Heute dann mal wieder Verkehrszivilrecht, und zwar Versicherungsrecht. Ich stelle zwei Entscheidungen zum Vandalismusschaden in der Kaskoversicherung vor.
Ich beginne mit dem OLG Celle, Urt. v. 08.08.2024 – 11 U 64/23 -, dem folgenden Sachverhalt zugrunde liegt: Der Kläger verlangt eine Entschädigungsleistung aus der Kaskoversicherung wegen der Beschädigung seines Fahrzeuges in Form eines „Vandalismusschadens“. Unbekannte Täter sollen das abgestellte und ordnungsgemäß verschlossene Fahrzeug von außen rundherum mit entsprechenden Kratzspuren böswillig beschädigt haben. Der Versicherer hatte dagegen den Einwand erhoben, dass diese Kratzspuren, die sich nur auf einzelnen Fahrzeugteilen wiederfinden und an der Oberfläche verbleiben, als Grundlage für eine gewinnbringende fiktive Abrechnung vom Kläger selber herbeigeführt worden wären. Nach einer durchgeführten Beweisaufnahme hat sich herausgestellt, dass die im hinteren Bereich des Fahrzeuges vorhandene Kratzspur im Bereich des hinteren Stoßfängers nur entstanden sein kann, wenn die Heckklappe des Fahrzeuges auch geöffnet gewesen ist.
Vor diesem Hintergrund haben das LG wie auch das OLG die Leistungsklage des Klägers abgewiesen:
„Zur Herstellung der Entscheidungsreife hat der Senat den Sachverhalt, wie bereits im Beweisbeschluss vom 1. November 2023 begründet, weiter aufklären müssen, weil das Landgericht von einer unzutreffenden Verteilung der Beweislast ausgegangen ist. Nach der vom Senat durchgeführten Erweiterung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger oder sein Sohn oder eine von einem von beiden beauftragte dritte Person den erheblichen Lackschaden an dem Audi A 8 herbeiführte, um sich die streitgegenständliche Versicherungsleistung rechtswidrig zu erschleichen. Wegen dieses betrügerischen Verhaltens besteht nach Maßgabe sowohl der Regelung A.2.3.3 der zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen (AKB) als auch nach § 81 VVG kein Anspruch auf die Klageforderung.
1. Soweit es um eine Anspruchsentstehung gemäß A.2.3.3 der AKB der Beklagten geht, also wegen einer mut- oder böswilligen Beschädigung des Fahrzeugs durch „Personen, die nicht berechtigt [waren], das Fahrzeug zu gebrauchen“, muss allerdings keineswegs allein der Versicherungsnehmer alle Anspruchsvoraussetzungen beweisen.
a) Vielmehr ist nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu unterscheiden: Die (bös- oder) mutwillige Zerstörung oder Beschädigung des versicherten Kraftfahrzeugs als Anspruchsvoraussetzung hat grundsätzlich der Versicherungsnehmer zu beweisen. Allerdings wird es dieses Beweises zumeist nicht bedürfen, weil das versicherte Objekt zur Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist, besichtigt werden kann (BGH, Urteil vom 25. Juni 1997 – IV ZR 245/96, juris Rn. 7; vgl. auch Prölss/Martin/Klimke, WG, 31. Aufl., AKB 2015 A.2.2.2.3, Rn. 38 m.w.N.). Demgegenüber hat der Versicherer – und zwar ohne jede Beweiserleichterung – den Beweis zu führen, dass die Schäden nicht auf ein Verhalten Dritter zurückzuführen sind und dass die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung von Vandalismus durch betriebsfremde Personen gegeben ist (BGH, a.a.O. Rn. 8).
b) Dem Senat ist bewusst, dass es mehrere obergerichtliche Urteile sowie auch aktuelle Kommentierungen gibt, die jedenfalls im praktischen Ergebnis – wie auch das hier angefochtene Urteil – bedeuten, dass den Versicherungsfall des Vandalismus der Versicherungsnehmer zu beweisen habe. Dieses Ergebnis beruht darauf, dass die betreffenden Gerichte die Böswilligkeit oder Mutwilligkeit der Schadensentstehung immer dann ausschließen, wenn es erhebliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant die Schäden selbst verursacht hat. Dieser Rückschluss („selbst verursachter Schaden schließt Mutwilligkeit aus“) findet sich etwa in den (auch von der Beklagten in ihrer Klageerwiderung zitierten) Urteilen des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Dezember 2011 (9 U 83/11, juris Rn. 14) und vom 13. August 2013 (9 U 96/13, juris Rn. 5), überdies – besonders deutlich („[..1 der Kläger daher allein mit dem äußeren Schadensbild den von ihm zu führenden Vollbeweis für eine mut- oder böswillige Beschädigung durch unberechtigte Personen nicht erbracht hat […]“) – in dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 8. August 2017 (7 U 24/17, juris Rn. 28) und auch ausdrücklich etwa in der Kommentierung bei Stiefel/Maier/Stadler (Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., AKB 2015 A.2.2.2.3. Rn. 386).
