Verdachtsberichterstattung, oder: Wann ist sie wie ggf. zulässig?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute mal etwas ganz Anderes. Im BGH, Urt. v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – hat der BGH im Anschluss an im Anschluss an das BGH, Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, – zur rechtlichen Bewertung einer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren begleitenden identifizierenden Verdachtsberichterstattung Stellung genommen, wenn der Betroffene im Verlauf des Unterlassungsklageverfahrens wegen der Straftat rechtskräftig verurteilt wird.

Folgender Sachverhalt:

„Der Kläger nimmt die Beklagten auf Unterlassung einer identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung, die Beklagte zu 1 zusätzlich auf Erstattung der Kosten eines Abschlussschreibens in Anspruch.

Der Kläger ist Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. und war seit dem Jahr 2011 Mitglied der Gemeindevertretung in R. im Odenwald. Für die Kommunalwahlen in Hessen im März 2016 kandidierte er für die CDU R. auf Listenplatz 1. Am 12. Januar 2016 durchsuchte die Kriminalpolizei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen die Wohn- und Kanzleiräume des Klägers. Am 13. Januar 2016 legte der Kläger sein Mandat in der Gemeindevertretung mit sofortiger Wirkung nieder und kündigte an, ein etwaiges neues Wahlmandat nicht anzunehmen. Die Beklagte zu 1 veröffentlichte am 15. Januar 2016 auf ihrem Online-Portal „www.bild.de“ einen Artikel des Beklagten zu 2 unter der Überschrift „C[…(Vorname)] S[…(Nachname des Klägers)] soll 14-Jährige für SM-Sex bezahlt haben. CDU-Politiker unter Missbrauchs-Verdacht“. In diesem Artikel wird einleitend ein über die gesamte Breite und etwa ein Drittel der Höhe der Seite gehendes Porträtfoto des Klägers gezeigt; die Bildzuschrift lautet: „Strafverteidiger, Wirtschafts-Jurist und CDU-Politiker: C[…] S[..] (30) drohen bis zu 5 Jahre Knast“. In dem Text heißt es unter weiter voller Namensnennung:

„Er gilt als honoriger Frankfurter Jurist und aufstrebender hessischer Kommunal-Politiker, steht für die CDU R[…] (voller Ortsname) (Odenwald) auf Listenplatz 1 für die Kommunalwahl. Im Beruf ist er Strafrechtler, führt große Wirtschafts-Prozesse. Doch jetzt droht C[…] S[…] (30) selbst die Anklagebank – weil er eine 14-Jährige missbraucht haben soll! BILD erfuhr, welch unfassbare Taten dem smarten Juristen vorgeworfen werden: C[…] S[…] soll auf einer Dating-Plattform im Internet eine 14-Jährige zu Sex-Treffen aufgefordert haben. Mehrmals soll der Kommunalpolitiker die Jugendliche missbraucht haben, für widerwärtige SM-Praktiken Geld gezahlt haben. Als die Schülerin nicht mehr mitmachen wollte, soll S[…] sie mit Nackt- und SM-Fotos erpresst haben. Das Mädchen offenbarte sich, der Vater erstattete Strafanzeige. Auf Beschluss der Frankfurter Staatsanwaltschaft durchsuchten K 62-Fahnder („Organisierte Kriminalität“) Privaträume des Rechtsanwaltes und seine Kanzlei in der K[…(voller Straßenname)]straße. […] Was sagt C[…] S[…] zu den Vorwürfen? Trotz Anrufs war er für BILD nicht erreichbar.“

Gegen Ende des Artikels ist ein weiteres Foto in kleinerem Format eingerückt, das die Straßenansicht eines Geschäfts- und Bürogebäudes zeigt. Die Bildzuschrift hierzu lautet: „Dienstag durchsuchten Ermittler für Organisierte Kriminalität die Kanzlei in der K[…]straße“.

Der Kläger erwirkte im Februar 2016 im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte zu 1 die Untersagung der Berichterstattung. Der Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung kam die Beklagte zu 1 nur teilweise nach.

