichend bzw. einer Auslieferung entgegen steht nicht schon (allein) die Feststellung des Vorliegens einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aufgrund der allgemeinen Haftbedingungen, vielmehr muss hat die vollstreckende Justizbehörde – also die GStA – prüfen, ob ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme einer entsprechenden konkreten  Gefahr gerade für die vom Auslieferungshaftbefehl betroffene Person bestehen, indem sie vom Ausstellungsmitgliedstaat unter Fristsetzung Informationen über die dieser Person konkret bevorstehende Inhaftierung einholt.

Das hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hier bei den rumänischen Behörden getan, hatte aber eine verbindliche Zusage konventionsgerechter Haftbedingungen in Bezug auf den Verurteilten nicht erhalten. Und das führte dann zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls:

Der gegen den Verfolgten ergangene Auslieferungshaftbefehl vom 24.06,2016 ist aufzuheben, weil die Auslieferung des Verurteilten en die Republik Rumänien zum Zwecke der Strafvollstreckung derzeit gem. § 73 Satz 2 IRG unzulässig ist.

Es ist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht auszuschließen, dass der Verfolgte nach seiner Auslieferung in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden wird, die europäischen Mindeststandards nicht genügt, bzw. in der er einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, so dass seine Übergabe an die Republik Rumänien zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) I. V. m. Art. 3 EIVIRK enthaltenen Grundsätzen in Widerspruch stünde.

Dringende Anhaltspunkte für derartige, gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 6 EUV verstoßende Haftbedingungen ergeben sich aus der wiederholten Verurteilung der Republik Rumänien durch den EGMR wegen der Unterbringung von Strafgefangenen in zu kleinen, überbelegten und verdreckten Haftzeilen ohne ausreichende Beheizung und Warmwasserversorgung (vgl. Nachweise im Urteil d. EuGH v. 05.04,2016, Az. C 404115 und C 659/15 PPU) und dem – auf Inspektionsbesuchen von Mai bis Juni 2014 beruhenden – Bericht des Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe des Europarates vom 24.09.2015.

Dass die durch diese allgemeinen Haftbedingungen begründete echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eine auch den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung konkret bedrohende Gefährdung darstellt, konnte im Ergebnis der wiederholt an die rumänischen Behörden gerichteten Ersuchen um Zusicherung einer den europäischen Mindeststandards genügenden und konsularischer Überprüfung zugänglichen Ausgestaltung gerade der dem Verurteilten bevorstehenden Inhaftierung nicht ausgeschlossen werden.

Die auf diese Ersuchen übermittelten Informationen des rumänischen Justizministeriums beschränken sich im Wesentlichen auf eine Darstellung der allgemein für die Auswahl der Haftanstalt maßgeblichen gesetzlichen Regelungen und enthalten schon keine Festlegung hinsichtlich der Anstaltskategorie und der Gelegenheit einer für den Verurteilten konkret vorgesehenen Haftanstalt. Die in dem Schreiben vom 27.06.2016 mitgeteilten Angaben zur aktuellen Überbelegung der Haftanstalten in Rumänien mit 150,39 % bestätigen (im Gegenteil) den Fortbestand der durch die vorgenannten Quellen beschriebenen Haftbedingungen. Aus den jetzt übermittelten Belegungszahlen errechnet sich ein jedem Inhaftierten zustehender Lebensraum von 3,23 m2, der schon für sich genommen deutlich hinter den notwendigen Mindeststandards zurückbleibt. Zu den sonstigen, in den Urteilen des EGMR massiv beanstandeten Haftumständen verhält sich das ministerielle Schreiben nicht, so dass von einer auch insoweit unverändert schlechten Ausgestaltung auszugehen ist.

Damit besteht die durch die allgemeinen Haftbedingungen in Rumänien begründete ernsthafte Gefahr einer menschenunwürdigen und erniedrigenden Inhaftierung im Falle seiner Auslieferung gerade auch für den Verurteilten, so dass sich seine Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung derzeit als unzulässig darstellt.“

Viel Vertrauen hat das OLG in die Rumänen, die weitere Angaben angekündigt hatten, nicht. Die wartet das OLG gar nicht erst ab.

