Archiv der Kategorie: Gesetzesvorhaben

Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft 2.0 – Stand September 2023

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Und heute geht es hier dann um Gebühren bzw. Kosten.

In dem Zusammenhang komme ich erst noch einmal auf das sog. Eckpunkte-Papier von DAV und BRAK zurück, über das ich ja schon einmal berichtet habe, und zwar hier: Höhere Anwaltsgebühren/
RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023
.

Mir war das Papier damals „zugespielt“ worden, es hatte den Stand Mai 2023, war aber wohl noch nicht „offiziell“ von DAV und BRAK abgesegnet. Das ist jetzt der Fall und es gibt jetzt ein neues Papier – Stand September 2023,

Das heißt

Gemeinsamer Katalog des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer – Vorschläge zur linearen Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung sowie
zu strukturellen Änderungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes
„.

Die Forderungen in dem Katalog sind etwas ausführlicher begründet als in dem im August von mir vorgestellten „Eckpunktepapier“ – Stand Mai 2023.

An den „Forderungen“ von DAV/BRAK hat sich allerdings m.E. nichts geändert. Daher stelle ich hier nicht noch einmal das ganze Papier ein, sondern verweise auf den o.a. Link.

Man darf nun gespannt sein, wie es weiter. Ich denke, es werden Änderunge/Klarstellungen kommen, aber wahrscheinlich nicht alles das, was „gefordert“ wird. Dem werden die Bundesländer einen Riegel vorschieben und auf ihre leeren Kassen verweisen. Ich werde die Entwicklung im Auge behalten und hier weiter berichten.

Wir hatten über die geplanten Änderungen übrigens schon im StRR 8/2023 berichtet. Hier geht es zum Beitrag

Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder: Eckpunktepapier
von DAV/BRAK aus Mai 2023

Der enthält auch bereits erste Einschätzungen.

Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023

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Im Mittagsposting dann heute keine Entscheidung, sondern ein Blick in die Zukunft oder auch in die Glaskugel. Es geht nämlich um Änderungen im RVG, die sich – nun ja, noch nicht ankündigen, aber immerhin – abzeichnen. Ist ja schon mal schön, das zu hören bzw. zu lesen.

Ausgangspunkt der Berichterstattung ist ein sog. Eckpunktepapier mit dem Titel: Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung in der 20. Legislaturperiode – Eckpunktepapier von DAV und BRAK – Mai 2023. Ja, richtig gelesen. „Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung“. Es ist mal wieder so weit. Die letzten linearen und/oder strukturellen Änderungen im RVG datieren aus der 19. Legislaturperiode. Diese Änderungen durch das 2. KostRÄG 2021 sind am 1.1.2021 in Kraft getreten. Um weitere/neue Änderungen „anzustoßen“, haben nun also DAV und BRAK im Mai 2023 gemeinsam dieses. Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie ihre Änderungswünsche/ – vorschläge formuliert haben. Ich stelle diese hier heute vor. In dem Papier heißt es:

„Die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege gewährleistet den effektiven Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger und sichert dadurch die Errungenschaften des Rechtsstaats. Damit die Anwaltschaft ihrem Auftrag nachkommen kann, müssen die Rahmenbedingungen gewährleistet werden. Dazu gehört auch die zureichende Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit.

Deshalb setzt sich die Anwaltschaft für eine zeitnahe lineare Erhöhung der anwaltlichen Vergütung ein. Zudem bedarf es struktureller Änderungen und Ergänzungen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Vor diesem Hintergrund fordern BRAK und DAV:

I. Lineare Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung

Die Anwaltschaft ist auf eine zeitnahe lineare Erhöhung ihrer Vergütung dringend angewiesen. Die hohen und stetig wachsenden Kosten, eine Kanzlei zu unterhalten, sowie die nach wie vor steigende Inflation, die sich insbesondere auch in der hohen bestehenden Kerninflation bestätigt, machen eine rasche Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unumgänglich. Denn nur eine ausreichende Vergütung versetzt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dauerhaft in die Lage, den Zugang zum Recht in angemessener Weise zu garantieren. Darüber hinaus erfolgte durch die Erhöhung im Rahmen des KostRÄG 2021 keine vollständige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung seit dem 2. KostRMoG 2013. Auch diese Differenz gilt es aufzuholen.

