Darf man einer 77-jährigen todkranken Frau eine auf 20 Jahre fest angelegte „Geldanlage“ verkaufen?

Geld MünzenDie Frage: „Darf man einer 77-jährigen todkranken Frau eine auf 20 Jahre fest angelegte „Geldanlage“ verkaufen?“ wollte ich eigentlich schon in der ablaufenden Woche stellen, dann sind aber immer wieder andere Entscheidungen/Postings dazwischen gekommen. Die Frage geht zurück auf einen Bericht in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 14.10.2014 – „Berater verkauft Geldanlage mit 20 Jahren Laufzeit an todkranke Frau“ – bei dessen Lesen mir dann doch das sprichwörtliche Brötchen im Hals stecken geblieben ist (nicht „Frühstücks-„, sondern „Mittagsbrötchen“, da hier auf Borkum die Tageszeitung erst immer so gegen 11.00 Uhr verfügbar ist). Und dann ist mir Den Vogel abgeschossen zuvor gekommen. Aber dennoch:

Berichtet wird über eine Anlage, zu der einer 77 Jahre alten, schwer krebskranken Frau ein Anlageberater der Sparkasse Münsterland Ost geraten hat. Angelegt worden sind 25.000 € in dem geschlossenen Lebensversicherungsfonds „WestLB Trust 2“. Abschlussdatum: 2006, Laufzeit 20 Jahre, also bis 2026. Schon das ist in meinen Augen ein „Unding“ und das dann auch noch bei einer schwer Kranken, die dann ja auch bereits 2012 verstorben ist.

Über den Rest bzw. das Geschäft, für das die Sparkasse offenbar eine Provision von 1.250 € erhalten hat, mag sich jeder Blog-Leser ein eigenes Urteil bilden. Ich zitiere dazu aus dem WN-Bericht:

Dr. Wolfgang Siolek, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Celle und nach eigenen Angaben Alleinerbe seiner Cousine, übt scharfe Kritik an der Sparkasse: Sie habe mit dem Verkauf einer 20-jährigen Anlagebeteiligung an eine bereits 2006 schwer kranke 77-Jährige „das naive Vertrauen in eine kundenorientierte Beratung schamlos ausgenutzt“.

Das weist die Sparkasse zurück: Dem Unternehmen sei es „wichtig“, Kunden nicht aufgrund ihres Alters von bestimmten Produkten auszuschließen. Dass auch ältere Menschen Produkte mit längeren Laufzeiten wünschen, sei „nicht unüblich“, so eine Sprecherin. Im Übrigen würden Kunden auf „Chancen, Risiken und Laufzeiten“ hingewiesen. „So kann es durchaus sinnvoll sein, auch im höheren Alter Produkte mit längerer Laufzeit auszuwählen, um die Renditen der Anlagen für den Anleger zu optimieren“, betont sie weiter.“

Und welche Antwort gibt es nun auf die gestellte Frage: „Darf man….“. Rechtlich wird man – wahrscheinlich – dürfen, aber man muss ja nicht alles tun, was erlaubt ist. „Moralisch“ meine ich: Nein, aber das sieht die Sparkasse Münsterland Ost dann wohl anders.

Und nun: In welcher Kategorie legt man dieses Posting ab? „StGB“ – wohl (noch) nicht, „Kurios“, nun kurios ist das Verhalten der Sparkasse sicher nicht, also bleibt nur „Sonstiges“.

6 Gedanken zu „Darf man einer 77-jährigen todkranken Frau eine auf 20 Jahre fest angelegte „Geldanlage“ verkaufen?

  1. -thh

    Nun, dass Menschen ihr Vermögen vererben wollen, ist nicht so ungewöhnlich, dass eine langfristige Geldanlage bei einer hochbetagten und/oder sterbenskranken Kundin objektiv eine Fehlberatung sein muss.

  2. n.n.

    Dass Sie das Wort „Geldanlage“ in Anführungszeichen setzen, gefällt mir. Denn bereits 5% der Anlagesumme sind ja offenbar bereits in Provisionen der „Berater“ geflossen. Den Stundensatz möchte ich als Anwalt auch mal haben.

  3. Nun

    Da der „Beschiss“ durch Banker in Deutschland anscheinend meistens legal ist, solange vom selbsternannten „Berater“ nachweislich ein ordentlich gepflegter Schlips getragen wurde, und Pleiten durch grob fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten sogar staatlich subventioniert werden, ist das nur eine Ermutigung, weiter zu machen, wie bisher. Ein ordentliches Gewissen kann sich nahezu kein erfolgreicher Banker leisten.

    In der normalen Bevölkerung ist die Berufsgruppe der Banker folglich inzwischen mehr verachtet als vielschwätzende Fernsehmoderatoren:
    http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/PD_2013_05.pdf#page=2

  4. Jan Brendel

    Diese Fälle erlebe ich öfters. Allerdings sehe ich das echt neutral. Auf der einen Seite höre ich es tatsächlich oft, dass die Geldanlage dann per Erbschaft an die Nachkommen übergeben werden soll. Zudem hat man immer die Wahl Investitionen, die man nicht versteht, abzulehnen.
    Auf der anderen Seite empfinde ich es verlogen, wenn eine Bank „graue Markt“-Produkte vertreibt, während die Berater an den Schaltern bei Kapitalanlageprodukten, die nicht vom eigenen Institut sind, die Hände über den Kopf schlagen und alarmiert dreinblicken.

  5. meine5cent

    Ohne die genauen Beweggründe der Verstorbenen zu kennen, ist das etwas schwierig, zu sagen: auch moralisch Nein. Tatsache ist, dass der Erbe eben geerbt hat, ob das jetzt Bargeld ist oder ein Sparbuch oder diese Geldanlage ist doch (weitgehend) egal, falls nicht ein hohes Verlustrisiko bestand. Hätte man der Dame auch verwehren müssen,eine nicht selbst genutzte Immobilie zu kaufen? Oder ihr keinen Sparbrief mit 5 oder 10 Jahren Laufzeit „andrehen“ dürfen? Oder keine Goldmünzen wegen des Kursrisikos? Wo zieht man die Grenze zwischen offensichtlich völlig Nutzlosem und noch Zulässigem? Kurz vor dem Ableben stand sie offenbar nicht, nachdem sie noch 6 Jahre gelebt hat. Soll ein Banker vorschlagen: „Sie stehen ja schon mit einem Bein im Grab. Ich hätte da angepasst an Ihre Lebenserwartung Folgendes im Angebot: Sparbuch mit 3monatiger Kündigungsfrist, Sparbrief 1 Jahr Laufzeit etc……Was meinen Sie denn, wie lange Sie’s noch machen?“

    Dass jemand mit seiner VRiOLG-Vergangenheit in der Presse hausieren geht, halte ich für etwas unangebracht.

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