Die Verwertung des Schweigens zum Nachteil, oder: Andere Länder, andere Sitten

entnommen openclipart.org

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Auslieferungsrecht ist im Blog insgesamt ein wenig (zu) kurz gekommen. Heute will ich dann aber doch mal zwei Entscheidungen vorstellen, die sich mit diesen Fragen befassen. Die erste ist der BVerfG, Beschl. v.  06.09.2016 – 2 BvR 890/16. In ihm geht es um die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Auslieferungsentscheidung des KG, durch die die Auslieferung des Verfolgten in das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland zum Zwecke der Strafverfolgung als zulässig angesehen worden ist. Der Verfolgte hatte seine  Auslieferung als unzulässig angesehen, weil die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des Vereinigten Königreichs nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Das BVerfG hat das anders gesehen. ich nehme, weil sie sehr schön den Sachverhalt wiedergibt und die Entscheidungsgründe referiert – entgegen meiner sonstigen Übung mal die PM des BVerfG, aus der ich zitiere:

Der Beschwerdeführer ist kroatischer und irischer Staatsangehöriger und wurde am 04.02.2016 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls in Berlin festgenommen. Dem Europäischen Haftbefehl liegt ein Haftbefehl des Central Hertfordshire Magistrates‘ Court zugrunde, worin dem Beschwerdeführer unter anderem zur Last gelegt wird, am 26.04.1993 in Hertfordshire einen Mann erschossen zu haben. Das Kammergericht erklärte mit dem angegriffenen Beschluss die Auslieferung des Beschwerdeführers an das Vereinigte Königreich für zulässig. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und rügt vornehmlich, dass im Falle einer Auslieferung an das Vereinigte Königreich § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zur Anwendung kommen könne. Diese Vorschrift eröffne einem Gericht oder einer Jury die Möglichkeit, aus dem Schweigen des Angeklagten Schlüsse auf seine Schuld zu ziehen. Dies stehe im Gegensatz zu der Stellung des Schweigerechts des Angeklagten in der deutschen Rechtsordnung und berühre die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen und die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des Vereinigten Königreichs bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen ausgesetzt. Dabei ließ die Kammer offen, ob die Verwertung des Schweigens des Angeklagten zu dessen Lasten tatsächlich eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG darstelle, und wies darauf hin, dass dies im Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse. Die gebotene Folgenabwägung führe aber zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Denn erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch die Übergabe an die Behörden des Vereinigten Königreichs erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile. Die Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers wiege demgegenüber weniger schwer.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verstößt nicht gegen die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätze der Verfassung. Einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Stellt sich heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015, Az.: 2 BvR 2735/14).

Der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistete Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit umfasst das Recht des Beschuldigten auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Strafverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt die Würde des Menschen, dessen Aussage gegen ihn selbst verwendet wird. Dementsprechend gehört das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren seit Langem zu den anerkannten Grundsätzen des deutschen Strafprozesses. Steht dem Beschuldigten ein Schweigerecht zu, folgt hieraus auch, dass sein Schweigen jedenfalls dann nicht als belastendes Indiz gegen ihn verwendet werden darf, wenn er die Einlassung zur Sache vollständig verweigert hat, da ihn die Verwertung seines Schweigens mittelbar einem unzulässigen psychischen Aussagezwang aussetzte; anderenfalls würde das aus der Menschenwürde hergeleitete Schweigerecht des Beschuldigten entwertet.

