Unfallschadenregulierung: Wann ist anwaltliche Hilfe gegenüber dem eigenen Unfallversicherer erforderlich?

Der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog hat gestern bereits über das das OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.07.2018 – 4 U 26/17 – berichtet. Ich greife, da ich derzeit wenig „gebührenrechtliches“ Material habe, den „Hinweis“ auf und stelle die Entscheidung heute dann auch vor. Ist für den Verkehrsrechtler vielleicht ganz interessant, wenn auch nicht positiv.

Entschieden hat das OLG über den Ersatz von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nach einem Verkehrsunfall. Es hat den Ersatz der für die Meldung von Ansprüchen gegenüber dem eigenen privaten Unfallversicherer angefallenen Rechtsanwaltsgebühren verneint.

Datzu führt das OLG aus:

„4. Die Berufung beanstandet allerdings mit Recht, dass das Landgericht die Beklagte auch zur Erstattung der im Zusammenhang mit der Anmeldung von Ansprüchen gegenüber dem privaten Unfallversicherer angefallenen Anwaltskosten des Klägers verurteilt hat.

a) Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen und adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten (BGH NJW 2006, 1065 Rn. 5). Teil der Schadensabwicklung ist auch die Entscheidung, den Schadensfall einem Versicherer zu melden. Die für die Anmeldung des Versicherungsfalls bei dem eigenen Versicherer anfallenden Rechtsverfolgungskosten können daher ersatzfähig sein, wenn sie adäquat kausal auf dem Schadensereignis beruhen und die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter den Umständen des Falls aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH NJW 2006, 1065 Rn. 6; 2017, 3527, 3528 Rn. 10). Maßgeblich ist die ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGHZ 127, 348, 351; BGH NJW 2015, 3793, 3794 Rn. 8).

aa) Die Anwaltskosten des Geschädigten für die Geltendmachung des Schadens bei seinem Kaskoversicherer sind nicht erstattungsfähig, wenn es sich um einen einfach gelagerten Fall handelt, der Geschädigte die ihm entstandenen Schäden gegenüber dem beklagten Haftpflichtversicherer zunächst selbst und ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts geltend gemacht hat und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kaskoversicherer seine Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag in Abrede stellen würde (BGH NJW 2012, 2194 Rn. 10). Allein der Umstand, dass bei der späteren Regulierung durch den Kaskoversicherer auch ein Quotenvorrecht des Geschädigten zu berücksichtigen sein kann, reicht nicht aus, um aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Kaskoversicherer zu begründen (BGH NJW 2017, 3527, 3528 Rn. 13).

bb) Im Falle der Verletzung einer Person ist die Grenze der Ersatzpflicht dort zu ziehen, wo die Aufwendungen des Geschädigten nicht mehr allein der Wiederherstellung der Gesundheit, dem Ersatz entgangenen Gewinns oder der Befriedigung vermehrter Bedürfnisse dienen. Dies kann der Fall sein, wenn der Geschädigte Kosten aufwendet, um von seinem privaten Unfallversicherer Leistungen zu erhalten, die den von dem Schädiger zu erbringenden Ersatzleistungen weder ganz noch teilweise entsprechen. Das ist zu erwägen, wenn dem Geschädigten nach den Vertragsbedingungen seiner Unfallversicherung ein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung zusteht, insoweit ein Ersatzanspruch – etwa unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs vermehrter Bedürfnisse – gegen den Schädiger nach Lage des Falles aber nicht besteht (BGH NJW 2006, 1065 Rn. 7). Eine Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten kann im Einzelfall aber auch dann in Betracht kommen, wenn es an einer derartigen Entsprechung zwischen der Leistung des eigenen Versicherers und dem vom Schädiger zu ersetzenden Schaden fehlt. Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn der Geschädigte etwa aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden bei seinem Versicherer selbst anzumelden (BGH NJW 2006, 1065 Rn. 8). Das ist im Einzelfall zu bejahen, wenn der Geschädigte auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage gewesen ist, sich selbst um die Geltendmachung und Wahrung seiner Ansprüche zu kümmern, weil er sich für längere Zeit in stationärer Krankenhausbehandlung befand (vgl. BGH NJW 2006, 1065, 1066 Rn. 9).

b) Nach diesen Grundsätzen besteht entgegen der Auffassung des Landgerichts kein Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten.

aa) Dass dem Kläger nach den Vertragsbedingungen seiner Unfallversicherung ein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung zusteht, insoweit ein Ersatzanspruch – etwa unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs vermehrter Bedürfnisse – gegen die Beklagte nach Lage des Falles aber nicht besteht, hat das Landgericht nicht feststellen können. Es hat zutreffend ausgeführt, dass insoweit nichts vorgetragen sei (Bd. I Bl. 167 d. A. unten). Die Berufungserwiderung (und Anschlussberufung) bringt dagegen nichts vor (vgl. Bd. II Bl. 227 d. A.).

bb) Auch die zweite Alternative, nämlich dass der Kläger auf Grund von Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage gewesen wäre, den Schaden bei seinem Versicherer selbst anzumelden, ist nicht gegeben.

