Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.09.2021 – 1 OLG 2 Ss 33/21 –, den mir die Kollegin Hierstetter aus Mannheim geschickt hat, äußert sich zur Rechtmäßigkeit der polizeilichen Anordnung einer Herausgabe eines Mobiltelefons.
Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung verurteilt. Die Revision war insoweit beim OLG erfolgreich. Das OLG vermag auf Grund der Urteilsgründe nicht die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung feststellen:
b) Zudem begegnet der Schuldspruch insoweit durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als sich die Rechtmäßigkeit der von den geschädigten Polizeibeamten ausgeführten Diensthandlung anhand der schriftlichen Urteilsgründe – auch in deren Gesamtheit – nicht hinreichend überprüfen lässt (vgl. §§ 114 Abs. 3, 113 Abs. 3 StGB); das Urteil leidet daher an einem durchgreifenden Darstellungsmangel (vgl. BayObLG Beschluss vom 01.06.2021 – 202 StRR 54/21, juris Rn. 14).
(a) Dass sich die mittels Tritten ausgeübte Gegenwehr des Angeklagten nicht gegen die Durchsetzung eines (im Übrigen nicht festgestellten) Platzverweises richtete, sondern zumindest vorrangig darauf ausgerichtet war, Widerstand gegen die Sicherstellung des Mobiltelefons zu leisten, liegt aufgrund der Angaben des Zeugen S. hier nahe. Denn danach hat der Zeuge die Filmaufnahmen durch den Angeklagten unterbinden und deshalb die Herausgabe des Mobiltelefons gefordert, was jener verweigert habe. Dann sei es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf er durch Tritte am Schienbein getroffen worden sei. Auch der Zeuge V. hat ausgeführt, der Angeklagte habe sich geweigert, das Mobiltelefon herauszugeben, wonach es „in der Folge“ zu einem Gerangel um das Handy gekommen sei (UA S. 5).
(b) Die Rechtmäßigkeit der Anordnung, das Mobiltelefon herauszugeben, und von deren Durchsetzung mittels Anwendung unmittelbaren Zwangs verstehen sich hier aber nicht von selbst.
(aa) Als Ermächtigungsgrundlage für die Sicherstellung des Geräts kommt nach den festgestellten Umständen allein § 22 Nr. 1 POG RP in Betracht. Danach kann eine Sache sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Geht die Polizei präventivpolizeilich gegen die Anfertigung von Lichtbild- oder Videoaufnahmen vor, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 24.07.2015 – 1 BvR 2501/13, juris Rn. 14; zustimmend: Baumhöfener, K&R 2015, 760) aus den durch die Maßnahme betroffenen Grundrechten des Aufnehmenden (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Anforderung einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Eine solche konkrete Gefahr, welche eine mittels unmittelbarem Zwang (§ 76 POG RP) durchsetzbare Sicherstellung erlaubt hätte, hätte hier namentlich vorgelegen, wenn das Filmen mittels Mobiltelefon gem. §§ 22 S. 1, 23, 33 Abs. 1 KunstUrhG oder auch § 201a Abs. 2 StGB verboten, mithin rechtswidrig gewesen wäre. Maßgebend für die Beurteilung eines Lebenssachverhaltes im Hinblick auf die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr sind die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel. Es kommt darauf an, ob die Einschätzung der Lage durch den handelnden Beamten damals – ex ante gesehen – objektiv gerechtfertigt erschien (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.1997 – 11 A 11657/96, juris Rn. 49). Ob dies der Fall war, hat das Amtsgericht nicht erkennbar geprüft. Aufgrund dieser Lücke ist der Senat nicht in die Lage gesetzt, die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung zu überprüfen.
(bb) §§ 22, 23 KunstUrhG setzen voraus, dass die gefertigten Bildnisse ohne Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Dass hier eine solche Verbreitung oder zur Schaustellung, etwa durch alsbaldige Einstellung in das Internet, konkret zu besorgen war, ist den hierzu getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Dabei ist zu beachten, dass nicht stets davon ausgegangen werden kann, dass – im Sinne von §§ 22, 23 KunstUrhG – unzulässig gefertigte Lichtbilder auch verbreitet werden. Es bedarf vielmehr über das Filmen hinaus konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Aufnahmen entgegen den Vorschriften des KunstUrhG unter Missachtung des Rechts der betroffenen Personen am eigenen Bild auch veröffentlicht werden (BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 – 6 C 7/98, BVerwG, juris Rn. 27 = BVerwGE 109, 203). Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass generell derartige Aufnahmen von Polizeibeamten häufig im Internet veröffentlicht werden (VG Meiningen, Urteil vom 13.03.2012 – 2 K 373/11, juris Rn. 30). Im Hinblick auf die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung ist vielmehr grundsätzlich von der Rechtstreue des Aufnehmenden auszugehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.1995 – 1 S 3184/94, juris Rn. 17). Ein Anhaltspunkt für eine Veröffentlichungsabsicht des Angeklagten könnte hier zwar die konkrete Art und Weise des Filmens des Zeugen V. „direkt vor seinem Gesicht“ darstellen (zur Anfertigung einer „Porträtaufnahme“: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.1997 – 11 A 11657/96, juris Rn. 50). Demgegenüber kann aber nach den Gesamtumständen auch beachtlich sein, dass der Angeklagte das Motiv gehabt haben kann, einen als unrechtmäßig empfundenen Polizeieinsatz zu dokumentieren, um die Aufnahme später als Beweismittel einsetzen zu können. Ob die Annahme des Zeugen V., der Angeklagte werde „das Video, dass er von ihm aufgenommen habe, in „youtube“ veröffentlichen oder sonst wie im Internet verbreiten“ mit Blick auf die konkreten Umstände objektiv gerechtfertigt war, bedarf daher ergänzender tatrichterlicher Feststellung und Würdigung. Entsprechendes gilt für die Rechtfertigungstatbestände der §§ 201a Abs. 4, 201 Abs. 2 S. 2 StGB (vg. Baumhöfener aaO. sowie Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3109).
(bb) Nichts Anderes würde gelten, wenn man – unbeschadet der Angabe des Zeugen V., es sei ihm um eine Verhinderung der Verbreitung von Aufnahmen gegangen – als Eingriffsgrundlage auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Polizeibeamten abstellt. Insoweit kann bereits das Herstellen von Bildnissen ohne Einwilligung des Betroffenen ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhalten (§ 23 KunstUrhG), wobei allerdings die jeweiligen Umstände des Fertigens der Fotografien nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (VGH Baden-Württemberg, aaO. Rn. 18). Insoweit obliegt den allgemeinen Ordnungsbehörden und der Polizei auch der Schutz privater Rechte, wenn und soweit gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne ordnungsbehördliche oder polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (vgl. § 1 Abs. 3 POG RP). Ob auf Seiten des Angeklagten jedoch ein berechtigtes Interesse an der Anfertigung der Videoaufnahme anzuerkennen war, welches in Abwägung mit den Belangen der Persönlichkeit des betroffenen Polizeibeamten zu bringen wäre (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.04.2001 – 1 BvR 758/97, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, aaO. Rn. 20), hat das Amtsgericht nicht geklärt.“