Daraus, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit in der Menschenwürde wurzelt, folgt allerdings nicht, dass jede verfassungsrechtlich gewährleistete Ausprägung dieses Grundsatzes auch unmittelbar dem Schutz von Art. 1 GG unterfiele. Nur wenn der unmittelbar zur Menschenwürde gehörende Kerngehalt der Selbstbelastungsfreiheit berührt ist, liegt auch eine Verletzung von Art. 1 GG vor. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein Beschuldigter durch Zwangsmittel dazu angehalten würde, eine selbstbelastende Aussage zu tätigen. Dagegen folgt unmittelbar aus Art. 1 GG nicht, dass ein Schweigen des Beschuldigten unter keinen Umständen einer Beweiswürdigung unterzogen und gegebenenfalls zu seinem Nachteil verwendet werden darf. Eine Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ist somit nicht schon dann unzulässig, wenn die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des ersuchenden Staates nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Vielmehr ist die Auslieferung erst dann unzulässig, wenn selbst der dem Schutz von Art. 1 GG unterfallende Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.

Gemessen an diesen Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss des Kammergerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar wird die Selbstbelastungsfreiheit durch den Criminal Justice and Public Order Act 1994 eingeschränkt. Die Einschränkung berührt jedoch nicht den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit und lässt daher keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde besorgen. Insbesondere hat der Beschuldigte auch unter dem Criminal Justice and Public Order Act 1994 das Recht zu schweigen. Zwar unterliegt sein Schweigen unter Umständen der Beweiswürdigung und kann zu seinem Nachteil verwendet werden, wodurch mittelbar ein Aussagedruck entstehen kann. Dies wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Zwang zu einer Aussage oder gar zu einer Selbstbezichtigung.

Darüber hinaus kann das Schweigen nur neben weiteren Beweismitteln im Rahmen einer Gesamtwürdigung zur Begründung einer Verurteilung herangezogen werden. Auch wenn die Regelung gleichwohl dazu führen kann, dass sich der Beschwerdeführer zu einer Aussage gedrängt fühlt, muss er doch keine Verurteilung allein aufgrund seines Schweigens fürchten. Vielmehr kann er unter Berücksichtigung der Beweislage abwägen, ob er eine Aussage tätigen möchte. Ein derartiger Aussagedruck, wie er unter Umständen auch im deutschen Strafprozess in bestimmten Konstellationen des sogenannten Teilschweigens entstehen kann, verletzt noch nicht die Menschenwürde.

Schließlich entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass es nicht von vornherein einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darstellt, wenn das Schweigen des Beschuldigten zu dessen Nachteil verwertet wird, sondern dass stets eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden muss. Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs bekräftigt die Feststellung, dass eine Anwendung von § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zumindest keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde darstellt.“

Auslieferung? Nicht mehr bei nur noch 10 Tagen Reststrafe

Flag_of_Bosnia_and_HerzegovinaDie bosnisch­?herzegowinischen Justizbehörden haben die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung beantragt. Zu vollstrecken ist/war noch eine Reststrafe von 1o Tagen. Das OLG Celle hat im OLG Celle, Beschl. v. 23.11.2015 -1 Ausl 46/14 – die Auslieferung abgelehnt:

„3. Die Auslieferung des Verfolgten widerspricht aber wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung i. S. von § 73 IRG.

a) Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG ist eine Auslieferung zur Vollstreckung von Bagatellreststrafen von weniger als vier Monaten Freiheitsentzug unzulässig. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers vermieden werden, dass Auslieferungsverfahren eingeleitet würden, die außer Verhältnis zur Dauer der noch zu vollstreckenden Sanktionen stünden. Insbesondere gelte es zu verhindern, dass der Verfolgte für die Dauer des Auslieferungsverfahrens in Auslieferungshaft genommen wird, deren Dauer an die Dauer der noch zu vollstreckenden Sanktion heranreicht (vgl. BT?Drucks. 9/1338, S. 37). Auch wenn die Vorschrift aufgrund des Vorrangs des EuAlÜbk gemäß § 1 Abs. 3 IRG vorliegend keine Anwendung finden kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit das Vorliegen eines nur noch im Bagatellbereich liegenden Strafrestes die Prüfung veranlasst, ob die Rechtshilfe wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung i. S. von § 73 IRG widerspricht (vgl. KG, Beschluss vom 24. September 2012, 151 Ausl A 113/12, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 13. Juli 2015, OLG Ausl 98/15, juris).