Damit wird der grundlegende Inhalt des im Vorstehenden zitierten höchstrichterlichen Urteils jedoch geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Das Tatbestandsmerkmal „Schadensverursachung durch eine betriebsfremde Person“, das nach Maßgabe jenes höchstrichterlichen Urteils der Versicherer im Wege des Vollbeweises zu widerlegen hat, wird gleichsam zum Untermerkmal des Tatbestandsmerkmals „bös- oder mutwillig“ umgedeutet und dem Versicherungsnehmer wird – entgegen dem zitierten höchst-richterlichen Urteil – der Beweis dafür abverlangt, dass der Schadenverursacher betriebsfremd war. Der Bundesgerichtshof hat dem Tatbestandsmerkmal der Bös- oder Mutwilligkeit in der zitierten Entscheidung indes gerade keine besondere eigene Be-deutung beigemessen, sondern eher knapp ausgeführt, dass der Fall der mutwilligen Zerstörung (schon) nach dem unstreitigen Sachverhalt feststehe, der dadurch gekennzeichnet war (a.a.O. Rn. 3, 10), dass das Fahrzeug „in der Nähe eines Baggerlochs“ mit „massiven Beulen und Schlagspuren“, die „offensichtlich auf Hammerschlägen beruhten“, aufgefunden wurde; Sitze und Kopfstützen waren zerschnitten. Der Innenraum des Fahrzeugs war mit dem gleichen Sprühlack verschmiert, mit dem ein beleidigender Schriftzug aufgebracht war. Das äußere Bild einer letztlich objektiv sinnlosen vorsätzlichen Beschädigung oder Zerstörung – landläufig „Vandalismus“ genannt -genügte mithin; eines vom Versicherungsnehmer zu erbringenden weiteren Beweises bedurfte es nicht, wiewohl sich auch im dortigen Fall nicht von vornherein sicher aus-schließen ließ, dass der Versicherungsnehmer oder die zwischenzeitlichen Käufer des Fahrzeugs den Schaden verursacht hatten. Den Beweis, dass diese Zerstörung nicht durch „betriebsfremde“ Personen verursacht worden war, erlegte der Bundesgerichtshof dem Versicherer auf (in diesem Sinne auch instruktiv OLG Naumburg, Urteil vom 21. November 2013 – 4 U 237/13, juris 13; OLG Saarbrücken, Urteil vom 11. Dezember 2020 – 5 U 820, juris Rn. 22; Stiefel/Meyer/Stadler, a.a.O Rn. 387).
2. Übertragen auf den vorliegenden Fall folgt daraus, dass zunächst auf der Grundlage des unstreitigen Schadensbildes das Vorliegen eines bös- und mutwilligen Handelns festgestellt werden kann, weil das Schadensbild nur durch eine jedenfalls objektiv sinnlose und vorsätzliche Beschädigung erklärt werden kann (vgl. auch erneut OLG Naumburg, a.a.O. Rn. 11), die insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit einem etwaigen Aufbruchsversuch stand (vgl. zu dieser Abgrenzung gegenüber Mutwilligkeit Bruck/Möller/Koch, VVG, 9. Aufl., A.2 Kaskoversicherung, Rn. 333; OLG Frankfurt, Urteil vom 8. Januar 1988 – 1 U 208/86, VersR 1988, 1122). Die Beklagte muss indes den Beweis erbringen, dass die Schäden an dem versicherten Fahrzeug von dem Kläger, seinem Sohn oder einer von ihm beauftragten dritten Person verursacht wurden, mithin nicht von einem Unbekannten, der im Sinne von A.2.3.3 AKB nicht zum Gebrauch des versicherten Fahrzeugs berechtigt war.
3. Im Übrigen kommt neben der vom Landgericht in Betracht gezogenen Anspruchsgrundlage eine weitere in Betracht. Die nach Maßgabe des äußeren Bildes der Beschädigungen anzunehmende Einwirkung mit einem oder mehreren Gegen-ständen auf das versicherte Fahrzeug stellten auch einen Unfall im Sinne von A.2.3.2. Abs. 1 AKB dar, nämlich ein von außen her auf das Fahrzeug plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 10). Auch gegen unfallbedingte Zerstörungen und Beschädigungen war das in Rede stehende Fahrzeug versichert. Jedenfalls für dieses versicherte Risiko bestimmt das Gesetz selbst, nämlich § 81 VVG, ausdrücklich, dass den Versicherer die Beweislast für die Richtigkeit seiner Behauptung trifft, dass der Versicherungsnehmer den Schadensfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt habe. Auch in diesem rechtlichen Rahmen muss daher die Beklagte ihre Behauptung beweisen, dass der Sohn des Klägers der Urheber der Schäden gewesen sei.
Es entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn die Beweislast bei der Prüfung der Vor-aussetzungen gemäß A.2.3.3 AKB („Vandalismusschäden“) anders als vom Senat beurteilt würde.
4. Das Ergebnis der vom Senat aufgrund dieser rechtlichen Beurteilung erweiterten Beweisaufnahme ist allerdings eindeutig. Der – als solcher unstreitige – Vandalismusschaden kann nur durch eine Person verursacht worden sein, die berechtigten Zugriff auf das Fahrzeug hatte. Die Beklagte hat folglich den ihr obliegenden Beweis erbracht. Denn bei der Erzeugung der um das ganze Fahrzeug umlaufend angebrachten Kratzspur muss die Heckklappe des Fahrzeugs offen gestanden haben. Ein – wenn auch kleiner – Abschnitt der Kratzspur befindet sich nämlich auf der Oberseite des Heckstoßfängers in einem Bereich, der sich mit jedwedem zur Erzeugung der Kratzspur geeigneten Werkzeug nur erreichen lässt, wenn die Hackklappe geöffnet ist.
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