Geldregen I: Anwaltshonorar von mehr als 20.000 EUR in einer Kindschaftssache, oder: Sittenwidrig?

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Heute also dann der letzte Arbeitstag vor Weihnachten. Allmählich wird es auch ruhiger, man merkt es am abnehmenden Emailverkehr. Da habe ich mich natürlich als Blogger gefragt: Was bringt man noch an dem Tag? Nicht Aufsehenerregendes, interessiert so oder so keinen mehr. Aber auch nichts „Schlimmes“, man will ja die Stimmung nicht versauen. Da bleibt dann nicht mehr so ganz viel.

Aber es gibt dann doch etwas, mit dem man die Berichterstattung vor Weihnachten ausklingen lassen kann, und zwar m.E. mit positiven gebührenrechtlichen Entscheidungen. Zwei will ich dann vorstelle. Eine jetzt und die andere noch im Mittagsposting – und sie sind nicht nur für Strafverteidiger pp. interessant.

Die erste Entscheidung ist das BGH, Urt. v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14– in dem sich der BGH noch einmal mit der anwaltlichen Vergütungsvereinbarung befasst. Es ging um die Frage, ob eine vereinbarte Vergütung sittenwidrig war und ob eine unangemessen hohe Vergütung im Sinne von § 3 a Abs. 2 RVG vorlag, welche dann hätte herabgesetzt werden können. Zum Sachverhalt:

In einer Kindschaftssache kam es zwischen den Klägern und dem beklagten Rechtsanwalt zur Vereinbarung eines Pauschalhonorars in Höhe von 20.000 EUR für die Vertretung der Kläger „in der Sache unseres Pflegekindes […] bezüglich aller sich hieraus ergebenden Sach- und Rechtsfragen“ für die erste Instanz zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer. Der Beklagte vertrat die Kläger in einer Besprechung mit dem Jugendamt, in zwei – für die Kläger erfolgreichen – familienrechtlichen Verfahren vor dem AG und in einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Die hierfür entstandenen gesetzlichen Gebühren betrugen nach einem im Rechtsstreit eingeholten Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammer insgesamt 3.733,03 €. Der Beklagte rechnete einen Gesamtbetrag von 24.581,50 € ab, den die Kläger vollständig bezahlten. Sie verlangen diese nun zurück. Sie hatten mit ihrer Klage keinen Erfolg.

Die Leitsätze des BGH:  

  1. Ob ein für die Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung sprechendes auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht, hängt davon ab, welche Vergütung nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit marktangemessen und adäquat ist. Die gesetzlichen Gebühren stellen hierbei ein Indiz dar.
  2. Die tatsächliche Vermutung, dass ein Honorar unangemessen hoch ist, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 5-fache übersteigt, gilt auch für zivilrechtliche Streitigkeiten. Der Anwalt kann die Vermutung entkräften.

Folgende Anmerkungen: Der BGH hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB verneint. Eine Vergütungsabrede seinach ständiger Rechtsprechung gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis bestehe und weitere Umstände hinzutreten, welche die Sittenwidrigkeit begründen. Für die Frage, ob ein Missverhältnis bestehe, komme es zunächst auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das gelte nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. BGHZ 162, 98, 101; 184, 209) auch für ein mit einem Anwalt vereinbartes Pauschalhonorar in einem Zivilrechtsstreit. Für die Frage, ob ein für Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliege, sei stets der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Eine aufwandsangemessene Vergütung verletzedie guten Sitten nicht. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert könne auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteige, angemessen sein. Dies gelte erst recht wenn – wie im Streitfall – sich die Höhe der Gebühren nach einem Gegenstandswert richte, der unabhängig von der Schwierigkeit der Sache und dem erforderlichen Aufwand ist, weil das Gesetz einen Fest- oder Regelbetrag vorseh (hier: 3.000 €, § 45 Abs. 1 FamGKG).