b) Um einerseits die Grenzen zwischen Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk und § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG nicht zu verwischen, andererseits aber der mit einer besonderen Belastung verbundenen Auslieferung eines Verfolgten aus Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen gerecht zu werden, hält der Senat die Auslieferung von Bagatellstrafresten allgemein für unzulässig, wenn diese die Dauer von zehn Tagen nicht übersteigt. Zwar sieht das EuAlÜbk keine Fristen vor, innerhalb derer nach Bewilligung der Auslieferung diese zu vollziehen ist. Es erscheint allerdings gerechtfertigt, die sich aus den Grundsätzen des EuAlÜbk entstandene Regelung für den Auslieferungsverkehr zwischen den EU?Staaten nach Art. 23 Abs. 2 Rb?EuHb und § 83 c Abs. 3 Satz 2 IRG heranzuziehen, wonach die Auslieferung vom Zeitpunkt der Bewilligung innerhalb von zehn Tagen zu vollziehen ist. Es bestünde sonst nämlich die Gefahr, dass eine verfolgte Person zur Durchführung der Auslieferung wieder in Gewahrsam genommen werden müsste, der Zeitraum der Ingewahrsamnahme sodann aufgrund der organisatorisch erforderlichen Vorbereitungen den der noch zu vollstreckenden Strafe erschöpfend abdeckt und eine Auslieferung wegen eines dann nicht mehr bestehenden Strafrestes letztlich doch unterbleiben müsste.“

Ich will nicht nach Bulgarien (zurück)

entnommen wikimedia.org Uploaded by Fry1989

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Ob der Verfolgte in einem beim KG anhängigen Ausliferungsverfahren sich selbst gegen das Auslieferungsersuchen des bulgarischen Staats mit dem Satz „Ich will nicht nach Bulgarien (zurück)“ geweht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls könnte man aber den Satz über den KG, Beschl. v. 15.04.2015 – (4) 151 AuslA 33/15 (36/15) – schreiben und würde damit ins Schwarze treffen. M.E. hat das KG wohl zu Recht ein Auslieferungshindernis i.S. des § 73 Satz 2 IRG angenommen. Nach dieser Vorschrift i.V.m. Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union und Art. 3 EMRK besteht ein solches, wenn zu besorgen ist, dass die Untersuchungshaft und – bei einer Verurteilung – die Strafhaft gegen den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung in einer Justizvollzugsanstalt vollzogen würden, die europäischen Mindeststandards nicht genügt und in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. OLG Celle StraFo 2015, 75; OLG Bremen BeckRS 2014, 10396). Und davon geht das KG aus bzw. muss es ausgehen:

„Die für den Vollzug vorgesehene Justizvollzugsanstalt in S. verfügt nach dem Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 29. Januar 2015 – CPT/Inf (2015) 12 – über 676 Haftplätze.Zum Zeitpunkt des in der Zeit vom 24. März bis zum 3. April 2014 durchgeführten Besuchs der Delegation des CPT in Bulgarien war das gesamte, damals mit 885 Inhaftierten belegte Gefängnis überfüllt. Zellen waren u.a. mit sechs Insassen (auf 9 m²), 13 Insassen (auf 24 m²) oder acht Insassen (auf 16 m²) belegt. Teile des Gebäudes waren baufällig, Wände waren mit Schimmel bedeckt und Fenster zerbrochen. Das gesamte Gefängnis war von Ungeziefer befallen. Zum Teil hatten die Gefangenen bei kleinen und hoch in den Wänden eingelassenen Fenstern in den überfüllten Zellen kaum Zugang zu natürlichem Licht und Frischluft. Die Betten bestanden teilweise nur aus verschlissenen Matratzen und schmutzigen Decken. Die sanitären Einrichtungen waren in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls und extrem verschmutzt, in Teilen des Gefängnisses werden sie als „grauenhaft“ beschrieben. Das CPT berichtet außerdem über Korruption von endemischen Ausmaßen (auch) in dem Gefängnis in S., wobei Insassen dazu genötigt werden, für die Gewährung ihnen gesetzlich zustehender Rechte Zahlungen an das Gefängnispersonal zu leisten.