(1) Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger aus Gründen der Krankheit bzw. Abwesenheit nicht in der Lage gewesen sei, den Schaden bei seinem Versicherer anzumelden. Zudem sei auf Grund des Gutachtens des Universitätsklinikums in Homburg vom 16.03.2015 und der Parteianhörung des Klägers von einer Arbeitsunfähigkeit bis zum Oktober 2012 auszugehen. Es erscheine durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger sich schon auf Grund seiner Krankenhausaufenthalte veranlasst gesehen habe, sich anwaltlicher Hilfe zur Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung zu bedienen, zumal es sich um für einen versicherungsrechtlichen Laien nicht unmittelbar durchschaubare Ansprüche gehandelt habe, was z. B. die Berechnung von Ansprüchen nach der Gliedertaxe angehe. Außerdem seien Fristen zu beachten. Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe erscheine daher sinnvoll (Bd. I Bl. 168 d. A.).

(2) Dem folgt der Senat nicht.

(2.1) Entgegen dem Schlusssatz des Landgerichts kommt es bei der Prüfung der Ersatzpflicht des Schädigers bzw. des gegnerischen Haftpflichtversicherers nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe sinnvoll erscheint, sondern ob sie in der ex-ante-Sicht notwendig ist. Letzteres ist hier zu verneinen. Der Kläger erlitt unfallbedingt eine mehrfragmentäre Femurfraktur (d. h. Oberschenkelbruch) linksseitig und befand sich seit dem Unfallzeitpunkt am 17.05.2012 in stationärer Krankenhausbehandlung (Bd. I Bl. 132 d. A.). Er wurde nach regelrechtem postoperativem Verlauf am 01.06.2012 in die weitere Behandlung mit anschließender Rehabilitation entlassen (Bd. I Bl. 132 d. A.). In dem Aufforderungsschreiben an die Beklagte vom 03.06.2015 heißt es, dass die Mandatsanzeige und Anmeldung gegenüber dem Unfallversicherer mit Schreiben vom 01.06.2012 erfolgt sei (Bd. I Bl. 52 d. A.). Die Anspruchsanmeldung gegenüber dem Unfallversicherer hätte der soeben aus der stationären Behandlung entlassene Kläger in diesem Zeitpunkt also ohne Weiteres selbst fernmündlich, in elektronischer oder schriftlicher Form bewirken können.

(2.2) Aus dem Anwaltsschreiben an den privaten Unfallversicherer vom 01.06.2012 geht hervor, dass der Kläger seinem Anwalt offenbar einen mit Schreiben des Unfallversicherers vom 24.05.2012 übermittelten Fragebogen zur Erledigung übersandt hatte (Bd. I Bl. 47 d. A.). Das Ausfüllen eines bloßen Fragebogens hätte der beinverletzte Kläger aber ohne Weiteres selbst übernehmen können.

(2.3) Auch den vom Landgericht herangezogenen Erklärungen des Klägers im Rahmen der Parteianhörung lässt sich nichts entnehmen, was ihn daran gehindert hätte, ab dem 01.06.2012 seine Ansprüche gegenüber dem privaten Unfallversicherer selbst anzumelden (Bd. I Bl. 152 f. d. A.). Auf die infolge der Rehabilitationsphase nach dem Oberschenkelbruch attestierte Arbeitsunfähigkeit bis Oktober 2012 kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht entscheidend an; denn dieser Gesundheitszustand hinderte den Kläger offensichtlich nicht am Telefonieren oder Schreiben.

(2.4) Auf die Berechnung von Ansprüchen nach der Gliedertaxe oder die Einhaltung von Fristen kam es im Zeitpunkt der bloßen Anmeldung von Ansprüchen gegenüber dem Unfallversicherer nicht an. Zur Ersatzfähigkeit der Anwaltskosten für die Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass allein der Umstand, dass bei der späteren Regulierung durch den Kaskoversicherer auch ein Quotenvorrecht des Geschädigten zu berücksichtigen sein kann, nicht ausreicht, um aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Kaskoversicherer zu begründen, wenn diese erste Tätigkeit lediglich in der Übersendung bereits vorhandener Unterlagen bestanden hat (BGH NJW 2017, 3527, 3528 Rn. 13). Wird in einem solchen Fall eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt im späteren Verlauf erforderlich, führt die zu frühe Einschaltung des Rechtsanwalts – für sich genommen – nicht notwendig zu einem vollständigen Ausschluss des gemäß § 287 ZPO frei zu schätzenden Schadens wegen der Rechtsverfolgungskosten (BGH NJW 2017, 3527, 3528 Rn. 14). Auch für ein späteres Erforderlichwerden der Beauftragung eines Rechtsanwalts gegenüber dem Unfallversicherer ist hier nichts ersichtlich. In dem weiteren Aufforderungsschreiben an die Beklagte vom 03.06.2015 heißt es, dass von Seiten des Unfallversicherers Leistungen im Rahmen der bestehenden Versicherung gewährt worden seien (Bd. I Bl. 52 d. A.). Auch wenn das dort als Anlage erwähnte Schreiben der … pp. Versicherung AG vom 22.04.2015 im vorliegenden Rechtsstreit nicht eingereicht worden ist, kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass und aus welchen Gründen die spätere Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung von Ansprüchen aus der privaten Unfallversicherung erforderlich geworden wäre.“

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