Nach Auffassung des BGH hatte das OLG auch rechtsfehlerfrei eine Herabsetzung der vereinbarten Vergütung gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 RVG ausgeschlossen worden. Das vereinbarte Pauschalhonorar war nicht unangemessen hoch. Die in der Rechtsprechung des BGH für die Honorare von Strafverteidigern aufgestellte Vermutung, dass dies der Fall ist, wenn das Honorar die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 5-fache übersteigt (grundlegend BGHZ 162, 98, 107; BGH NJW 09, 3301) gilt auch für Honorare in zivilrechtlichen Streitigkeiten.

Auf folgende Punkte ist hinzuweisen:

  1. Hervorzuheben ist, dass der BGH bei der Beurteilung, ob ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, darauf hinweist, dass die gesetzlichen Gebühren bei bestimmten Streitwerten allein vielfach keine ausreichende Vergleichsgrundlage darstellen.
  2. Von Bedeutung ist zudem, dass der BGH seine bislang nur Strafverteidiger betreffende Rechtsprechung, wonach bei einer Vergütung, die mehr als das 5-fache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass die Vergütung unangemessen hoch ist und das Mäßigungsgebot verletzt, nunmehr auch auf zivilrechtliche Streitigkeiten ausgedehnt hat. Diese Vermutung führt dazu, dass der Anwalt darlegen und beweisen muss, dass und in welchem Umfang das vereinbarte Honorar für das konkrete Mandat angemessen ist.
  3. Der Rechtsanwalt muss darauf achten, dass die Voraussetzungen für eine im Sinne des § 138 BGB sittenwidrig überhöhte Vergütung und eine unangemessen hohe Vergütung nicht gleichzusetzen sind. Vielmehr bestehen sowohl in den Rechtsfolgen als auch in den tatsächlichen Voraussetzungen Unterschiede. Ist nämlich eine vereinbarte Vergütung sittenwidrig, so ist die Honorarabrede nichtig; es besteht nur ein Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren. Ist das vereinbarte Honorar unangemessen hoch, ist es gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 RVG auf den angemessenen Betrag herabzusetzen.
  4. Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Stundenhonorar von unter 200 € nicht unangemessen hoch ist. Dabei hat sicherlich auch eine Rolle gespielt, dass die Kläger mit dem beklagten Rechtsanwalt bewusst einen auswärtigen Spezialisten für Streitigkeiten in Pflegekindfällen beauftragt hatten.

5 Gedanken zu „Geldregen I: Anwaltshonorar von mehr als 20.000 EUR in einer Kindschaftssache, oder: Sittenwidrig?

  1. Miraculix

    > Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Stundenhonorar von
    > unter 200 € nicht unangemessen hoch ist.
    Da kommt dann noch 19% Steuer dazu. Das ist schon sehr weit am
    oberen Rand …
    In Einzelfällen und für besondere Spezialisten mag das ok sein, als
    Leitschnur finde ich das zu hoch. Daran wird sich jeder Wald- und
    Wiesen-Anwalt zu orientieren versuchen – und das wäre grob falsch.

  2. Pingback: Geldregen II: Durch AGB das Doppelte der RVG-Vergütung als Mindestvergütung? – Burhoff online Blog

  3. RA Splendor

    „Miraculix schreibt: … Ich weis also recht genau was übrig bleibt.“

    Davon bin ich noch nicht überzeugt. Ein Rechtsanwalt deckt mit dem Stundensatz, den er für seine eigene Arbeit berechnet, auch alle Hintergrundkosten ab, z.B. für die Rechtsanwaltsfachangestellte, den Auszubildenden, die Putzfrau und die nicht geringe Kanzleimiete, weil man ohne Büro in einigermaßen guten Lage keine Kunden bekomt.
    Wer von zu Hause aus am Computer Dienstleistungen für 70 EUR pro Stunde erbringt, hat im Ergebnis deutlich mehr verdient.

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