StGB II: Beleidigung?. oder: Beleidigungsfreie Sphäre

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In der zweiten Entscheidung des Tages geht es auch noch einmal um eine Verurteilung wegen Beleidigung.

Das KG hat in dem Zusammenhang im KG, Beschl. v. 14.07.2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) noch einmal zum Begriff der sog. „beleidigungsfreie Sphäre“ Stellung genommen.

Zur Tathandlung der Beleidigung hatte das LG  im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

„Der Angeklagte und der mit ihm befreundete Zeuge K waren im April 2018 Polizeimeisteranwärter in der Klasse xx der Polizeiakademie Berlin; die kollegial miteinander befreundeten Zeugen Z, R, S und L waren dort Polizeimeisteranwärter in der Parallelklasse yy. Als am Freitag, dem 6. April 2018, der Unterricht an der Polizeiakademie […] um etwa 15 Uhr endete, wollten die Anwärter, die sich nach dem Sportunterricht in ihren Zimmern im „Haus 3“ umgezogen hatten, das Akademiegelände verlassen und den Heimweg antreten. Die „Männerstuben“ der genannten Klassen befanden sich im ersten Stockwerk des Gebäudes, jene der Anwärterinnen im zweiten Stockwerk.

Die Polizeimeisteranwärterinnen Z und R liefen aus dem zweiten Stockwerk kommend gemeinsam die Treppe in dem Gebäude in Richtung des Ausgangs hinunter. Ihnen folgten etwa einen Treppenabsatz dahinter aus dem ersten Stockwerk kommend der Angeklagte und dessen Kollege und Freund, der Zeuge K. In einer Entfernung von etwa einem Meter hinter dem Angeklagten und dem Zeugen K ging – wie dem Angeklagten bewusst war – der Polizeimeisteranwärter und Zeuge S, ein befreundeter Klassenkollege der beiden Zeuginnen, die Treppe hinunter; er war hinter dem Angeklagten und seinem Begleiter aus dem Bereich der „Männerstuben“ zur Treppe gegangen. Ein Stück hinter ihm folgte der Zeuge L. S und L hatten mit der Zeugin R vereinbart, dass diese beide mit ihrem Auto ein Stück des Heimwegs mitnehmen würde.

Der Angeklagte äußerte in dieser Situation gegenüber dem Zeugen K in normaler Sprechlautstärke mit Blick auf eine der beiden vor ihnen laufenden Zeuginnen: „Der würd’ ich geben, der Kahba“. Damit brachte er in jugendlicher Vulgärsprache zum Ausdruck, er würde gerne mit „der Kahba“ geschlechtlich verkehren. Das Wort „Kahba“ ist arabisch und bedeutet „Schlampe“ oder „Prostituierte“ und wird mit dieser Bedeutung in der deutschen Jugendsprache – insbesondere in der Rap-Musik – verwendet; in diesem abwertenden Sinne und mit der Zielrichtung, seine Missachtung gegenüber der von ihm gemeinten Frau auszudrücken, verwendete der Angeklagte das Wort „Kahba“. Zusätzlich wies er mit einem Nicken und einer Armbewegung in Richtung der beiden Zeuginnen. Der Zeuge S hörte die an den Zeugen K gerichtete Bemerkung des Angeklagten, wie dieser billigend in Kauf genommen hatte, und sah die Gesten in Richtung der Zeuginnen…“

Das hatte das LG wie folgt gewürdigt.

„In Bezug auf die – für die Strafzumessung möglicherweise relevante und vom Revisionsführer ausdrücklich angegriffene – Feststellung, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Zeuge S zum Zeitpunkt der Tat etwa einen Meter hinter ihm ging, er habe billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge S die hier verfahrensgegenständliche Beleidigung hören werde, begegnet die Beweiswürdigung nach den maßgeblichen Rechtsgrundsätzen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16 – [juris] m.w.N.; Senat, Beschluss vom 29. November 2019 – [4] 161 Ss 115/19 [203/19] – m.w.N.) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat sich insoweit im Wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten lassen:

„Die Feststellungen der Strafkammer, dass dem Angeklagten bewusst war, dass der Zeuge S direkt hinter ihm ging, und dass er billigend in Kauf nahm, dass auch der Zeuge S seine Äußerung gegenüber dem Zeugen K hören konnte, fußt insbesondere auf einer Würdigung der festgestellten Personenanordnung auf der Treppe im Zeitpunkt des Ausspruchs durch den Angeklagten in Zusammenschau mit der festgestellten Sprechlautstärke.

aa) Zwar ging der Zeuge S hinter dem Angeklagten und war dessen Augenmerk nach den Feststellungen auf die vor ihm gehenden Zeuginnen Z und R gerichtet, dennoch schließt die Strafkammer es mit Blick insbesondere auf die Wahrnehmungen der Zeuginnen Z und R, die die Personenanordnung auf der Treppe übereinstimmend mit den Zeugen S und L übereinstimmend derart beschrieben haben, dass sie beide vor dem Angeklagten und dem Zeugen K die Treppe hinunter liefen und diesen in geringem Abstand der Zeuge S und diesem der Zeuge L folgten, aus, dass dem Angeklagten nicht bewusst war, dass S nur etwa einen Meter hinter ihm lief, als er die Äußerung gegenüber K tätigte. In der Situation des Dienstschlusses an der Polizeiakademie für jedenfalls zwei Anwärterklassen war die Anwesenheit weiterer Polizeischüler auf dem Weg von den Stuben zum Ausgang selbstverständlich; es kann dem Angeklagten hier mit Blick auf den geringen Abstand, in dem S hinter ihm lief, nicht verborgen geblieben sein, dass unmittelbar hinter ihm eine weitere Person – der Zeuge S – die Treppe hinabging.

