Gestern frisch rein gekommen ist der OLG Celle, Beschl. v. 06.02.2019 – 2 Ws 37/19. Der nimmt zu einer für die Praxis des Rechts der Pflichtverteidigung wichtigen Frage Stellung. Denn welcher Verteidiger kennt ihn nicht: Den Streit mit der Staatskasse in den Fällen der sog. einvernehmlichen Umbeiordnung, wenn „umbeigeordnet“ wird unter der Vorgabe: „Keine Mehrkosten für die Staatskasse“? Dann wird nicht selten später mit dem Kostenbeamten darum gestritten, was denn nun „Mehrkosten“ sind. Die Vertreter der Staatskasse tendieren dann dahin zu sagen: Alles oder so viel wie möglich.
Das sieht das OLG Celle nun anders, und zwar in folgender Sachverhaltskonstellation:
Das AG Hannover hat einen ortsansässigen Verteidiger zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Diesen hat das AG später entpflichtet und einen anderen (Wahl)Pflichtverteidiger beigeordnet, der seinen Kanzleisitz in G. hat, unter dem Hinweis, dass durch die Umbeiordnung entstehende Mehrkosten nicht erstattet werden. Dagegen hatte der Pflichtverteidiger Beschwerde eingelegt, die aber u.a. mit der Begründung verworfen worden ist, dass die erfolgte Umbeiordnung nur möglich gewesen sei, wenn der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung beantragt der Verteidiger die Gebührenfestsetzung in Höhe von 1.265,92 €. Durch Entscheidung der Kostenbeamtin vom 19.09.2018 wurden auf diesen Antrag 785,40 € festgesetzt und angewiesen, wobei Fahrtkosten für drei Hauptverhandlungstermine in Höhe von jeweils 99,60 € (Nr. 7003 VV RVG) und Abwesenheitsgeld in Höhe von einmal 25 € (Nr. 7005/1 VV RVG) und zweimal 40 € (Nr. 7005/2 VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer in Abzug gebracht wurden. Diese Kostenpositionen seien lediglich durch die Umbeiordnung entstanden, da der Verteidiger aus G. komme und nicht wie der vormalige Verteidiger aus H. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das Erfolg hatte.
„Zutreffend stellt die Kammer im Ausgangspunkt darauf ab, dass sich der Vergütungsanspruch nach dem Beiordnungsbeschluss bestimmt, § 48 Abs. 1 RVG. Durch diesen wurde vorliegend eine Erstattung der durch die Umbeiordnung entstandenen Mehrkosten ausgeschlossen. Von dem auslegungsfähigen Begriff der „Mehrkosten“ sind die hier geltend gemachten Positionen der Fahrtkosten und des Abwesenheitsgeldes jedoch nicht erfasst. Mit dem Begriff der Mehrkosten werden Fiskalinteressen geschützt: Der Fiskus soll durch den Sinneswandel des Beschuldigten nicht belastet werden. Die so zu schützenden Fiskalinteressen reichen aber nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (OLG Oldenburg, Beschlüsse vom 21.03.2017, 1 Ws 122/17 und vom 23.04.2015, 1 Ws 170/15). Angesichts der durch das 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.07.2009 erfolgten Streichung der früheren gesetzlichen Einschränkung, dass der Verteidiger möglichst aus der Zahl der örtlichen Rechtsanwälte ausgewählt werden sollte, ist die Gerichtsnähe des Verteidigers keine wesentliche Voraussetzung mehr (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, § 142, Rn. 5; vgl. Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage, 2013, § 142, Rn. 5). Zwar kann der ortsferne Kanzleisitz des gewählten Verteidigers nach wie vor im Einzelfall einen Grund darstellen, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen. Im Bestellungsverfahren tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung aber grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001, 2 BvR 1152/01; BGH, Beschluss vom 17.07.1997, 1 StR 781/96; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.01.2006, 2 Ws 5/06). Der Umstand der Ortsferne steht nur dann der Bestellung entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten bzw. der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2014, 1 Ws 162/14). Unter Berücksichtigung dieser Wertung ist der Begriff der „Mehrkosten“ dahingehend zu verstehen, dass diejenigen Gebührenpositionen ausgeschlossen werden sollen, die durch die Umbeiordnung doppelt entstehen und damit den Fiskus „ohne wichtigen Grund“ i.S.d. Widerrufsmöglichkeit einer Bestellung nach § 143 StPO belasten würden. Im Übrigen wäre das „nachträgliche“ Entstehen von Fahrtkosten auch bei einer im Laufe des Strafverfahrens eingetretenen beruflichen Veränderung eines von Beginn an beigeordneten Verteidigers denkbar, etwa bei einem Kanzlei- und damit verbundenen Bezirkswechsel.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Beschluss vom 23.04.2015 (1 Ws 170/15) bei der Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einen Vergleich der räumlichen Entfernungen zwischen Gericht und dem Kanzleiort des Verteidigers sowie der Größe des Landgerichtsbezirks vorgenommen hat. Denn hiermit hat das Oberlandesgericht seine Einzelfallentscheidung lediglich dahingehend begründet, dass der Umstand der Ortsferne im dortigen Einzelfall gerade keine Gefährdung der sachdienlichen Verteidigung und des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs darstellt. Sofern das Landgericht darauf abstellt, dass diese Argumentation nicht übertragbar sei, weil der Amtsgerichtsbezirk Hannover deutlich kleiner sei als der Landgerichtsbezirk Osnabrück und dementsprechend vergleichbare Reisekosten bei der Auswahl eines ortsansässigen Verteidigers nicht entstünden und deshalb der (umfassend verstandene) Mehrkostenausschluss angemessen sei, folgt der Senat dem nicht. Denn der bloße Vergleich der Höhe der Reisekosten entbindet das Gericht nicht von der Prüfung der Beiordnung nach den oben genannten Grundsätzen. Andernfalls wäre eine erhebliche Einschränkung dieser Grundsätze zur Verteidigerauswahl gegeben, weil dann faktisch lediglich noch Beiordnungen von Rechtsanwälten aus dem Bezirk des Amtsgerichts Hannover in Betracht kämen.
Die Auffassung des Landgerichts, dass nur ein (umfassend verstandener) Mehrkostenausschluss den hinreichenden Schutz der Fiskalinteressen gewährleiste und damit eine missbräuchliche Anwendung verhindere, teilt der Senat nicht. Gerade im Hinblick auf eine missbräuchliche Anwendung gilt die freie Auswahlmöglichkeit hinsichtlich des zu bestellenden Pflichtverteidigers für den Beschuldigten nicht unbegrenzt, sondern das Kriterium der Ortsnähe ist noch immer in die Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einzubeziehen und kann in einem entsprechenden Einzelfall einer Bestellung entgegenstehen.“
M.E. für den Sachverhalt richtig. Man kann natürlich darum streiten, ob die Einschränkung „keine Mehrkosten“ überhaupt zulässig ist, aber der Streit bringt m.E. nichts. Die h.M. in der Rechtsprechung geht in die andere Richtung. Interessant auch die Ausführungen des OLG zum Kriterium „Ortsnähe“ – „in einem entsprechenden Einzelfall einer Bestellung entgegenstehen“. Generell also nicht (mehr).