Nach der „Effektivierung“ und der „Modernisierung“ kommt die „Fortentwicklung“ der StPO, oder: Warum?

Bild von megapixel.click – betexion – photos for free auf Pixabay

Es ist mal wieder so weit. Nachdem die StPO 2017 effektiviert worden ist, man sie 2019 modernisiert hat und auch das Recht der Pflichtverteidigung neu geregelt hat, gibt es nun das nächste Gesetzgebungsvorhaben. Man höre und staune: Die StPO wird „fortentwickelt“.

Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich nämlich auf Initiative der Bundesregierung ein „Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften  Initiative:Bundesregierung“ (BR-Drs. 57/21). Das steht für kommenden Freitag auf der Tagesordnung der 1.001-Bundesratssitzung. Das spricht dafür, dass man das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durch den Bundestag bringen will.

Folgende Änderungen kommen da auf uns zu:

Änderungen im Recht des Ermittlungsverfahrens

  • Die Befugnis zur Postbeschlagnahme nach § 99 StPO soll um ein „Auskunftsverlangen“ in einem neuen Abs. 2 ergänzt werden.
  • In 104 Abs. 3 StPO soll der Begriff der Nachtzeit vereinheitlicht werden, und zwar einheitlich auf die Zeit zwischen neun Uhr abends und sechs Uhr (dazu BVerfG, Beschl. v. 12.03.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428).
  • In 114b StPO soll in S. 1 die Belehrung des verhafteten Beschuldigten an die Hinweispflichten in §§ 136 Abs. 1, 163a StPO und in S. 3 an die in §§ 186 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 GVG angepasst werden. In § 114b Abs. 2 StPO werden die Belehrungspflichten betreffend Bestellung eines Pflichtverteidigers und der Akteneinsicht erweitert.
  • Bei den Vernehmungen sind folgende Änderungen vorgeschlagen.
    • Die Belehrungspflicht des 136 StPO wird ebenfalls erweitert. Der Beschuldigte soll nicht mehr nur vor der ersten Vernehmung, über den Tatvorwurf, die Aussagefreiheit und die Verteidigerkonsultation hingewiesen, sondern bei jeder Vernehmung.
    • In einem neuen 136 Abs. 3 StPO soll auf § 58b StPO verwiesen und damit ausdrücklich geregelt werden, dass im Ermittlungsverfahren für polizeiliche, staatsanwaltschaftliche wie auch richterliche Vernehmungspersonen die Möglichkeit besteht, einen Beschuldigten in geeigneten Fällen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu vernehmen.
  • Schließlich soll in 163a Abs. 5 StPO klargestellt werden, dass hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten das Recht zusteht, auch im Rahmen ihrer staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren die in § 186 GVG vorgesehenen Kommunikationshilfen in Anspruch zu nehmen.
  • In einem neuen 163g StPO will man die Befugnis zur „Automatischen Kennzeichenerfassung zu Fahndungszwecken“ im öffentlichen Verkehrsraum schaffen.

Sonstige „Nachjustierungen“/Anpassungen/Ergänzungen

  • Im Recht der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) sind etliche Ergänzungen/Klarstellungen vorgesehen.
  • Im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Akte werden Klarstellungen als erforderlich angesehen. So soll z.B. durch eine Streichung in § 32b Abs. 1 S. 2 StPO klargestellt werden, dass auf lediglich schriftlich abzufassenden Dokumenten künftig keine qualifizierten elektronischen Signaturen angebracht werden müssen. Die nach § 32e Abs. 3 S. 2 StPO bei der Übertragung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehenden Schriftstücke sollen künftig ausdrücklich auf handschriftlich unterzeichnete staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Schriftstücke begrenzt werden. Zudem soll § 32f betreffend die Form der Gewährung von AE dahin ergänzt werden, dass künftig gleichrangig neben der Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf über ein Akteneinsichtsportal die Möglichkeit der Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übertragungsweg i.S. des § 32a Abs. 4 StPO tritt.
  • In einem neuen 373b StPO soll in Umsetzung der EU-Richtlinie 2012/29/EU v. 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (Opferschutzrichtlinie, ABI. L 315 v. 14.11.2021, S. 57) der „Begriff des Verletzten“ definiert werden. Vorgesehen ist dort aber nur eine Definition des Verletzten für die StPO. Als Verletzte im Sinne der StPO sollen diejenigen anzusehen sein, „die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben“. Verletzten gleichgestellt werden der Ehegatte bzw. der Lebenspartner, der in einem gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährte, die Verwandten in gerader Linie, die Geschwister und die Unterhaltsberechtigten und eine Person, deren Tod eine direkte Folge der Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, gewesen ist.
  • In 68 StPO wird in S. 1 und 2 klargestellt werden, dass bei der Vernehmung eines Zeugen im Ermittlungsverfahren grds. die vollständige Anschrift festzustellen ist, während in der Hauptverhandlung und in richterlichen Vernehmungen in Anwesenheit des Beschuldigten die vollständige Anschrift von Zeugen grds. nicht (mehr) abgefragt wird, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort.
  • Neu gefasst werden soll in 168 S. 3 StPO bzw. in § 168a StPO die Art der Protokollierung richterlicher und/oder ermittlungsbehördlicher Untersuchungshandlungen).
  • In 68c Abs. 5 S. 3 StPO ist eine Stärkung des Anwesenheitsrechts des Verteidigers vorgesehen. Danach soll die Benachrichtigung des Verteidigers von der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten nur (noch) unterbleiben, wenn sie den Untersuchungserfolg erheblich gefährden würde.
  • Schließlich ist in 74c Abs. 1 Nr. 5a GVG eine Erweiterung der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer auf die Fälle der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen, der Bestechung im Gesundheitswesen, der Bestechlichkeit und der Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter sowie nach dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung erweitert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert