Ich hatte am Nikolaustag über das dem AG Schleiden, Urt. v, 02.09.2022 – 13 OWi-304 Js 802/22-179/22 berichtet (vgl. AG I: Geschwindigkeitsmessung mit ESO ES 8.0, oder: Nichtspeicherung von Daten verstößt gegen “fair trail”).
Am Ende des Beitrags hieß es: „Ich bin gespannt, was das OLG Köln, bei dem die Rechtsbeschwerde anhängig ist, macht.“. Inzwischen hat das OLG Köln „gemacht“ – und: Mich überrascht es nicht, was das OLG Köln „gemacht“ hat. Denn es wäre zu schön gewesen, wenn sich das OLG der Auffassung des AG angeschlossen und die Rechtsbeschwerde verworfen hätte. Das hat das OLG nicht „gemacht“, sondern es hat im OLG Köln, Beschl. v. 16.12.2022 – 1 RBs 371/22 -, den mir der 1. Bußgeldsenat des OLG Köln gestern übersandt hat, ein AG-Urteil, das eine ähnliche Problematik hatte, aufgehoben. Schade, aber man hat zumindest ein paar Tage träumen dürfen.
Was das OLG – nach Zulassung der Rechtsbeschwerde – ausführt, überrascht (auch) nicht und setzt sich m.E. nicht wirklich nicht mit den Argumenten des AG auseinander. Vorgetragen wird im Grunde das Argument: Das macnehn alle so:
„Das gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG als Rechtsbeschwerde statthafte und zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Urteilsgründe tragen den Freispruch nicht. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor. Auch Messungen mit Geräten, bei denen Messdaten nicht gespeichert werden, sind verwertbar. Das verwendete Messgerät ESO ES 8.0 ist ein von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt zugelassenes Lichtschrankenmessgerät und als standardisiertes Messverfahren anerkannt. Die Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt indiziert bei Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung und Vorliegen eines geeichten Gerätes die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes. Ob dabei sogenannte Rohmessdaten gespeichert werden oder nicht, ist irrelevant. Dieser Auffassung des OLG Oldenburg (Beschluss vom 09.09.2019, 2 Ss (OWi) 233/19, juris) haben sich nahzu alle Obergerichte einschließlich des Senats angeschlossen (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 09.12.2019, 202 ObOWi 1955/19, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.02.2020, 1 OWi 2 SsBs 122/19, juris und Beschluss vom 01.12.2021, 1 OWi 2 SsBs 100/21; OLG Hamm, Beschluss vom 25.11.2019, 3 RBs 307/19, juris; Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 06.04.2020, 1 SsRs 10/20, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.09.2020, 1 OLG 171 SsRs 195/19; Senat, Beschluss vom 27.09.2019, III-1 RBs 339/19).“
Dem stimmt der Senat zu und schließt sich im Übrigen den Gründen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 01.12.2021, Az. 1 OWi 2 SsBs 100/21, zitiert nach juris, Rn. 14 ff., an. Soweit der vorbezeichneten Entscheidung eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät Poliscan FM1, Softwareversion 4.4.9. zugrunde liegt, sind die dortigen Erwägungen, insbesondere Rn. 17 ff., auf die vorliegend verfahrensgegenständliche Messung mit der mobilen Geschwindigkeitsmessanlage des Typs ESO ES 8.0. übertragbar. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war das vorliegend zum Tatzeitpunkt am 27.05.2021 verwendete Messgerät mit der Softwareversion 1.1.0.2. ausgestattet, deren „Rohmessdaten“ seit der 3. Revision (28.02.2020) der von der Konformitätsbewertungsstelle der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ausgestellten Baumusterprüfbescheinigung nicht mehr gespeichert werden. Indes kommt dem Umstand, dass das vorbezeichnete Messgerät – anders als bei früheren Softwareversionen – keine sog. „Rohmessdaten“ mehr speichert, aus den Gründen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken, a.a.O., keine rechtliche Relevanz zu. Da die in Rede stehenden Messdaten der verfahrensgegenständlichen Messung zu keinem Zeitpunkt gespeichert und demgemäß auch weder der Bußgeldbehörde noch dem Gericht zur Verfügung standen, beanspruchen die Gründe der Senatsentscheidung vom 27.09.2019 (Az. III-1 RBs 339/19, DAR 2019, 695), an denen der Senat festhält, auch in dieser Konstellation Geltung. Davon ausgehend ist auch die Annahme des Tatgerichts, Daten seien „mutwillig unterdrückt“ worden, nicht gerechtfertigt.“
Ausgerechnet beim ESO, wo inzwischen Fehlmessung von der VUT schon nachgewiesen wurden…
Leider fast schon eine Entscheidung wider besseres Wissen!
Wie in den Beiträgen auf der Seite von http://www.vut-Verkehr.de zu lesen, haben Hersteller und PTB wohl wissend um die Bedeutung der Rohmessdaten selbst bei ES 8.0 im AUSWERTEPROGRAMM einen Auswertealgorithmus implementiert, der systemischer Fehler der Messung (LED) erkennt und so das Messergebnis unterdrückt. Dazu braucht es allerdings die Rohmessdaten, da ohne diese der Auswertealgorithmus den Fehler nicht erkennen kann. Die sind aber gelöscht. Nimmt man also damit nicht bewusst die Beanzeigung Unschuldiger in Kauf?
In unserem Buch Messungen im Straßenverkehr ( siehe neben, 6.Auflage) ist diese Aussage technisch eindeutig nachgewiesen.
Das Urteil des Amtsrichters aus Schleiden ist aus meiner Sicht primaund absolut nachvollziehbar. Der Richter hat allerdings vergessen, dem OLG von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es ist doch allgemein bekannt, dass den OLG als “Argument“ für das Bügeln aller der Transparenz dienenden Ansprüche nichts anderes einfällt, als „standardisiertes Messverfahren“ zu krähen.
Ich fände es daher sinnvoll, wenn in einem solch kritischen Urteil einmal darauf hingewiesen werden würde, dass das standardisierte Messverfahren technisch schlicht nicht funktioniert. Oder muss man es als Jurist hinnehmen, dass man ein Verfahren zugrunde legen soll, bei dem 1+1 nicht 2 ergibt?
Dass das standardisierte Messverfahren nicht funktioniert, ist offensichtlich: könnte nämlich durch die Zulassung sichergestellt werden, dass ein Messgerät ordnungsgemäß funktioniert, dürfte es weder die nachgewiesenen LED-Fehlmessungen bei den eso-Einseitensensoren geben, noch hätte das Messgerät LEIVTEC XV 3 nach 10 Jahren Betrieb im standardisierten Messverfahren wegen massiver Messfehler vom Markt genommen werden müssen.
Für mich ist es wirklich nicht nachzuvollziehen, dass sämtliche Richter eine solch offensichtliche Unstimmigkeit in dem einen Geschwindigkeitsmessungen zugrunde liegenden Konstrukt einfach ignorieren.
Vor allem weil die Gefahr besteht, dass das Bundesverfassungsgericht (das entsprechend dem Pressetext zu 2 BvR 1616/18 nicht einmal weiß, was Rohmessdaten sind) diesen Sachverhalt auch außer acht lässt und damit ein technisch nicht funktionierendes Konstrukt auf ewig zementiert.
Dieses Urteil ist hingegen durchgegangen:
https://rechtsanwalt-dick.de/wp-content/uploads/2023/01/Urteil_ESO-30-80-geschwaerzt.pdf
Az: 13 OWi-304 Js 1014/22-299/22