bb) Aus dem Umstand, dass sich der Angeklagte in normaler Sprechlautstärke wie festgestellt äußerte, schließt die Strafkammer, dass er billigend in Kauf nahm, dass S den Ausspruch hören würde. Denn die Hauptverhandlung hat keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür ergeben, dass der Angeklagte darauf hätte vertrauen können, der unmittelbar hinter ihm gehende S höre das in normaler Sprechlautstärke Gesagte nicht. Es blieb in der festgestellten Konstellation – wie dem Angeklagten mit Blick auf die Personenanordnung und insbesondere den geringen Abstand zum Zeugen S bewusst war – dem Zufall überlassen, ob S die Äußerung hören oder aber nicht wahrnehmen würde.“

Und das KG meint:

„Der Revisionsführer beanstandet zu Recht, dass die Schlussfolgerung des Landgerichts in Bezug auf den bedingten Vorsatz hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Äußerung durch den Zeugen S auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage beruhte.

Die Tatsache, dass sich der Zeuge S zum Zeitpunkt der beleidigenden Äußerung etwa einen Meter hinter dem Angeklagten befand, rechtfertigt nicht den von der Strafkammer gezogenen Schluss, dass dem Angeklagten die Anwesenheit des Zeugen S „nicht verborgen geblieben sein kann“. Es gibt keinen Erfahrungssatz, der besagt, dass man eine Person, die im Abstand von einem Meter auf einer Treppe folgt, immer wahrnimmt. Zutreffend beanstandet der Revisionsführer, dass die Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Angeklagte den Zeugen S auf andere Weise als optisch hätte wahrnehmen können, etwa durch lautes Trampeln, vom Zeugen S geführte Gespräche oder andere sensorische Wahrnehmungen. Eine optische Wahrnehmung ließ sich jedoch gerade nicht nachweisen, weil der Blick und die Aufmerksamkeit des Angeklagten nach vorn gerichtet waren.

Soweit die Strafkammer „insbesondere mit Blick auf die Wahrnehmungen der Zeuginnen Z. und R“ ausschließt, dass dem Angeklagten nicht bewusst gewesen sei, dass der Zeuge S nur etwa einen Meter hinter ihm ging, teilt sie lediglich das Ergebnis der Wahrnehmungen der Zeuginnen (nämlich die Personenanordnung auf der Treppe) mit, ohne darzulegen, auf welche Weise die Zeuginnen ihre Wahrnehmungen gemacht haben. Nach den Feststellungen liefen die Zeuginnen etwa einen Treppenabsatz vor dem Angeklagten nach unten. Naheliegend ist, dass sich die Zeuginnen umdrehten und die Treppe nach oben blickten, weil sie Ausschau nach den Zeugen S und L hielten, mit denen sie verabredet waren. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeuginnen die Personenanordnung auf der Treppe auf andere Weise als durch einen Blick nach oben wahrnahmen, bieten die Urteilsgründe jedenfalls nicht. Wenn jedoch die Zeuginnen die Personenanordnung auf der Treppe durch einen Blick nach oben wahrnahmen, erklärt dies nicht, weshalb der nach vorn schauende und seine Aufmerksamkeit nach vorn richtende Angeklagte gewusst haben muss, dass der Zeuge S hinter ihm lief.

Auch die Tatsache, dass der Angeklagte sich in „normaler Sprechlautstärke“ (somit keineswegs besonders laut) äußerte, trägt die Schlussfolgerung auf einen bedingten Vorsatz nicht. Denn auch insoweit argumentiert die Strafkammer damit, dass der Angeklagte schließlich wusste, dass sich der Zeuge S nur einen Meter hinter ihm befand. Dieses Wissen ist jedoch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

Die Argumentation, in Anbetracht des Dienstschlusses zweier Anwärterklassen sei die Anwesenheit weiterer Polizeischüler im Treppenhaus selbstverständlich gewesen, greift zu kurz. Die Feststellungen belegen nicht, dass sich zur Tatzeit so viele Personen im Treppenhaus aufhielten, dass es selbstverständlich war, dass sich andere Personen nicht nur ebenfalls im Treppenhaus aufhielten, sondern sich darüber hinaus auch in unmittelbarer Hörweite befanden. Der ebenfalls im Treppenhaus in der Nähe des Angeklagten befindliche Zeuge L hat die Äußerung gerade nicht gehört. Die Anwesenheit weiterer Personen in Treppenhaus belegt somit noch nicht, dass die Äußerung zwangsläufig für andere Personen im Treppenhaus zu hören war.

Den Feststellungen lässt sich nicht – auch nicht näherungsweise – entnehmen, wie viele Personen sich zur Tatzeit im Treppenhaus aufhielten. Die Größe der Anwärterklassen wird nicht mitgeteilt. Zudem weisen die Feststellungen gerade nicht aus, dass sich nach Beendigung der letzten Unterrichtseinheit alle Anwärter sofort ins Treppenhaus begaben, was eine gleichzeitige Anwesenheit aller Anwärter im Treppenhaus nahe legt. Vielmehr begaben sich die Anwärter nach dem Sportunterricht zurück in ihre Stuben und zogen sich um. Hierfür dürften sie nicht exakt dieselbe Zeit benötigt haben. Eher dürfte es zu einer gewissen zeitlichen Dehnung beim Verlassen der Stuben gekommen sein, so dass sich die gleichzeitige Anwesenheit aller Anwärter im Treppenhaus – und damit eine zwangsläufige Anwesenheit weiterer Personen in unmittelbarer Hörweite – nach den Feststellungen jedenfalls nicht aufdrängt.“

Der Senat hebt daher die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf den Zeugen S auf. Die übrigen Feststellungen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen, sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die neue Strafkammer ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.“

 

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