Und dann zum eigentlichen Thema des Tages: Noch einmal Pflichtverteidigungsentscheidung.
In der Facebookgruppe Strafverteidiger war gefragt worden nach der Bestellung eines Pflichtverteidigers in folgender Konstellation: Der Mandant erscheint bei dem Rechtsanwalt mit einer Vorladung der Polizei. Dort lautet der Vorwurf „Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr 2 BtMG. Daraufhin beantragt der Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft seine Beiordnung, der Ermittlungsrichter teilt ihm mit, dass er nicht beiordnen wird, weil es hier kein Verbrechen sei, es läge vielmehr offensichtlich nur ein Vergehen vor, was objektiv zutreffend ist. Der Rechtsanwalt nimmt dazu Stellung und erklärt, dass es doch auf den Vorwurf zum Zeitpunkt der Antragstellung ankommen muss. Er fragt nach Rechtsprechung. Ich kannte (bisher) keine.
Der Kollege hat dann gesucht. Und er ist fündig geworden beim LG Flensburg, Beschl. v. 30.07.2020 – II Qs 28/20 jug :
„Die als sofortige Beschwerde auszulegende „Beschwerde“ (vgl. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO) des Beschuldigten ist zulässig, da sie insbesondere fristgerecht eingelegt wurde, und begründet.
Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers im Ermittlungsverfahren liegen vor.
Der Beschuldigte hat einen Antrag gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO gestellt. Auch liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO vor, da gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB, die ein Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB darstellt, ermittelt wurde.
Ein Verbrechen gilt nämlich schon dann als „zur Last gelegt“, wenn wegen eines solchen ermittelt wird (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020 Rn. 6, StPO § 140 Rn. 6 m.w.N.). Zwar sind seitens der Kriminalpolizei bereits frühzeitig Überlegungen angestellt worden, wonach eine Strafbarkeit wegen eines Brandstiftungsdeliktes ausscheiden könnte (vgl. Bl. 45 d. A.). Diese Überlegungen haben indes zu keiner Änderung der Bewertung des Tatvorwurfes geführt, wie die Vorladung des Beschuldigten vom 22.01.2020 (Bl. 117 d. A.) dokumentiert. Diesem ist darin bekanntgegeben worden, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB geführt werde. Dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Beiordnungsverfahrens nunmehr eine – wenngleich zutreffende – rechtliche Würdigung dahingehend, dass lediglich ein Tatverdacht wegen Sachbeschädigung bestehe, vornimmt, führt zu keinem Entfallen der Beiordnungsvoraussetzungen. Denn wenn die Tat nach Einordnung als Verbrechen im Laufe des weiteren Verfahrens anders beurteilt, bleibt die Verteidigung nach allgemeiner Ansicht gleichwohl notwendig (MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014 Rn. 13, StPO § 140 Rn. 13). Auch wenn dieser Grundsatz keine uneingeschränkte Anwendung entfaltet und vor dem Hintergrund der zeitlichen Vorverlagerung des Beiordnungsverfahrens ins Ermittlungsverfahren modifiziert werden muss, dürfte er aber jedenfalls gelten, wenn – wie hier – mit dem Vorwurf eines Verbrechens an den Beschuldigten herangetreten wird.“
Und dann habe ich auch noch einmal geforscht und gefunden: LG Magdeburg, Beschl. v. 15.05.2020 – 25 Qs 47 u. 48/20. Sorry Herr Kollege Gunkel, hätte ich dran denken können.