StGB II: Verkehrsunfall bei einer „Polizeiflucht“, oder: Körperverletzung im Amt beim Polizeibeamten?

Die zweite StGB-Entscheidung kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 23.10.2024 – 3 ORs 28/24 – 161 SRs 9/24 – zu den Voraussetzungen pflichtwidrigen Handelns eines Polizeibeamten bei der Verfolgung eines Beschuldigten auf der Autobahn Stellung genommen. Der Beschluss ist recht umfangreich begründet, ich stelle daher hier nur die Feststellungen des LG und den Leitsatz des KG ein. Den Rest dann bitte im „Selbststudium“ lesen.

Es geht in der Entscheidung um Folgendes: Das LG hat den angeklagten Polizeibeamten vom Tatvorwurf der angeklagten (vorsätzlichen) Körperverletzung im Amt aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, nachdem das AG ihn in erster Instanz zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verurteilt hatte. Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfall, der sich auf der Abfahrt F-straße der Autobahn 103 in Berlin nach einer etwa fünf Minuten andauernden Polizeiflucht des Nebenklägers ereignete, nachdem sich die Verfolgung bereits über Teile der Autobahnen 115 und 100 erstreckt hatte.

Das LG hat in seinem Urteil im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der Angeklagte und der Zeuge PK T. befuhren am Tattag gemeinsam als erfahrene Zivilstreife im Straßenverkehrsbereich in einem PKW BMW die Autobahn 115 auf Höhe der „Avus-Tribüne“, als sie den Nebenkläger auf seinem Motorrad wahrnahmen, weil dieser sie mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit rechts überholte, eine Sperrfläche überfuhr und mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve Richtung Autobahn 100 Süd einbog. Der Angeklagte – Fahrer des Polizeifahrzeugs – und sein Kollege nahmen deshalb die Verfolgung auf, wobei sie die Videoaufzeichnung des im Fahrzeug vorhandenen ProViDa-Verkehrsüberwachungssystems sowie zusätzlich die Tonaufzeichnung im Innenraum des PKWs aktivierten. Nach etwa drei Kilometern schaltete der Zeuge PK T. Blaulicht und Martinshorn ein, um den Nebenkläger zum Verlangsamen und Heranfahren zu veranlassen. Dieser Aufforderung, die der Nebenkläger eindeutig als ihm geltend erkannte, kam er jedoch nicht nach; vielmehr erhöhte er seine Geschwindigkeit noch und fuhr teilweise – bei um etwa 9 Uhr morgens dichtem Verkehrsaufkommen – von dem Zeugen PK T. gemessene Geschwindigkeiten von 158, 167, 194 und über 200 km/h, während er ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers die Spuren wechselte, zwischen nebeneinander fahrenden PKWs auf der Fahrbahnmarkierung hindurchfuhr, dicht auf andere Verkehrsteilnehmer auffuhr und Sperrflächen querte. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug auf den befahrenen Teilen der Autobahnen zumeist 80 km/h, teilweise auch 60 km/h.

Ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers bog der Nebenkläger schließlich mit einer Geschwindigkeit zwischen 150 und 160 km/h – die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in diesem Abschnitt 60 km/h – in die zweispurige Abfahrt F-straße ein, um die Polizeistreife im Stadtverkehr abschütteln zu können. Am Ende der Abfahrt öffnet sich neben zwei Spuren – in denen jeweils zwei Fahrzeuge hintereinander hielten – eine weitere Fahrbahn für Rechtsabbieger, die zu diesem Zeitpunkt leer war. Die am Ende der Abfahrt befindliche Lichtzeichenanlage strahlte rot ab, weshalb der Nebenkläger, der nicht selbstgefährdend in den Querverkehr geraten wollte, zunächst plante anzuhalten. Der Angeklagte folgte dem Nebenkläger in die Abfahrt, auf der dieser in die rechte Spur wechselte und sein Tempo verlangsamte. Um den Nebenkläger zu stellen, seine Identität festzustellen und ihn aus Gründen der Gefahrenabwehr an einer Weiterfahrt im normalen Straßenverkehr zu hindern, fuhr der Angeklagte mit weiterhin eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn links (in der mittleren Spur) an ihm vorbei und wechselte unmittelbar vor den an der Ampel wartenden Fahrzeugen in die freie Rechtsabbiegerspur, wo er sechs Meter vor der Haltelinie am linken Fahrbahnrad der Spur zum Stehen kam. Zwischenzeitlich hatte die Lichtzeichenanlage auf grün gewechselt. Der Nebenkläger versuchte deshalb, obwohl ihm klar war, dass die Polizeistreife ihn stellen wollte und aus diesem Grund an ihm vorbeigezogen war und den Fahrstreifenwechsel vollzogen hatte, seine Flucht fortzusetzen. Da er zuvor sein Fahrzeug nicht weiter abgebremst hatte, gelang es ihm nun nicht mehr, ohne Berührung rechts an dem Polizeifahrzeug vorbeizufahren. Hierbei streifte er dieses, verlor die Kontrolle über das Motorrad und rutschte seitlich weg. Der Nebenkläger wurde von seinem Sitz geschleudert und stürzte zu Boden, wodurch er sich eine Fraktur des Brustbeins, eine Ellenbogenschleimbeutelentzündung sowie Wunden an den Knien und Füßen zuzog.

Zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens hat das Landgericht festgestellt, dass der Nebenkläger dieses noch sicher hätte vermeiden können, als das Polizeifahrzeug auf der Filandastraße links an ihm vorbeizog; es hätte zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend Zeit bestanden, das Motorrad abzubremsen und anzuhalten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass der Nebenkläger mit einem Spurwechsel des Angeklagten rechnen musste, weil dieser sich bislang nicht habe abschütteln lassen und es ihm offenkundig darauf ankam, den Flüchtenden zu stoppen; es sei zudem erkennbar gewesen, dass ohne den Spurwechsel die Gefahr des Auffahrens auf die auf den zwei weiteren Spuren befindlichen Fahrzeuge bestanden hätte.

Hinsichtlich des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass dieser den Unfall dann hätte vermeiden können, wenn er den Nebenkläger nicht auf der Abfahrt Filandastraße überholt und ihn somit über die Rechtsabbiegerspur hätte entkommen lassen.

Weiter führt die Kammer aus, dass der Angeklagte durch sein Verhalten eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Schaffung einer Gefahrenlage begangen habe, die für ihn jedoch subjektiv nicht vorhersehbar gewesen sei. Durch das Verhalten des Nebenklägers sei zudem der Kausalverlauf aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen worden, weshalb der Angeklagte freizusprechen gewesen sei.“

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers, die beim KG keinen Erfolg hatte:

Hier der (amtliche) Leitsatz zu der Entscheidung:

Ein Polizeibeamter handelt nicht pflichtwidrig, wenn er in Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben einen Beschuldigten verfolgt und an der Weiterfahrt hindert und es hierbei aufgrund des herausfordernden Verhaltens des Beschuldigten zu einem Verkehrsunfall kommt, bei dem dieser geschädigt wird.

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