Das Landgericht (veröffentlicht in AfP 2017, 453; ZUM 2018, 554; juris) hat der Unterlassungsklage stattgegeben und den Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, untersagt, den Kläger im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Missbrauchs und der Erpressung einer Minderjährigen wie geschehen identifizierbar bzw. erkennbar zu machen / machen zu lassen. Die Beklagte zu 1 hat es zusätzlich verpflichtet, die Kosten des Abschlussschreibens zu erstatten. Während des Berufungsverfahrens erging gegen den Kläger wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ein Strafbefehl über 90 Tages- sätze und wurde rechtskräftig. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Ziel der Klagabweisung weiter. In der Revisionsverhandlung hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich der Wortberichterstattung einseitig für erledigt erklärt.

In seienen rechtlichen Ausführungen meint der BGH u.a.:

„1. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch mehr aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, die Verbreitung der Wortberichterstattung zu unterlassen. Es fehlt seit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils an der entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Wiederholungsgefahr, weil die angegriffenen Äußerungen nunmehr rechtlich zulässig sind……

bb) Wird wahrheitsgemäß über die Begehung einer Straftat durch einen identifizierbaren Täter berichtet, ist zu berücksichtigen, dass solche Taten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 Rn. 111). Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (vgl. Senatsurteile vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 18 mwN; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 38; vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, NJW 2010, 2432 Rn. 17; vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 14; BVerfG NJW 2009, 3357 Rn. 18; jeweils mwN). Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters verdient für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird (Senatsurteile vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2018, 1881 Rn. 14; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 39; vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, NJW 2010, 2432 Rn. 18; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 19; vgl. auch EGMR, NJW 2012, 1058, 1060 Rn. 83). Dies schließt eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifizierung des verurteilten Täters dann ein, wenn die damit verbundene Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens oder zu seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit steht; letztere kann sich unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität auch aus den Besonderheiten in der Person oder Stellung des Täters, der Art der Tat oder des Tathergangs ergeben (vgl. Senatsurteile vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, NJW 2013, 229 Rn. 19; vom 15. November 2005 – VI ZR 286/04, NJW 2006, 599 Rn. 16 mwN; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 20). Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinnt aber das Interesse des Täters, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmende Bedeutung. Das Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des Straftäters. Allerdings führt selbst die Verbüßung einer Strafe nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat „allein gelassen zu werden“. Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen beeinträchtigt wird (Senatsurteile vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, VersR 2019, 1225 Rn. 22; vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2018, 1881 Rn. 16; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 40; BVerfG NJW 2009, 3357 Rn. 21). Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist auch zu berücksichtigen, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheidet zwischen Politikern („politicians/personnes politiques“), sonstigen im öffentlichen Leben oder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Personen („public figures/personnes publiques“) und Privatpersonen („ordinary persons/personnes ordinaires“), wobei einer Berichterstattung über letztere engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger Personen des öffentlichen Lebens gezogen sind und der Schutz der Politiker am schwächsten ist (vgl. Senatsurteil vom 9. April 2019 – VI ZR 533/16, NJW-RR 2019, 1134 Rn. 14 [Bild]; vgl. EGMR, GRUR 2012, 745 Tz. 110 [Bild]; EGMR, NJW 2015, 1501 Rn. 54 [Wort]).

c) Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG setzt neben der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts materiellrechtlich eine Wiederholungsgefahr voraus. Wenn sie entfällt, erlischt auch der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch. Eine rechtswidrige Beeinträchtigung in der Vergangenheit begründet in der Regel die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung fällt indes weg, wenn durch die Veränderung tatsächlicher Umstände nunmehr die Berichterstattung als rechtlich zulässig zu beurteilen ist. Wer in der Vergangenheit in seinen Rechten verletzt wurde, hat keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt (vgl. Senatsurteile vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, VersR 2019, 1225 Rn. 23 [Wort], Rn. 35 [Bild]; vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 31 [Wort]; vom 19. Oktober 2004 – VI ZR 292/03, NJW 2005, 594, 595, juris Rn. 17 f. [Bild]).

d) Gemessen an diesen Grundsätzen besteht kein Unterlassungsanspruch mehr gegen die Verbreitung der Wortberichterstattung, weil diese inzwischen rechtlich zulässig ist und deshalb eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht. Die notwendige Abwägung kann der Senat selbst vornehmen, weil keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind…..“

Rest der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen…..

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