Durchgreifende Fortschritte vermochte das CPT auch bei seinem vom 13. bis zum 20. Februar 2015 durchgeführten erneuten Besuch in Bulgarien nicht festzustellen. Fehlende Fortschritte und teilweise sogar Verschlechterungen waren vielmehr Veranlassung, am 26. März 2015 eine öffentliche Erklärung nach Art. 10 Abs. 2 der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe abzugeben (CPT/Inf (2015) 17). Nach den Feststellungen des CPT bei seinem Besuch im Februar 2015 ist Gewalt unter den Gefangenen und Korruption ein andauerndes Problem (auch) im S.er Gefängnis. Unverändert steht den meisten Gefangenen in S. nur eine Zellenfläche von wenig mehr als 2 m² zur Verfügung. Gebäude und sanitäre Einrichtungen sind weiter verfallen. Die Mehrheit der Gefangenen hat nachts keinen Zugang zu einer Toilette.

Angesichts der vom CPT getroffenen Feststellungen, die durch die nur sehr allgemein gehaltenen Darlegungen des Generaldirektors der Hauptdirektion „Strafvollzug“ nicht entkräftet werden, ist für eine Auslieferung derzeit kein Raum. Der Senat erwartet nicht, dass durch eine erneute Anfrage in Bulgarien noch eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung einer menschenrechtskonformen Unterbringung – z.B. in der Justizvollzugsanstalt Vr., die ausweislich der CPT-Berichte nach umfassenden Renovierungen einen besseren Standard aufweist – erlangt werden kann.“

Vielleicht wäre es besser, mal dorthin ein paar Euros zu schicken…..

Klare Worte aus Celle: Derzeit keine Auslieferung nach Bulgarien

HaftraumEindeutige Worte kommen in einem Auslieferungsverfahren aus Celle. Denn das OLG Celle hat im OLG Celle, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 Ausl 33/14 entschieden:

„Gegenwärtig kommt eine Auslieferung nach Bulgarien, soweit der Verfolgte in der Vollzugsanstalt von Varna inhaftiert werden würde, nicht in Betracht, solange nicht gewährleistet ist, dass die im Bericht des Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarates vom 4. Dezember 2012 (CPT/Inf (2012) 33) aufgezeigten Verstöße gegen die EMRK behoben worden sind.“

Warum und wieso. Bitte nachlesen. Das OLG hatte eine Anfrage gestellt und ist mit der Antwort nicht zufrieden. Nachfragen will es auch nicht mehr:

„Infolge des geltenden Vertrauensgrundsatzes geht der Senat davon aus, dass der Inhalt der Mitteilung von Seiten der bulgarischen Justizbehörden auf einem Missverständnis hinsichtlich des Inhaltes der übermittelten Anfrage beruht. Er sieht sich aber gleichwohl aufgrund der nur unbefriedigenden Stellungnahmen der bulgarischen Justizbehörden im gesamten Verfahren nicht weiter veranlasst, erneut an diese heranzutreten, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Der Verfolgte befindet sich bereits seit über 4 Monaten in Auslieferungshaft, ohne dass von Seiten der bulgarischen Justizbehörden eine ausdrückliche Erklärung zur Einhaltung der EMRK oder eine konkrete Stellungnahme zu den Bedingungen, denen der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung ausgesetzt wäre, erfolgt ist. Anhaltspunkte dafür, dass auf erneute Nachfrage eine Erklärung des Inhaltes folgen würde, die die Einhaltung der EMRK bei einer Auslieferung des Verfolgten sicherstellen könnte, sind nicht ersichtlich.“