Wenn schon im OLG Jena, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 OLG 151 SsBs 72/20 die Feststellungen des Amtsrichters dem OLG nicht ausgereicht haben (vgl. OWi II: SV-Gutachten als Urteilsgrundlage, oder: Und bloße Wiedergabe des Bußgeldbescheides reicht nicht): Es geht auch noch „besser“. Das zeigt, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 549/20 (316/20) -, den mir der Kollege Rakow aus Rostock gestern geschickt hat.
Das OLG hat ein Urteil des AG Brandenburg, mit dem der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist, aufgehoben.
Grund (zunächst): Die Verfahrensrüge des Kollegen, mit der er gerügt hatte, dass dem Betroffenen nicht das letzte Wort (§ 258 StPO) gewährt worden ist, hatte Erfolg.Nun ja, denkt man, das kann (mal) passieren. Darf es nicht, aber kann eben mal. Und wenn man als Verteidiger dann aufpasst, hat man einen Revisions-/Rechtsbeschwerdegerund, der in der Regel auch zum Erfolg führt. So eben auch hier.
Damit wäre es an sich genug gewesen. Das OLG hat aufgehoben und zurückverwiesen. Aber: Das OLG macht noch mehr. Man hatte es schon geahnt, denn das OLG hat von § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht und an ein andere Abteilung des AG Brandenburg zurückverwiesen. Das machen OLG selten und meist nur, wenn etwas Besonderes geschehen ist. Man ist also gspannt und die Spannung löst sich, wenn man dann weiter liest:
„b) Ungeachtet des vorgenannten Verfahrensverstoßes kann das angefochtene Urteil auch auf die erhobene Rüge der Verletzung sachlichen Reals keinen Bestand haben. Die Urteilsgründe genügen in zahlreicher Hinsicht nicht den selbst in Bußgeldverfahren erheblich reduzierten Mindestanforderungen: Es fehlen bereits Angaben zur zulässigen Geschwindigkeit, zur gefahrenen Geschwindigkeit, zum Toleranzabzug. Die Höhe der Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit wird verfehlt lediglich im Urteilstenor, nicht jedoch in den Urteilsgründen erwähnt.
Den Urteilsgründen sind weder Angaben zum angewandten Messverfahren noch zur Eichung des Messgerätes noch zur Qualifikation des Messbeamten zu entnehmen. Ausführungen zum subjektiven Tatbestand enthält das angefochtene Urteil ebenfalls nicht; eine Beweiswürdigung findet nicht statt. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht nachvollziehbar. Weshalb die Bußgeldrichterin von der Regelgeldbuße nach Ziff. 11.3.6 Tabelle 1 c BKat abweicht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen; Ausführungen zu den persönlichen Verhältnissen oder zu Eintragungen im Fahreignungsregister enthält das Urteil nicht. Weshalb die Bußgeldrichterin auf ein angesichts der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht indiziertes Fahrverbot erkannt hat, ergibt sich aus den Urteilsgründen ebenfalls nicht; es ist auch nicht ersichtlich, ob die Bußgeldrichterin erwogen hat, dass in besonderen Ausnahmefällen von einem Fahrverbot abgesehen werden kann.
Insgesamt erweist sich das angefochtene Urteil als durchweg fehlerbehaftet und unbrauchbar und unterliegt daher der Aufhebung. ….“
Da kommt es also für das AG bzw. die Amtsrichterin ganz dicke, das ist das berühmte Brett, die Ohrfeige usw. Ich habe ja in den letzten Jahrens einiges an OLG-Begründungen gelesen. So „Dickes“ aber – wenn ich mich richtig erinnere – noch nicht. „Durchweg fehlerbehaftet und unbrauchbar“ – in der Schule würde ein Leherer wahrscheinlich sagen – na ja, heute nicht mehr, aber früher -: „Setzen, 6“. Und das, was da abgeliefert worden ist, ist auch unbrauchbar. Man fragt sich bei den „Beanstandungen“ des OLG, was da wohl überhaupt im Urteil gestanden hat. Denn das OLG vermisst ja nun alles, was in ein amtsgerichtliches Bußgeldurteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gehört. Für mich grenzt das an Arbeitsverweigerung bzw. die Grenze dürfte überschritten sein. Verhängt wird eine Fahrverbot – immerhin ja schon mal eine einschneidendere Rechtsfolge – und das AG hat es nicht nötig, das zu begründen. Nein, das grenzt nicht an Arbeitsverweigerung, das ist es. Und das hat auch nichts mit Belastung pp. zu tun. Die Anforderungen der OLG an die Urteilsgründe sind sicherlich an manchen Stellen schon recht hoch, aber andererseits nun auch nicht wieder so hoch, dass man die nicht erfüllen kann, ja muss. Wenn man das nicht will/kann, ist man eben fehl am Platz.
Sorry, tut mir leid. Aber das ist meine Meinung. Für mich: Unfassbar, – das AG-Urteil, nicht der OLG-Beschluss.
Jedes Gericht hat (mindestens) so einen Kollegen – im aktuellen System (dessen Existenz ich nicht zwingend in jede Richtung verteidigen will), wird man die aber nicht mehr los und muss sie ja irgendwo hinsetzen. Oder die anderen Richter müssen kostenlos mehr arbeiten, um es aufzufangen.
Man denkt sich dann vermutlich – soll sie eben lieber OWis versaubeuteln als wichtigere Dinge wie Schöffensachen, Sorgerechtsverfahren… Man versucht irgendwie, die Verluste gering zu halten.
Für den Betroffenen im Einzelfall ein schwacher Trost, freilich. Aber diese Problembären löst nur die (Früh-)Pension.
Traurig. Aber leider kein Einzelfall.