II. Strukturelle Änderungen und Klarstellungen

1. Anpassung der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG

Die Terminsgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll dahingehend geändert werden, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei gerichtlichen Terminen (sowohl gerichtliche einschließlich der vor einem Güterichter als auch von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumte Termine) mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entsteht. Denn die im Jahr 2013 eingeführte Gebühr kommt in der Praxis aufgrund der hohen Hürde (Kombination aus besonders umfangreicher Beweisaufnahme und drei gerichtlichen Terminen) fast nie zur Anwendung. Rechtsanwälten entsteht allerdings bei mehreren Terminen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand.

2. Inkassodienstleistungen –Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG

Zum Schutz von Verbrauchern vor zu hohen Inkassokosten wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Inkassodienstleistungen zum 01.10.2021 bei der Geschäftsgebühr ein neuer Abs. 2 in Nr. 2300 VV RVG eingeführt. Bei unbestrittenen Forderungen gilt für Inkassodienstleistungen ein reduzierter Gebührenrahmen der Geschäftsgebühr. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass im Hinblick auf die Erweiterung zulässiger Inkassodienstleistungen auch bei der klassischen anwaltlichen Geltendmachung von Forderungen sowohl aus unerlaubter Handlung als auch gegenüber Unternehmern die Gebühren vom Erstattungspflichtigen gekürzt werden, z. B. in Verkehrsunfallsachen durch den Haftpflichtversicherer.

Entsprechend Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung soll daher durch eine Ergänzung von Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand nur bei Inkassodienstleistungen wegen vertraglicher Forderungen gegenüber Verbrauchern Anwendung findet.

3. Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Anwaltsrechnungen in § 10 RVG

In § 10 RVG soll das Schriftformerfordernis bei Rechtsanwaltsrechnungen durch die Textform ersetzt werden und zwar unabhängig von der Zustimmung des Mandanten. Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Die Textform entspricht sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung. Von entscheidender Bedeutung sind die Richtigkeit, Angemessenheit und Kenntnisnahme der Rechnung durch die Rechtsanwälte. Diesen Voraussetzungen tragen die berufsrechtlichen Grundpflichten nach §§ 43, 43a BRAO Rechnung. Ferner verlangt bereits jetzt § 3a RVG für Vergütungsvereinbarungen nur die Textform.

4. Einführung von Gebühren für das strafrechtliche Zwischenverfahren

Das Strafverfahren ist in drei Abschnitte (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) geteilt, in denen Rechtsanwälte tätig sind. Eine Vergütung ist jedoch nur für das Ermittlungs- und das Hauptverfahren vorgesehen. Die vergütungsrechtliche Regelung widerspricht damit der prozessrechtlichen Struktur des Strafverfahrens. Darüber hinaus besteht im Zwischenverfahren ein erheblicher Arbeitsaufwand für Rechtsanwälte. Dabei erhalten Beschuldigte und ihre Vertreter erstmalig Gelegenheit festzustellen und zu prüfen, welche konkreten Vorwürfe erhoben werden und welche Beweismittel zur Verfügung stehen. Erst in diesem Stadium besteht die Möglichkeit, zur Sach- und Rechtslage umfassend Stellung zu nehmen. Dem ist durch die Schaffung einer gesonderten Gebühr für das Zwischenverfahren Rechnung zu tragen.

5. Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistands

In § 48 RVG soll eine Vergütungsregelung für die Zeugenbeistandsleistung von Rechtsanwälten, die nach § 68b StPO beigeordnet sind, dahingehend normiert werden, dass sich die Beiordnung auf alle vorbereitenden und nachsorgenden Tätigkeiten erstreckt.

Der Zeugenbeistand wird durch den Zeugen für eine Vielzahl von Tätigkeiten beauftragt (u. a. Erstberatung, ggf. Akteneinsicht beim Opferzeugen, Vorbereitung des Termins, Begleitung im Termin, ggf. Vertretung bei Anträgen des Zeugen auf Schutzeinrichtungen). Die Beiordnung kann nach § 68b StPO durch Wortlautauslegung als Beistand nur für die Dauer der Vernehmung erfolgen. Danach hat der Zeugenbeistand gegenüber der Landeskasse nur einen Anspruch auf Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also nur auf einen geringen Bruchteil dessen, was der Auftraggeber schuldet. Dies ist unangemessen und benachteiligt insbesondere den Zeugen.

6. Anpassung der Grenze in § 49 RVG bei PKH/VKH und Anhebung der Kappungsgrenze

Die Grenze reduzierter PKH-Gebühren soll auf 5.000 Euro Gegenstandswert angehoben werden. In allen Kostengesetzen sowie im RVG wurden die Auffangwerte auf 5.000 Euro vereinheitlicht. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Bewertung besteht nicht.

Zudem soll die Kappungsgrenze in § 49 RVG zur Anpassung an die Inflationsentwicklung auf 100.000 Euro angehoben werden.

7. Anhebung der Gegenstandswerte in Kindschafts- sowie Gewaltschutz- und Abstammungssachen

Die Verfahrenswerte in isolierten Kindschaftssachen nach § 45 FamGKG (Höchstgrenze § 44 Abs. 2 FamGKG) sollen auf 5.000 Euro angehoben werden. Sachliche Gründe, die eine vom üblichen Auffangwert abweichende Bestimmung des Verfahrenswertes rechtfertigen, gibt es nicht. Darüber hinaus soll jedes Kind bei der Wertberechnung gesondert berücksichtigt werden. Jedes Kind ist ein Individuum und hat ein Recht auf eigenständige Berücksichtigung seiner subjektiven Interessen im gerichtlichen Verfahren. Diese können auch bei Geschwisterkindern erheblich voneinander abweichen. Für eine angemessene Wertbestimmung ist es daher erforderlich, dass jedes Kind isoliert als Subjekt angesehen und der Wert pro Kind in Ansatz gebracht wird.

Auch die Verfahrenswerte in Gewaltschutzsachen nach dem GewSchG sind mit nur 2.000 Euro bzw. 3.000 Euro bei Wohnungsüberlassung nach § 49 FamGKG sowie in Abstammungssachen mit 2.000 Euro nach § 47 FamGKG deutlich zu niedrig bemessen. Diese Werte wurden seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angehoben und sind entsprechend anzupassen.

8. Auslagentatbestände:

a) Änderung der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG

Nach der jetzigen Regelung werden nur Kopien, keine Scans vergütet. Eine Ungleichbehandlung von Kopien und Scans ist sachlich nicht gerechtfertigt, da der Personalaufwand identisch ist und höhere Kosten für leistungsfähige Geräte zur Erstellung von Scans anfallen. Ebenso besteht eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit den Steuerberatern, die nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 StBVV die Dokumentenpauschale nach wie vor für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, also auch Scans, und nicht nur für Kopien erhalten.

Daher soll Nr. 1 der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG klarstellend dahingehend ergänzt werden, dass auch das Einscannen von in Papierform vorliegenden Akten zur weiteren Bearbeitung als elektronische Akte von der Pauschale erfasst wird.

b) Erhöhung der Fahrtkostenpauschale nach Nr. 7003 VV RVG

Die Kilometerpauschale von 0,42 Euro ist aufgrund der enorm gestiegenen Kraftstoffpreise nicht mehr kostendeckend und soll auf mindestens 0,50 Euro angehoben werden. Im Jahr 2021 lag der durchschnittliche Kraftstoffpreis bei 152,2 Cent/Liter und im Jahr 2022 sogar bei 186,0 Cent/Liter; aktuell (April 2023) liegt er bei 180,5 Cent/Liter. Hinzukommen die gestiegenen tatsächlichen Autokosten.

9. Angelegenheitsbegriff, § 17 RVG

Der Wegfall von § 15 Abs. 2 S. 2 RVG a. F. durch das 2. KostRMoG im Jahr 2013 führte dazu, dass die Rechtsprechung teilweise verschiedene Verfahren als nur eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit annimmt. Eine Änderung der vorher geltenden Rechtslage war durch den Wegfall jedoch nicht beabsichtigt.

Durch eine entsprechende Ergänzung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 RVG soll klargestellt werden, dass jedes einzelne behördliche, verwaltungsrechtliche und gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind.

10. Fiktive Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG auch bei vorgeschriebener Erörterung

Durch eine Ergänzung der Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG um Erörterungstermine soll klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen ein Erörterungstermin vorgeschrieben ist, Anwendung findet. Aufgrund des derzeitigen Wortlauts, der nur mündliche Verhandlungen umfasst, verneint die Rechtsprechung teilweise die Möglichkeit des Anfalls einer fiktiven Terminsgebühr in Angelegenheiten, in denen eine Erörterung vom Gesetz vorgeschrieben ist. Eine unterschiedliche gebührenrechtliche Bewertung bei der Vermeidung von vorgeschriebener mündlicher Verhandlung und Erörterung ist jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen.2

Eine bunte Mischung. Insgesamt kann man die Vorschläge nur unterstützen. Dahin stehen soll an dieser Stelle auch, ob sich nicht weitere Änderungen/Ergänzungen empfehlen würden. Die würden aber sicherlich den Rahmen eines KostRÄG sprengen und eher für ein 3. KostRMoG sprechen. Aber auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen würde dem anwaltlichen Gebührenrecht gut tun. Man kann nur hoffen, dass sie kommen Und man kann nur hoffen, dass sie bald in Angriff genommen werden. Denn die laufende 20. Legislaturperiode endet im Herbst 2025. Viel Zeit für Änderungen im RVG ist also nicht mehr. Allerdings: Ich habe Zweifel, ob das alles kommt. Ich höre schon die Länderfinanzminster rufen: Wir haben kein Geld. Andererseits: In 2025 sind Wahlen. Da wird man sicherlich vorher auch die Rechtsanwälte „positiv stimmen wollen“.

Und: Einen Beitrag zu den Änderungen von mir gibt es inzwischen auch. Der ist in StRR 8/2023, 13 ff. veröffentlicht. Titel: Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder:
Eckpunktepapier von DAV/BRAK aus Mai 2023
. Er enthält eine erste, etwas konkrete Einschätzung der Vorschläge.

Gesetze II: Was der Gesetzgeber geschafft hat, oder: Neuregelung der Unterbringung in der Entziehung

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Und im zweiten Posting dann auch etwas zu neuen Gesetzen, aber nicht zu Gesetzesvorhaben, sondern zu gesetzlichen Neuregelungen, die die „Ampel“ geschafft hat.

Und zwar: Am 02.08.2023 ist das „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ (BGBl. 2023 I Nr. 203) in Kraft getreten. Das Gesetz bringt zahlreiche Neuregelungen. Kurz gefasst (vor allem):

  • Die in § 64 StGB geregelten Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sind mehrfacher Hinsicht verschärft worden.
  • Überdies ist die in § 67 Abs. 5 Satz 1 a.F. noch gegebene Möglichkeit, im Falle eines erfolgreichen Therapieabschlusses bereits nach Verbüßung der Hälfte der ausgeurteilten Strafe eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung zu erhalten, massiv eingeschränkt bzw. für die allermeisten Verurteilten praktisch abgeschafft worden.

Das Gesetz tritt am 01.10.2023 in Kraft. Bis dahin ist ja noch ein wenig Zeit. Aber: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Und daher hatten wir bereits in der aktuellen Ausgabe des StRR einen Beitrag eines meiner Coautoren aus den Handbüchern Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung RiLG T. Hillenbrand aus Stuttgart mit dem Titel:

Die Neuregelung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Kollege Hillenbrand stellt in dem Beitrag – sicherlich der erste zu der Thematik – die Neuregelungen vor. Und als besonderen Service das ZAP-Verlages, von StRR und vom BOB ist der Volltext hier verlinkt.

Viel Spaß 🙂 beim Lesen.

Gesetze I: Was der Gesetzgeber an Neuem plant, oder: Nebenklage/VStGB, V-Leute, digitale Hauptverhandlung

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Der derzeitige BMJ hat sich in der laufenden Legislaturperiode m.E. bisher noch nicht mit Ruhm bekleckert. Von ihm ist bisher wenig gekommen. Aber nun – na ja, die Legislaturperiode hat ja (erst) Halbzeit – ist doch noch das ein oder andere angekündigt worden.

Dazu mache ich dann heute – bezogen auf Straf- und/oder Bußgeldverfahren – folgenden Überblick, und zwar:

Ich weise zunächst hin auf die „Vorschläge zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“. Dazu gibt es diese PM v. 17.07.2023. Von den dort gemachten Vorschlägen interessieren mich die geplanten materiellen Änderungen wenig, sondern mir geht es um die verfahrensrechtlichen Pläne. Und da sieht der Referentenentwurf des BMJ zu einem „Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vor:

  • Stärkung der Opferrechte: Nebenklagebefugnis u.a.

    • Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden.  Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 StPO geändert werden.
    • Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Abs. 1 StPO geändert werden.
    • Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
    • Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen ein gemeinschaftlicher Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin als Beistand mehrerer Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
  • Stren­gere Regeln für den Ein­satz von V-Leuten

    • Außerdem sind, wie z.B. LTO berichtet hat, strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten geplant. Es befindet sich dazu wohl ein Referentenentwurf in der sog. Kabinettsabstimmung. Der sieht wohl vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der StA nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt demnach grundsätzlich nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.Um zu starke persönliche Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten zu verhindern, dürfen V-Leute künftig auch nur noch maximal fünf Jahre lang tätig sein. Der Entwurf richtet sich – so LTO -an den Maßstäben der Rechtsprechung des BGH zu den Fragen.
  • Digitalisierung der Hauptverhandlung

    • Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne zur „Digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“. Denn da gibt es inzwischen einen Regierungsentwurf zu einem „Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG“. Der ist bereits am 07.07.2023 im Bundesrat beraten worden (dortige Drucksache 227/23)
    • Mit der Neuregelung soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den LG und OLG geschaffen und ausgestaltet werden. Die Dokumentation soll durch eine Tonaufzeichnung erfolgen, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird. Zusätzlich ist auch eine Bildaufzeichnung möglich, die von den Ländern durch Rechtsverordnung jederzeit teilweise oder flächendeckend eingeführt werden kann.

Das ist es m.E., es sei denn, dass BMJ hat noch irgendwo etwas in der Pipeline.

Im Gespräch: Entkriminalisierung der Unfallflucht, oder: Der Bundesjustizminister überlegt mal wieder

entnommen wikimediacommons

Ich stoße gerade auf die Nachricht in der SZ: Buschmann erwägt, Unfallflucht teilweise zu entkriminalisieren

Und da lese ich:

„Das Bundesjustizministerium erwägt nun, die Rechtslage teilweise zu ändern und Unfallflucht in vielen Fällen zu entkriminalisieren. Wer keinen Personen- sondern nur einen Sachschaden verursacht, würde demnach bei einer Unfallflucht künftig keine Straftat mehr begehen, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.“

Und bei der Tagesschau lese ich dann noch:

„Durch diese Herabstufung „würde einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt“, hieß es dem RND zufolge in dem Ministeriumspapier. „

Und beim RND heißt es dann noch:

„…. Sprich: Wer künftig alkoholisiert einen Unfall mit Blechschaden verursacht, soll rechtlich nicht mehr gezwungen sein, am Unfallort zu bleiben und auch eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer zu riskieren.“

Ich bin doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt – und wahscheinlich nicht nur ich, sondern auch andere. Für mich stellt sich die Frage: Was soll das? Und muss man an der Stelle „entkriminaliisieren“. Ist das wirklich eine „Erwägung“, sondern blinder Aktionismus unserer „hoch verehrten“ (??) BMJ. Denn:

1. M.E. gibt es genügend andere Baustellen, an denen man im BMJ mal voran machen sollte. Wie ist es z.B. mit der Abschaffung = Herunterstufung des § 265a StGB (Erschleichen von Leistungsen; Stichwort: Schwarzfahren). Da will man offenbar nicht ran; jedenfalls habe ich dazu bisher noch nichts gelesen. Das kriminalisiert man doch auch, ohne zu differenzieren. Im Übrigen: Man „entkriminalisiert“ die Trunkenheitsfahrten (teilweise) gleich mit.

2. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das mit der Entkriminalisierung des § 142 StGB gehen soll? Soll jede Unfallflucht mit nur einem Sachschaden eine OWi sein/werden, also auch Sachschäden im hohen Bereich?

3. Hat man sich mal Gedanken gemacht, was da an (schwierigen) Bußgeldverfahren auf die AG zukommt? Die ganzen Probleme, die es bei der Anwendung des § 142 StGB gibt, wie z.B. Bemerkbarkeit des Unfalls usw., werden dann demnächst beim Bußgeldrichter ausgefochten. Die werden sich freuen. Und ich höre schon den Richterbund nach mehr Stellen rufen.

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das „Vorhaben“ dann mit § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einklang gebracht wird? Da habe ich es doch ggf. auch mit einem reinen Sachschaden zu tun, oder?

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, dass ein weiteres Problem auf die Rechtsprechung zukommt, nämlich die Bemerkbarkeit des Personenschadens. Das entscheidet dann ja demnächst über die Frage „OWi oder Straftat“?

5. Warum geht man nicht einen anderen Weg, um die Luft aus dem § 142 StGB zumindest teilweise herauszunehmen? Warum definiert/konkretisiert man nicht, was eine „nicht unerhebliche Verletzung“ oder ein „bedeutender Schaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist, ggf. mit eine „Inflationsklausel“. Das würde zwar nicht „entkriminalisieren“, aber sicherlich in einer ganzen Reihe von Fällen die Verfahren vereinfachen.

Also Fragen über Fragen, auf die das BMJ eine Antwort wird geben müssen. Da sitzen ja Experten. Hoffentlicht. Ich meine übrigens nicht den Chef des Hauses.